Kultur: Im Land der Ameisenmenschen
China ist furchteinflößend. Seine schiere Größe und autoritäres Gebaren reichen aus, dass sich die westliche Welt von der aufstrebenden Industrienation bedrängt fühlt.
China ist furchteinflößend. Seine schiere Größe und autoritäres Gebaren reichen aus, dass sich die westliche Welt von der aufstrebenden Industrienation bedrängt fühlt. Noch bedrohlicher als das politische Muskelspiel erscheint etwas, das sich hinter Vokabeln wie Wachstumspotenzial und Zukunftsmarkt verbirgt, eine ökonomische Kraft, von der das Reich der Mitte selbst nicht ermessen kann, wie stark sie ist.
Der kanadische Fotograf Edward Burtynsky hat dieses Wirtschafts-Wonderland bereist. Seine großformatigen Tableaus, die nun in einem atemberaubenden Prachtband veröffentlicht sind, zeigen einen Industrie-Moloch, der unablässig Ruinen produziert. Das beginnt mit dem Abriss ganzer Städte am Ufer des Yangtse, die von Ameisenmenschen zu Mörtelstaub und Kraterlandschaften zerlegt werden. Und es endet in Shanghais Innenstadt, wo ein historisches Viertel niedriggeschossiger Bauten hochtürmenden Wohnsilos weicht. Burtynsky, der seine Jugend auf Schrottplätzen und in den Minen Ontarios verbracht hat, porträtiert mit barocker Grandiosität die chinesische Stahl- und Kohleindustrie, die Müllverarbeitung und Herstellung von Frachtflotten. Er blickt auf die ausgewaideten Maschinenparks des überkommenen Kommunismus und ins sterile Innere von Schuh-, Textil- und Geflügelfabriken. Der Mensch ist da nur Statist einer Dynamik, die ihm rosafarbene oder gelbe Arbeitskleidung überstülpt und an rasende Fließbänder setzt. Burtynsky liefert Ansichten einer Wirtschaftsschlacht. Manchmal sehen die aufgerissenen, zerfurchten Stadtlandschaften wie das Narbengelände eines Stellungskrieges aus. Aber hier ist alles in Bewegung. Die chinesische Ruine ist bloß ein Schritt in die Zukunft.
China. The Photographs of Edward Burtynsky. Steidl, Göttingen 2006. 147 S., 65 €.
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