„Sin Titulo“ von Cameron Stewart: Im Strudel der Erinnerung
Cameron Stewart ist als Superhelden-Zeichner derzeit sehr gefragt. Der surreale Thriller „Sin Titulo“ zeigt eine andere Seite des in Berlin lebenden Autors - und das nächste Independent-Projekt ist schon in Arbeit.
Der Name Cameron Stewart war bis vor kurzem nur Comic-Lesern bekannt, die sich vor allem im Superhelden-Universum auskennen. Der 1975 geborene Kanadier, der zur Zeit in Berlin wohnt, arbeitet seit rund 15 Jahren als Comiczeichner und -szenarist, hat vor allem an bekannten US-Serien wie „Superman“, „Batman and Robin“, „Seven Soldiers“, „Guardians of the Galaxy“ sowie „Catwoman“ (zusammen mit Autor Ed Brubaker) mitgewirkt und sich dabei als solider Zeichner und begehrter Cover-Artist erwiesen. Derzeit macht er vor allem durch seine Arbeit an der Reihe „Batgirl“ von sich reden. Neben derartigen Mainstream-Serien hat Stewart auch an Independent-Projekten mitgearbeitet, etwa dem Vietnamkriegscomic „The Other Side“ (mit Jason Aaron) oder „Assassin´s Creed“ (zusammen mit Karl Kerschl).
Der Tod des Großvaters, ein seltsamer Traum
Um 2009/2010 änderte sich sein Bekanntheitsgrad schlagartig, als er mit einer Webserie zwei der höchsten Comic-Preise im amerikanischen Raum gewann. Zunächst einen Shuster Award in der Rubrik „Outstanding Webcomic creator“, später sogar einen Eisner Award als „Best Digital Comic“. Der Name der ausgezeichneten Serie lautete „Sin Titulo“, „Ohne Titel“ also, eine Anspielung an die vielen Kunstwerke, die unbetitelt sind und ein dezenter, augenzwinkernder Hinweis zur Auflösung der Geschichte.
„Sin Titulo“ - inzwischen als Buch erschienen und vor Kurzem bei Panini auf Deutsch veröffentlicht - ist ein über den Zeitraum von fünf Jahren entstandenes Work in Progress, das der Autor und Zeichner in jeder freien Minute neben seinen Brotarbeiten schuf. Stewart wollte nach eigener Aussage etwas vollkommen Eigenständiges machen, das nicht in Zusammenhang mit seinen eher dem Mainstream verhafteten Auftrags-Projekten mit bereits existierenden Figuren stand. So veröffentlichte er den Comic in regelmäßigen Abständen im Internet und gewann eine immer größer werdende Fangemeinde. Inhaltlich ausschlaggebend war für Stewart ein autobiografisches Erlebnis, der Tod seines Großvaters, von dem er erst vier Wochen später erfuhr. Und ein seltsamer Traum von einem Baum am Strand.
Zunächst wusste er gar nicht, wie sich die Story entwickeln würde, geschweige denn, wie sie enden würde. Zur Strukturierung seiner Arbeit nahm er sich eine Seite pro Tag vor, die aus acht stets gleichgroßen Panels bestand. Stewart gelang es so, einen eigenen Rhythmus zu kreieren, und Episoden mit spannenden Cliffhangern zu liefern.
Wer ist diese Blondine?
Und so beginnt auch die als Buch querformatige (und damit dem Webformat nahe kommende) Graphic Novel damit, dass dem Protagonist Alex Mackay der Tod seines Großvaters mitgeteilt wird. Im Altenheim bekommt Alex dessen kargen Nachlass in die Hände gedrückt. Ein darunter befindliches Foto macht ihn stutzig: es zeigt den Großvater zusammen mit einer attraktiven Blondine.
Wer mag diese Frau sein, die Alex noch nie gesehen hat? Warum wusste er so wenig vom Leben seines Großvaters? Sein schlechtes Gewissen und seine Neugier lassen Alex Nachforschungen anstellen, die ihn bald in eine bizarre Welt voller Gewalt führen. Ein brutaler Krankenpfleger scheint in Beziehung zu der geheimnisumwitterten Blondine zu stehen. Der wiederkehrende Traum von einer Strandlandschaft mit einem alten, knorrigen Baum scheint ebenfalls eine Schlüsselrolle zu spielen. Schmerzliche Erinnerungen an die eigene Kindheit kommen hoch.
Alex gerät in brenzlige Situationen, wird verprügelt und bald als Mörder gesucht. In der Folge verliert er nicht nur seinen Job – auch seine Freundin Carrie verlässt ihn, aufgrund der Schwierigkeiten, in die er gerät. Doch Alex will den Weg bis zu Ende gehen…
Das nächste Projekt ist schon in Planung
Stewarts Geschichte spielt mit Film-Noir-Elementen und setzt gezielt Mystery-Elemente ein, die dem Protagonisten (und mit ihm dem Leser) den Boden unter den Füßen wegziehen. So erinnert dieser Comic Noir bewusst an Vorbilder wie David Lynch oder David Cronenberg. So entsteht ein surrealer Thriller, zu dem die ausschließlich in Schwarzweiß- und Sepiatönen gehaltenen Tusche-Zeichnungen perfekt passen. Die etwas schematisch gezeichneten Charaktere und ihre nicht allzu große mimische Bandbreite fallen da nicht allzu sehr ins Gewicht.
Die Story ist geschickt konstruiert und entwickelt einen subtilen, Schwindel erregenden Sog, der die Grenzen zwischen (Alb-) Traum und Realität gekonnt verwischt. Die Graphic Novel macht neugierig auf das nächste Independent-Projekt des Kanadiers, das schon in Planung ist und den Titel „Niro“ trägt. Die ersten Seiten daraus lassen sich hier betrachten.
Cameron Stewart, „Sin Titulo“. Panini, 172 Seiten, Hardcover 24,99 Euro. Auf Englisch kann man den Comic online hier lesen.
Unser Autor Ralph Trommer ist Diplom-Animator und Autor von Fachartikeln über Comics, Prosatexten und Drehbüchern. Weitere Tagesspiegel-Artikel von ihm unter diesem Link.
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