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Jeder einmal auf der Bühne. Der ehemalige technische Leiter Achim Busch (Mitte) erklärt den Besuchern, was er seit 1963 über das 1914 aus "Arbeitergroschen" errichtete Gemäuer gelernt und vor allem hier erlebt hat.
© Doris Spiekermann-Klaas

Rundgang durch die Volksbühne: Im Bauch des Theaterdampfers

Er hat Intendanten kommen und gehen sehen. Achim Busch war 41 Jahre Bühnenmeister der Volksbühne. Heute führt er durchs Haus und seine Geschichte. Ein Rundgang.

Geburtstag feiern hinter den Kulissen, auch eine schöne Idee. Die Studentin sammelt Küsschen, Umarmungen, Blumen und drückt dafür jedem ihrer Gäste eine Eintrittskarte in die Hand. Ein später Dienstagnachmittag im Kassenfoyer der Volksbühne. Die Theaterführung ist ausverkauft. Dass der Theatermeister im Ruhestand Hans-Joachim Busch, den hier im Haus alle Achim nennen, viel zu erzählen hat, hat sich herumgesprochen.

Da kommt noch eine an der Kasse abgeblitzte Dame angeeilt und bittet, mitgehen zu dürfen. Amüsiert zieht er die buschigen Augenbrauen hoch. Dann sind es eben 25 Leute. Das schockt keinen, der als Theateringenieur mit der DDR-Mangelwirtschaft fertiggeworden ist.

Busch ist 73 Jahre alt und seit 1963 am Haus. Erst als junger Techniker, dann bis 2008 als Abteilungsleiter Bühnentechnik. Er hat in dem machtvoll aufragenden Theaterdampfer am Rosa-Luxemburg-Platz manchen Intendanten kommen und gehen sehen. Daher der entspannte Erzählton, obwohl über keinen Kulturort in Berlin derzeit so hitzig debattiert wird. Chris Dercon, den umstrittenen Nachfolger von Frank Castorf, hat Busch schon herumgeführt. Mit Sondererlaubnis, denn eigentlich darf der ja noch gar nicht ins Haus.

Drei Euro kostet die rund anderthalbstündige Tour durch den am 30. Dezember 1914 eingeweihten Bau des berühmten Theaterarchitekten Oskar Kaufmann. Ein bescheidenes Entgelt für das gerüttelte Maß an Geschichte, technischen Details und Anekdoten, die Busch treppauf und treppab im hastigen Stil eines viel zu viel wissenden Erzählers hervorsprudelt.

Erste Station, Theaterfoyer. Achim Busch baut sich vor einer Dekoration aus Frank Castorfs „Faust“ auf. Eine Frau kommt vorbei, streichelt seine Schulter, verschwindet hinter einer Tür. Mag Rentner Busch inzwischen auch der Großvater dieser Theaterfamilie sein, die Blutsverwandtschaft besteht weiter.

„Hier war 1914 schon Ende“, deutet er mit den Händen Kaufmanns originale Grundrisslinie an. Erst mit dem von Hans Richter entworfenen Wiederaufbau wächst die kriegszerstörte Bühne 1954 auf die jetzt als roter und grüner Salon bekannten Ausleger an. Auch die Edelholzverkleidung, die dem Foyer jetzt düstere Eleganz verleiht, ist nicht original. Die türkise Decke im eine Etage höher gelegenen Sternfoyer dagegen sehr wohl – von 1954.

Die Gruppe hockt unter herrschaftlichen Lüstern und atmet Buschs Infos ein. Der rote Marmor? Da ginge ja das Gerücht, eine der drei den Boden zierenden Sorten stamme aus Hitlers Reichskanzlei. Eine Untersuchung konnte das nicht bestätigen. „Gott sei Dank, sonst würden wir an Führers Geburtstag womöglich Wallfahrtsstätte!“ Trotzdem ist in diesem Bau die deutsche Geschichte gegenwärtig. Souverän wandert der Berliner, der – abzüglich eines Ausflugs ans Konzerthaus am Gendarmenmarkt – 41 Jahre hier beschäftigt war, von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik den Nationalsozialismus und die DDR bis zur Gegenwart. Die Geschichte steckt im Detail, den Baustoffen, den architektonischen Veränderungen der durch die „Arbeitergroschen“ genannten Spenden und Beiträge der Volksbühnenbewegung finanzierten Bühne.

