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Die Welt trauert um Nelson Mandela.
© dpa

Trauerfeier für Mandela: Im Geist der Toleranz

Die Mischung hätte Nelson Mandela gefallen: Könige und Königinnen, Präsidenten, Models und Rockstars, aber auch Menschen aus allen Bevölkerungsschichten kamen zur Trauerfeier. Und auf der Tribüne saßen politische Feinde in Eintracht nebeneinander.

Es ist kurz nach sieben Uhr, als die Air Force One am Dienstagmorgen durch dicke Regenwolken zur Landung ansetzt. Die hellblaue Boeing 747-200B des US-Präsidenten gleitet durch den grauen Himmel über Johannesburg, über die 1976 durch seine Rassenkrawalle berühmt gewordene Township Soweto, das FNB-Stadion und schließlich auch die alte City, unter deren Boden einst die dicksten Goldadern der Welt lagen. An Bord befindet sich alle noch lebenden US-Präsidenten – mit Ausnahme des 89-jährigen George Bush, der aus Gesundheitsgründen in Texas geblieben ist: Sohn George W., Bill Clinton, Jimmy Carter und natürlich Barack Obama mit Ehefrau Michelle, die bereits zum zweiten Mal binnen sechs Monaten nach Südafrika gekommen sind.

Die vier US-Präsidenten sind die bekanntesten Gesichter der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Entertainment, die sich an diesem Tag im WM-Stadion der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole versammelt hat, um einen Mann zu ehren, den die Welt mehr als alle anderen geliebt hat: Südafrikas am Donnerstagabend verstorbenen Nationalhelden Nelson Mandela. Zusammen mit den VIPs aus aller Welt sind auch Zehntausende Südafrikaner trotz des Dauerregens ins Stadion geströmt. Eigentlich hatten die Organisatoren mit weit über Hunderttausend Menschen gerechnet und deshalb vier zusätzliche Stadien im Umkreis geöffnet, um den erwarteten Massenandrang besser zu bewältigen. Doch dann macht das schlechte Wetter den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung – der Regen dämpft nicht nur die Stimmung, sondern macht auch der Elektronik zu schaffen. Die Akustik im Stadion ist jedenfalls fast so schlecht wie der unerwartet kalte und nasse Sommertag in Johannesburg.

Sie sind aus dem ganzen Kontinent angereist

„Wir hätten die Trauerfeier trotzdem um nichts in der Welt versäumen wollen“, sagt Kevin Naidoo, der aus dem fast 600 Kilometer entfernten Chatsworth bei Durban angereist ist und vom lokalen Fernsehsender „etv“ vor ein Mikrofon gezerrt wird. Die ganze Nacht hindurch seien er und zwei Freunde auf den Straßen unterwegs gewesen und wollten aus Kostengründen noch am Abend heimkehren. Jetzt sei er erst mal hungrig. Was ihm an Mandela am meisten imponiert habe? Dass der trotz seines Ruhms stets bescheiden geblieben sei, sagt Naidoo. So etwas sei nur ganz wenigen vergönnt.

Seine Dankbarkeit für die Lebensleistung des großen Versöhners bekundet auch Kole Okonjo. Der Nigerianer mit dem noch blütenweißen, aber vom Regen durchnässten Kaftan lebt seit über zehn Jahren als Programmierer in Johannesburg und glaubt, dass sein Leben ohne Mandela ganz anders verlaufen wäre. „Er hat nicht nur versöhnt und vergeben, sondern Südafrika auch aus der Isolation geführt“ sagt er. „Ohne ihn wären sowohl Südafrika als auch meine Heimat heute ganz andere Länder.“

Dennoch ist auch Okonjo enttäuscht darüber, dass das Stadion mit seinen 90 000 Sitzen zu Beginn der Trauerfeier um elf Uhr allenfalls zu knapp zwei Dritteln gefüllt ist. Überall im Rund sieht man das Orange der unbesetzten Sitze. Immerhin ist es eine symbolträchtige Stätte: Genau hier war es, wo Nelson Mandela im Februar 1990, nur zwei Tage nach der Freilassung aus 27 Jahren Haft, seine erste Rede in Johannesburg hielt. Und hier war es auch, wo er sich am 11. Juli 2010, am Finaltag der Fußball-WM, zum letzten Mal öffentlich zeigte. Körperlich bereits stark angeschlagen und auch geistig nicht mehr auf der Höhe, drehte er damals mit Ehefrau Graca Machel auf einer Golfcart sitzend eine Ehrenrunde – und verschwand danach auf immer. Schon zum Spiel selbst blieb er an dem kalten Winterabend nicht mehr.

