"Gutes Wedding, schlechtes Wedding" im Prime Time Theater: Im Bann der Bärchenwurst
Alle lieben „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Die Sitcom im Prime Time Theater ist eine dolle Erfolgsgeschichte. Heute startet Folge 100.
Schon verstörend, dass eine Show mit solchen Schrottperücken ein derartiger Dauerbrenner werden kann. Ekelig filzig ist das Haarteil, das kurz vor der morgendlichen Probe selbstvergessen auf einem Hocker im Foyer des Prime Time Theaters liegt. Wäre das eine Installation, hieße sie „Wedding, ein Kunstfaseralbtraum“.
Der Mopp gehört zur Figur der Fitnessfanatikerin Jutta, erklärt Theaterchef Oliver Tautorat und bestätigt, was seit 99 hier gelaufenen Folgen „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ ein offenes Geheimnis ist: Wer scheiße aussieht, kann trotzdem gewinnen. Oder anders und jetzt wirklich im O-Ton Tautorat ausgedrückt: „Bei uns sind alle Perücken fies“. Weil aus dem Faschingsbedarf bezogen. Billig muss sein, ist ja Privattheater. Für die von ihm verkörperte Figur Kalle hat er gerade gleich mehrere explodierte Vokuhilas bestellt. Und die Polizisten, die kürzlich wegen eines Einbruchs im Theater den Tatort sicherten, haben zwecks Selbstbelustigung im Dienst welche übergestülpt.
„Was haben wir schon Perücken zerschrotet!“, sinniert auch Hausautorin und Schauspielerin Constanze Behrends, die im Schlepp des hechelnden Theaterhundes Blacky gerade das Foyer betritt. Und viel damit bewirkt, gehört dann ebenso staunend angemerkt. Denn „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, abgekürzt GWSW, ist seit der Erfindung 2004 mit einer Mischung aus schrillem Witz und herzlicher Figurenzeichnung ja nicht nur Publikumshit und Presseliebling, sondern noch viel mehr geworden – das Synonym für Kiez–Pride im Problembezirk.
Geschichten von der Abendkasse
Oliver Tautorat, Jahrgang 1973, Weddinger mit griechischen Wurzeln, hat das selbst beobachtet. Immer abends, wenn der Chef an der Kasse steht und den sozialverträglichen Eintritt von acht bis 18 Euro kassiert. „Die, die kommen, sind stolzer geworden.“ Dieses Selbstbewusstsein hat auch auf die 25-köpfige Theatercrew abgefärbt, die dieses Jahr zehn Premieren mit 242 Vorstellungen stemmt. Die größte Leistung sei, zwölf Jahre durchgehalten und an Bezirk, Theater und Show geglaubt zu haben, findet Behrends. Sie ist Jahrgang 1981, aus Sachsen-Anhalt gebürtig und wurde kürzlich gar mit einem renommierten Dramatikerpreis dekoriert. „Die Infrastruktur des Weddings haben wir nicht geändert, aber der Späti gegenüber freut sich“, fasst die auch aus „Switch reloaded“ bekannte Schauspielerin und Autorin des satirischen Romans „Kifferbarbie“ die ideell und ökonomisch segensreiche Wirkung des eigenen Schaffens zusammen.
Tautorat, der Kassenwart mit direktem Publikumskontakt, hat da noch ganz andere Anmerkungen auf Lager. Gänsehaut-Geschichten, die so in dieser Stadt wohl nur GWSW schreibt. Die von dem Knacki, dem Freigänger, der eines ausverkauften Samstagsabends unbedingt noch eine Karte haben musste, weil er sein „Mäuschen“ zu GWSW ausführen wollte. Oder die von dem Ehepaar, das bis zum Tode des Mannes im vergangenen Jahr Stammgast war. Ein paar Wochen später stand die Frau allein an der Abendkasse. Sie käme trotzdem weiter, hat sie Tautorat erzählt. „Wenn ich hier im Theater sitze, höre ich meinen Mann lachen.“
Das ist dann wohl, was man gelungene Publikumsidentifikation nennt. Die führen die beiden, jetzt munter das zur Probe hereinströmende Ensemble begrüßenden Prime- Time-Masterminds auf die hauseigene Mischung aus Herz, Verstand und Aufrichtigkeit zurück. „Wir betrachten unsere Figuren nicht von oben herab.“ Darin seien sie von Anfang an anders als andere Vertreter der Comedy-Szene gewesen. Aber kann das allein erklären, warum alle, die drin waren, diese Sitcom lieben? „Es verbindet einfach, sich gemeinsam zu amüsieren“, glauben Tautorat und Behrends. Recht haben sie: GWSW ist ein schön schamloses Feelgood-Format.