Die heutigen "Sozis" wären früher nicht proletarisch genug gewesen

Die steht im ehemaligen Scheunenviertel, einst Arme-Leute-Quartier. „Das war der Unruheplatz von Berlin. Den wollte die Stadt befrieden.“ Also habe der Polizeipräsident beim Kaiser vorgesprochen, um den geplanten Theaterbau voranzutreiben. „Wenn die Proleten dort ihren Kunsttempel bauen, werden sie endlich aufhören, mit Steinen zu schmeißen“, zitiert ihn Busch. Hat funktioniert, auch wenn die Volksbühne ja immer noch ihre eigene Protestkultur pflegt. Heutige Sozis hätten im Volksbühnenverein damals keine Aufnahme gefunden, sagt Busch. „Nicht proletarisch genug.“

Von oben geht es in den Theatersaal. Die holzvertäfelten Wände sind derzeit so unsichtbar wie die sonst hier installierten Kinoklappsitze. Beim Hinuntergehen fahren die Hände durch schwarz schimmerndes Lametta, das sich an den Saalwänden leise in der Zugluft bewegt. Die temporär eingesetzten Plastikstühle martern schon nach fünf Minuten wieder den Rücken.

Auf dem dunkel spiegelnden Bühnenboden bietet sich ein meditatives Bild. Eine Angestellte feudelt. Langsam und systematisch geht es hin und her. Busch setzt seinen Wortschwall dagegen. Er redet, gestikuliert. Sie wischt, schweigt. Von irgendwo ertönt Gitarrengeklimper. Banaler Alltag wird plötzlich Magie. Die Ruhe vor dem Sturm, Theaterzwischenzeit. In knapp einer Stunde wird hier „Apokalypse“ gespielt, Herbert Fritschs Adaption der Johannes-Offenbarung.

1943 krachte eine Splitterbombe in den Bühnenturm, 1945 folgte eine Brandbombe

Drei Ränge, eng bestückt mit 2000 Plätzen, hat Oskar Kaufmann einst in diesen Saal gepresst. Die Karten waren günstig und egalitär, die Plätze wurden zugelost. Logen wollte man keine. Erst mit der Entmachtung des Volksbühnenvereins durch die Nazis änderte sich das. Hitler bekam eine Loge, die er nie besuchte. In der von Hans Richter eingebauten Präsidentenloge hat dann Wilhelm Pieck bei der Wiedereröffnung des Hauses gesessen. Inzwischen beherbergt sie Lichtstellwerk und Projektoranlage des von Beginn an multimedial bespielbaren Hauses. Schon bei den Politspektakeln von Erwin Piscator waren in den Zwanzigern Filmprojektionen beliebt. Nur einer der Ränge hat überlebt. Und bei Originalbestuhlung gerade mal 824 Sitzplätze. Reicht dicke für die paar noch verfügbaren Proletarier.

Die Saaltür öffnet sich. Ein Mitarbeiter winkt Busch. Schon geht es über Foyer und Treppenhaus aufs Allerheiligste – die Bühne. Die sieht im mit Elektrik, Hydraulik, Requisiten bestückten Seitenbereich in jedem Theater wie in diesem aus: wurschtig. „Na, na, junger Mann“, ranzt die Bühnenwischerin einen aufs Nasse tappenden Gast an.

1943 krachte eine Splitterbombe in den 28 Meter hohen Bühnenturm, 1945 folgte eine Brandbombe. Busch gelangt über verschiedene brandgefährliche Daten bei der Erfindung des Eisernen Theatervorhangs an, dem Feuerschutz zwischen Bühne und Saal. In den Siebzigern gab es in einer „Räuber“-Inszenierung mal einen Entstehungsbrand. Ein Wald aus Schleiern entflammte. Funkenflug aus der Schreckschusspistole. „Da applaudierten die Leute, weil sie dachten, dass wir das ja toll hinkriegen.“ Nur weil die Schnürboden-Mannschaft sofort die kokelnden Stoffe abseilte und die Schauspieler sie austraten, ist nichts passiert. Merke: Selbst im Theater kann Spiel urplötzlich Ernst sein.