Die Südafrikaner freuen sich über die prominenten Gäste

Gestern hätte Mandela vielleicht nicht das Wetter, aber die Zusammensetzung der Besucher gefallen: Trotz seiner Sympathie für die einfachen Menschen hat er es auch immer genossen, sich unter die Reichen, Schönen und Mächtigen dieser Welt zu mischen. Besonders gerne besuchte er dabei die Queen, die er „Elizabeth“ nannte, während sie ihn stets mit „Nelson“ ansprach. Ein unvergesslicher Cartoon des südafrikanischen Karikaturisten Zapiro, der gestern auch wieder die Runde machte, zeigt die beiden bei einer Kutschfahrt durch London. Am Bildrand steht ein Polizist, der sich zu seinem Kollegen umdreht und entnervt sagt: „Der nächste verdammte Tourist, der mich fragt, wer die kleine alte Dame neben Mandela ist, kriegt es mit mir zu tun.“ So groß war seine Popularität auch außerhalb Südafrikas.

Topmodel Naomi Campell besuchte Mandela oft

Nicht nur Nelson Mandela schätzte die ihm weltweit entgegengebrachte Bewunderung – auch die Südafrikaner selbst lieben es, wenn die Welt wieder einmal ihren Blick auf ein Land richtet, das international jahrzehntelang fast nur wegen seiner Apartheidspolitik wahrgenommen wurde. Kein Wunder, dass sich die Zeitungen am Kap in den vergangenen Tagen vor Freude über die attraktive Gästeliste gegenseitig zu übertreffen suchten: Neben den Rockmusikern Bono und Peter Gabriel, der US-Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey oder dem britischen Geschäftsmann Richard Branson wurde vor allem die Anwesenheit des britischen Topmodels Naomi Campbell vermerkt, die in den letzten Jahren regelmäßig auf Besuch gekommen war, weil sie in Nelson Mandela nach eigenem Bekunden eine Art Ersatzvater sah. Natürlich fehlte auch der Bürgerrechtler Jesse Jackson nicht, der bei Mandelas erster Rede nach der Freilassung fast gewaltsam darin gehindert werden musste, mit ihm vor die wartenden Menschen zu treten.

„Es kommt die ganze Welt nach Südafrika, wirklich die ganze Welt“, frohlockte gestern früh noch Clayson Monyela, ein Sprecher des südafrikanischen Außenministeriums. „Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, es ist einfach alles dabei.“ Nicht dabei war jedoch ausgerechnet der Dalai Lama, obwohl gerade er als eine Art asiatisches Pendant zu Mandela besonders gut gepasst hätte. Südafrikas ANC-Regierung, inzwischen ein enger Freund der Chinesen, hatte dem Oberhaupt der Tibetaner schon vor zwei Jahren zum 80. Geburtstag von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu kein Einreisevisum ausgestellt, weil Peking offenbar an höchster Stelle interveniert hatte.

Obamas Rede reißt die Menschen von den Stühlen

Mandelas Charme und Humor, vor allem sein unprätentiöser Umgang mit denen, die er traf, machten ihn weltweit zum Politstar – bei den einfachen Menschen, den Medien aber auch den Machthabern unterschiedlichster ideologischer Herkunft. Deutlich wurde dies gestern daran, dass auf der Trauerfeier Staatschefs zusammentrafen, die sonst wohl nicht einmal bei den Vereinten Nationen ein Podium teilen würden. Noch im Tod machte Mandela möglich, dass Irans neuer Präsident Hassan Rohani, Kubas Raul Castro und Simbabwes Robert Mugabe auf der Ehrentribüne traut mit westlichen Führern wie Großbritanniens David Cameron, Frankreichs François Hollande und eben vier amerikanischen Präsidenten zusammensaßen

Symptomatisch für den von Mandela gepredigten Geist der Toleranz war auch, dass US-Präsident Obama auf dem Weg zum Podium kurz die Hand von Kubas Staatschef Raul Castro schüttelte. Eine beispiellose Geste von Politikern zweier Länder, die seit mehr als einem halben Jahrhundert miteinander verfeindet sind.

