Kris Kristofferson: Im Sinkflug
Kris Kristofferson veröffentlicht ein bittersüßes Album über das Älterwerden: „Feeling Mortal“.
Manchmal beginnt der Tag mit einem Vanitas-Moment. Dann schaut man in den Spiegel, und das Gesicht, das aus dem Spiegel zurückschaut, sieht zerfurcht und vergänglich aus. „Wide awake and feeling mortal“, singt Kris Kristofferson. „At this moment in the dream / That old man there in the mirror / And my shaky self-esteem.“ Das Tempo ist gemächlich, grobkörnige Akustikgitarrenakkorde mischen sich mit dem Flirren einer Pedal Steel Guitar, sanft verhallt der Bass. Kristofferson ist jetzt 76, mit dem Titelstück seines neuen, am Freitag erscheinenden Albums „Feeling Mortal“ versucht er eine Standortbestimmung. Auf dem Weg nach unten sei er, wie die Sonne, die bald im Meer versinkt. Noch einmal gibt er den Rebellen und scherzt, dass er die Regeln, die er brach, bis heute nicht verstanden habe. Als Glückskind sieht er sich sowieso, bis ins Alter umgeben von Liebe und Gelächter. Adressat des Abgesangs ist niemand Geringeres als der Herrgott: „God Almighty here I am.“
Hier singe ich und kann nicht anders. Das Beschwören einer Aufrichtigkeit, die auch nicht vor den eigenen Ängsten und Abgründen zurückscheut, gehört seit jeher zu den Gepflogenheiten der Country-Musik. Kaum ein anderer Sänger verkörpert dieses Gebot größtmöglicher Authentizität so sehr wie Kris Kristofferson. „Nichts hat mich umbringen können“, sagt er und meint sein abenteuerliches Leben in den sechziger Jahren. „Ich habe Autos und Motorräder zu Schrott gefahren, heftig getrunken und alles getan, um früh zu sterben. Hat nicht funktioniert.“ Der Sohn eines US-Air-Force-Generals, 1936 in Texas geboren, war Amateurboxer, Rhodes-Stipendiat in Oxford, Captain bei der Armee und Hubschrauberpilot. Als Schauspieler hat er es zu einer Filmografie mit mehr als 100 Titeln gebracht, darunter Hauptrollen in „Pat Garrett & Billy the Kid“ von Sam Peckinpah und in Michael Ciminos epischem Spätwestern „Heaven’s Gate“.
Die Songs sind von spröder Schönheit
Ursprünglich träumte Kristofferson von einem Dasein als Schriftsteller, aber seinen Dienst bei der Army beendete er, um nach Nashville zu ziehen und das zu werden, was er selber als „einen songschreibenden Nichtsnutz“ bezeichnet. Das ist natürlich Ironie. Denn als Autor folgt er einem strikten Arbeitsethos. „Ich versuche, beim Songschreiben so ehrlich wie möglich zu sein. Ansonsten wäre es sinnlos, dann könnte ich auch in der Werbebranche oder in irgendeinem anderen Job arbeiten.“ So erinnert er sich in „Castaway“ zu fiedelnden Geigen an eine Episode aus seiner Zeit als Hubschrauberpilot, als er einem Geisterschiff mit zerfetzten Segeln begegnete. Das Schiff trieb ziellos auf dem Meer, so ähnlich fühlt er sich nun selbst: dem Untergang geweiht. „’Cause like a ship without a rudder / I’m just drifting with the tide / And each day I’m drawing closer to the brink.“ Sentimentale Verse, lyrisch bewegt sich der Sänger mitunter auf schlüpfrigem Gelände.
„Feeling Mortal“ ist Kristoffersons 17. Sudioalbum. Produziert hat es, wie schon die Vorgänger „This Old Road“ (2006) und „Closer to the Bone“ (2009), Don Was. Was war vor Kurzem mit den Rolling Stones im Studio, über ihn sagt der große Sänger und berüchtigte Grummler Van Morrison: „Der kennt sich mit Musik aus.“ Ein ultimatives Lob. Die zehn Stücke von „Feeling Mortal“ wurden innerhalb von drei Tagen aufgenommen. Anschließend hat Don Was die Basistracks noch, wie er sagt, mit den Instrumentalparts einiger erstklassiger Studiomusiker „ausgepolstert“.
Das klingt plüschig, doch Don Was arbeitet zurückhaltend, beinahe minimalistisch. Nichts soll ablenken von der spröden Schönheit dieser Songs und von Kristoffersons knurrig-rauer, gelegentlich auch windschiefer Stimme. „Just Suppose“ ist eine bittersüße Trennungsballade im Walzertakt, bei „The One You Chose“ erklingt eine Bob-Dylan-Mundharmonika, und das Abschlussstück „Ramblin’ Jack“ huldigt mit seiner Akkordeon-Ausgelassenheit der Cajun-Musik von Louisiana. „Ramblin’ Jack“ ist dem Folksänger Jack Elliot gewidmet, einem als „singender Cowboy“ bekannten Weggefährten von Woody Guthrie. Vor ihm zieht Kristofferson seinen Hut: „And if he knew how good he’d done / Every song he ever sung / I believe he’d truly be surprised.“
Einmal ist Kristofferson mit dem Hubschrauber bei Johnny Cash im Vorgarten gelandet, um ihm ein Tonband mit seinen Kompositionen zu bringen. Cash war nicht zu Hause, nahm aber trotzdem später „Sunday Morning Coming Down“ auf. Kristofferson schuf weitere Klassiker wie „The Taker“, „Help Me Make It Through The Night“ und „Me And Bobby McGee“, das in der Version von Janis Joplin zum Hit wurde. Er sang über Drogen und über Verlierer, in Nashville galt er als Hippie und Rebell. Doch den Außenseiterstatus verlor er spätestens, als er sich mit seinen Freunden Johnny Cash, Waylon Jennings und Willie Nelson zur Country-Supergroup The Highwaymen zusammenschloss.
Inzwischen ist Kris Kristofferson in die Rolle des Patriarchen hineingewachsen. Als solcher ist er bald im Kinothriller „Cold Blood“ des österreichischen Oscar-Preisträgers Stefan Ruzowitzky zu sehen, seine Familie mit dem Gewehr verteidigend. Und, ach ja, über den Wahlsieg von Barack Obama freut sich der bekennende Linke natürlich.
Christian Schröder
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