Dem Arbeiter eine bügelfreie Bühne

„Die Kunst dem Volke“ stand einst draußen über dem Portikus an der Volksbühnen-Fassade. Auf dieser Führung kommt das Volk zur Kunst – und ihre Entstehung zu begreifen, fühlt sich ungemein komplex an. Allein die Technik! Obermaschinerie, Untermaschinerie, Vorderlicht, Hinterlicht, Seitenlicht, puh. „Wie funktioniert hier der Vorhang, deutsch oder griechisch?“ Achselzucken. „Deutsch“, sagt Busch, „denn er wird nach oben und nicht zur Seite weggezogen.“

Apropos aufgezogen. Wie von Zauberhand schwebt jetzt ein gelbes Treppenteil auf den dunklen Bühnenspiegel nieder. Die Dekoration der „Apokalypse“. Schauspieler Wolfram Koch schlüpft probehalber in sein Zaumzeug und wird an einem Seil hoch in den Himmel gehoben. „Na, machste wieder Führung?“, ruft er Busch zu und winkt. „Und du bist der Höhepunkt!“, flachst der zurück, obwohl das gar nicht stimmt. Der Höhepunkt, das ist der von Kaufmann eingeführte festgemauerte Rundhorizont, der die Bühne nach hinten begrenzt. Faltenfrei sollte er sein, der Projektionen wegen, deswegen kam der sonst übliche Stoff nicht infrage. Dem Arbeiter die bügelfreie Bühne!

Dass die sich auch noch zügig dreht, ist schon häufiger aufgefallen. Die Wandergruppe steigt zwei Etagen tiefer zur Unterbühne. Gut 200 Tonnen wiegt sie, die über Rollen bewegte Drehscheibe. Schwarz und stählern glänzt die Hydraulik. Eng ist es und voll, wie im Schiffsbauch. Jetzt kann Busch auch noch Gedanken lesen. „Genietet wird nur noch im Schiffsbau“, erklärt er mit Blick auf alte Metallstreben. „Am Theater wird heute nur noch verschraubt. „Gefahrenbereich“, warnen die Schilder. Der Spalt der Drehbühne blitzt. Wie viele Damen da zu Kresniks Tanztheaterzeiten mit ihren Stöckeln hängen geblieben sind! Auch an die treppenreiche Inszenierung „Britannicus“ erinnert Busch. Alle Stufen waren unterschiedlich hoch, was für ein heilloses Schauspielergepurzel. Da lohnen sich sieben Wochen Probe. „Zur Premiere waren alle Gipse ab.“

Am Theater ist es wie im Leben

Beim Aufstieg aus den Katakomben zurück ins Foyer, weist Busch den Weg zur Kantine. Ein Weizenbier kühlt den von der Quasseltour aufgerauten Schlund. Vom Nachbartisch nicken einige Häupter herüber. Jeden ersten Dienstag im Monat tagt der Stammtisch. DTHG, die Deutsche Theatertechnische Gesellschaft. Da fachsimpeln die technischen Leiter vieler Häuser. Heute ausnahmsweise ohne ihn.

Sein Lieblingsintendant? Busch muss nicht überlegen: Benno Besson, zweite Hälfte Siebziger! „Weil der ein Geschichtenerzähler war.“ Weil er im Theater zeigen wollte, was keiner für möglich hält. Mit dem Satz „Busch, organisier’ mir das“, verlangte er ihm die dollsten Finessen ab. Der Theatermeister mag gut gebaute, stringent erzählte Stücke. Stückzertrümmerung nach Frank Castorf war weniger seins. Trotzdem sei der nach der Wende ein Glücksfall gewesen. „Das alte Publikum hat er total verschreckt, aber ein neues, jugendliches erreicht.“

Die einen bleiben weg, die anderen kommen. Am Theater ist es wie im Leben. Buschs Jahrzehnte umspannender Blick nimmt den Wechseln ihren Schrecken. Nur um Werkstatt und Kostümabteilung mache er sich Sorgen, falls Dercon weniger Eigenproduktionen als heute plane. Auch wenn er so was sagt, bleibt Achim Busch gelassen. Der Drops ist gelutscht, das Bier ist getrunken. Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz sinkt die Nacht. Eine Amsel schlägt, Frühling liegt in der Luft.

Gunda Bartels

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