Die wichtigste – bald auch vom RBB verfilmte – Marke des heute 230 Plätze umfassenden Theaters in der Müllerstraße, das Behrends und Tautorat vor zwölf Jahren in damals noch viel kleineren Räumen gegründet haben und das sich nach langem Strampeln und in stetem Wachstum schließlich auch eine jährliche Senatsförderung von 120 000 Euro erobert hat – zumindest bis zu den nächsten Haushaltsverhandlungen. Die Auslastung des Theaters liegt im ersten Halbjahr 2015 bei 85 Prozent. „Damit kommen wir rum, auch wenn nichts dabei rumkommt“, kalauert Oliver Tautorat.
Eine Bilanz, die das Ex-Ehepaar nicht durch künstlerische Experimente zu trüben gedenkt. „Prime Time steht für Komödie“, wehrt Tautorat die Idee ab, auf dem Polster des erabeiteten Ruhms mal einen Ausflug in Richtung ernsthaftes Volkstheater zu machen. Wie das etwa der Heimathafen Neukölln tut, der sich ein paar Jahre nach dem Prime Time Theater unter demselben Label im anderen „Problembezirk“ verankert hat. Prime Time sei dann doch eher Poptheater, findet Tautorat, was ja schon qua Begriff auf populäre Stilmittel setzt. Auch Behrends lehnt Ernst im Spaßtheater ab: „Das wäre ja wie zum Asiaten gehen, und der bietet griechische Küche an.“
„Sitcom – das ist Leben“
Apropos. Prunkt die Jubiläumsfolge „Wedding Story“ womöglich mit tagesaktuellen Bezügen? Immerhin hat Prime Time vor drei Jahren mit „Eurocrash“ sogar ein finanzsystemkritisches Musical aufgeführt. Behrends schüttelt den Kopf. Die Show sei kein politisches Kabarett. „Sitcom – das ist Leben“. Und das handelt bei GWSW traditionell von Kiezschlampen, Kieztürken, Kiezprolls, Friedrichshainis und dem seit Folge vier schwelenden Generalkonflikt zwischen Weddingern und Prenzlwichsern. Die werden diesmal in ihren Gentrifizierungsfantasien vom Brand der Dönerbude „Chez Ölgür“ angestachelt. Eine Katastrophe, die durch unsachgemäß angewandte Bärchenwurst ausgelöst wird, und das unverzügliche Zusammenstehen aller aufrechten Weddinger erfordert. Und zwar erstmals mit Musik!
18 Songs hat Christian Kaufmann für die erste GWSW-Revue geschrieben. Bei der Probe leitet er das Einsingen. „Na, spielt ihr wieder Musicaldarsteller?“, flaxt Constance Behrends ihre Kollegen an. Die hören sich tatsächlich nicht wirklich wie geborene Solisten an. Angst vor der erstmals mit Headsets bestückten Premiere haben sie und die anderen trotzdem keine. „Wenn mal ein Ton daneben- geht, war’s halt die Figur.“
Das ist das Praktische am Trash-Theater, es geht auch ohne hinderliche Perfektion. Trash? Behrends zuckt zusammen, den Begriff mag sie nicht. „Trash ist Müll. Wir machen alles so gut, wie wir es können.“ Damit sind sie keine Erneuerer des Volkstheaters, aber Erfinder eines Erfolgsformats geworden und – Weddings erste Seelentröster.
Prime Time Theater, Müllerstr. 163, „Wedding Story“ läuft vom 7. August bis 25. September, immer Do-Mo, 20.15 Uhr
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