Am Ende war es Obama, der mit einer sehr persönlichen Rede voller Leidenschaft die ergreifendste Rede von allen hielt. Immer wieder erinnerte er die Menschen im Publikum aber auch die politischen Führer auf der Ehrentribüne daran, dass es nicht genug sei, Mandela einfach nur zu bewundern. Weit wichtiger sei es, aus seinen Erfahrungen zu lernen und diese mit Leben zu erfüllen.

Immer wieder fand der US-Präsident auch deutliche Worte an einige der anwesenden Diktatoren, etwa als er daran erinnerte, dass Mandela nach nur einer Amtszeit freiwillig abgetreten sei. „Es gibt viele Staatsmänner, die sich gerne mit Madibas Vermächtnis schmücken, aber ihr eigenes Volk knechten und knebeln“, rief er mit deutlichem Blick auf Simbabwes mittlerweile 89-jährigen Despoten Robert Mugabe, der in seinem Land seit 33 Jahren ununterbrochen herrscht und gerade mit Lug und Trug eine weitere Amtszeit gewonnen hat.

Obwohl Obama in Johannesburg ohne die von ihm mit Vorliebe benutzen Teleprompter auskommen und öfter als sonst aufs Blatt schauen musste, war seine Rede derart mitreißend, dass sich am Ende selbst sein alter politischer Rivale George W. Bush als einer der Ersten zu einer stehenden Ovation erhob.

Die tödlichste Waffe der Revolution? Die Liebe

Wie schon bei seinem Staatsbesuch vor einem halben Jahr erinnerte Obama in der knapp 20-minütigen Rede daran, dass Mandela zwar sein ganz persönlicher Held gewesen sei, er selbst aber nie an dieses Vorbild heranreichen werde, so sehr er sich auch mühe. Mandela und sein Lebensweg seien es auch gewesen, die ihn vor 30 Jahren im Studium mehr als alles andere bewegt und aufgerüttelt hätten. Erst Mandela habe ihm auch den Mut und das Selbstvertrauen zu einer Reise gegeben, die ihn 2009 als ersten Schwarzen in das amerikanische Präsidentenamt trug – eine historische Leistung, die durchaus Parallelen zu Mandelas ebenso unwahrscheinlichem Weg vom politischen Gefangenen zum ersten schwarzen Präsidenten des früheren Rassenstaates Südafrika hat.

Obama hat nie einen Hehl aus seinem tiefen Bedauern gemacht, Mandela vor dessen Tod nicht noch einmal persönlich gesehen zu haben. Ein mögliches Treffen im Juni kam wegen der schweren Lungenentzündung Mandelas, an deren Folgen er am Donnerstag auch starb, nicht mehr zustande. Dennoch dürfte es für den US-Präsidenten tröstlich sein, dass es zumindest ein Foto von ihm und seinem Vorbild gibt. Es wurde bei einem kurzen Zusammentreffen der beiden vor acht Jahren in Washington gemacht, als Obama noch ein einfacher Senator aus Chicago war. Heute hat es einen Ehrenplatz auf seinem Schreibtisch im Oval Office.

Am Ende seiner Rede nannte Obama den Verstorbenen den letzten großen Freiheitskämpfer des 20. Jahrhundert und stellte ihn in eine Linie mit Mahatma Gandhi und Martin Luther King, Außergewöhnlich sei er nicht nur wegen seines langen Leidensweges und der Bereitschaft zur Versöhnung gewesen, sondern auch dadurch, dass er seinem Land eines der größten Geschenke machte: eine liberale Verfassung. Mehr als alle anderen erkannte Mandela, dass die tödlichste Waffe im Arsenal eines Revolutionärs nicht das Gewehr, sondern die Fähigkeit ist, Liebe in anderen zu inspirieren. „Es könnte durchaus sein, dass er der letzte große Mann war“, schreibt der südafrikanische Autor J. M Coetzee in einem Nachruf über seinen Landsmann. „Denn der Gedanke der Größe verschwindet allmählich im Dunkel der Geschichte.“

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