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Spaghettimonster
© Church of the Flying Spaghetti Monster

Kreationismus: Im Anfang war die Nudel

Glauben oder Wissen: Warum der Kreationismus sich ausbreitet – und trotzdem das Problem der Schöpfung nicht löst.

Vor zwei Jahren hatte Bobby Henderson die Schnauze voll. Zu lange hatte man auf seinen religiösen Gefühlen herumgetrampelt! In seiner Heimat, den USA, diskutierten die Leute darüber, ob sich der Biologie-Unterricht in den Schulen nicht vielleicht ein bisschen vielseitiger gestalten ließe – ein Trend, der nun auch nach Hessen und Bayern herüberschwappt. Die armen Kinder wurden ja doch allzu einseitig mit Darwins Evolutionstheorie traktiert, die, wie das Wort schon sagt, auch nur eine Theorie ist.

Was war mit den ganzen Alternativen? Zum Beispiel dem Kreationismus? Dieser Theorie zufolge entstanden das Leben und wir Menschen nicht aufgrund eines sich Jahrmilliarden dahinschleppenden Prozesses des natürlichen Ausprobierens und Auslesens, sondern als Werk Gottes. Der brauchte für seine Schöpfung eine knappe Woche.

Manche Kreationisten (die „flat earthers“) sind der festen Überzeugung, die Erde sei eine Scheibe. Andere wissen genau, wann Gott die Erde schuf: vor mehr als 6000 Jahren, am 23. Oktober 4004 v. Chr. Wieder andere sprechen nicht von Gott, der hinter den Dingen steht, sondern von einem „intelligenten Designer“. Der intelligente Designer ist nicht näher definiert und nicht direkt wahrnehm-, geschweige denn messbar. Man muss einfach an Ihn oder Es glauben.

2005 sah man auch in der Schulbehörde des US-Staats Kansas ein, wie einseitig der Bio-Unterricht in den Klassen war und beschloss, den Kreationismus in den Lehrplan aufzunehmen. Da platzte dem Studenten Henderson, damals Mitte 20, der Kragen: Zutiefst davon überzeugt, dass sowohl die Evolutionstheorie als auch die kursierenden Varianten des Kreationismus falsch sind, forderte er die Behörde in einem offenen Brief dazu auf, die Schüler fortan zusätzlich in seine Lehre vom Fliegenden Spaghettimonster einzuweihen. Der Vollständigkeit halber. Inzwischen hat der Mann aus dem Brief ein Buch gemacht. Es ist „Das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters“.

Darin verkündet Henderson seine Alternativtheorie vom Ursprung der Arten. Demnach wurde die Welt von einem nicht wahrnehmbaren, nicht messbaren und dennoch allgegenwärtigen Fliegenden Spaghettimonster, kurz FSM, erschaffen. Wir Menschen stammen nicht vom Affen ab, sondern von den Piraten. Der Beweis: Mensch und Schimpanse haben nur zu 98,7 Prozent das gleiche Erbgut – Mensch und Pirat dagegen zu 99,9 Prozent! Der Pasta-Prophet Henderson erklärt auch, warum das mittelalterliche Denken dem aufgeklärten Denken überlegen ist. So wurde in den Jahren zwischen 1400 und 1600 hundertmal mehr Land entdeckt als zwischen 1800 und 2000. Außerdem gibt es – der Inquisition sei Dank! – heute keine Hexen mehr. Oder kennen Sie etwa eine Hexe? Na, sehen Sie.

Zur Enttäuschung Hendersons ist die Lehre vom FSM bisher trotzdem nicht in die Schulklassen eingezogen – und das, obwohl sie sich wissenschaftlich auf dem gleichen Niveau bewegt wie der Kreationismus: Auch Seine Nudeligkeit entzieht sich prinzipiell der empirischen Überprüfbarkeit. Gerade damit prüft Es den Glauben seiner Jünger.

An den Schulen wird auch nicht gelehrt, wir Menschen würden von Außerirdischen, den Thetanen, abstammen. So erklären sich Scientologen unsere Existenz. Die Thetanen-Theorie ist mindestens ebenso fantasiereich wie der Kreationismus und zeichnet sich durch ein vergleichbares Maß an Wissenschaftlichkeit aus: Sie lässt sich ebenfalls weder beweisen noch widerlegen. Man muss einfach nur fest daran glauben.

An dieser Stelle wird der eine oder andere Kreationist protestieren und sagen: Wenn es darum geht, wenn die Beweisbarkeit das Kriterium ist, ob etwas Teil des Bio-Unterrichts sein soll, dann müsste man sich auch die Evolutionstheorie schenken, denn auch die lässt nicht wirklich beweisen oder widerlegen!

Viele Menschen, nicht nur Kreationisten, teilen dieses Gefühl. Und tatsächlich ist es nicht ganz aus der Luft gegriffen. Alles um uns herum, so scheint es, ist doch schon da. Es sieht überhaupt nicht danach aus, als sei in der Natur eine Evolution im Gange. Im Gegenteil, die Welt, die Tiere und Pflanzen und das ganze Ökosystem, in dem ein Rädchen ins andere greift – das alles funktioniert so reibungslos und perfekt: Es sieht aus wie eine göttliche Schöpfung.

So sieht es aus, aber so ist es nicht. Auch wenn uns das manchmal so vorkommt: Evolution ist nicht etwas, das irgendwann einmal stattgefunden hat, und nun müssen wir einfach glauben, dass es passiert ist. Nein, Evolution ist etwas, das ständig geschieht. Jetzt. Wir können sie, und da unterscheidet sich die Evolutionstheorie vom Kreationismus und dem Fliegenden Spaghettimonster, selbst beobachten.

Im Großen und Ganzen ist der Zeitraum, in dem die Evolution sich abspielt, tatsächlich so gewaltig, Millionen oder Tausende oder auch nur Hunderte von Jahren, dass er unsere Vorstellungskraft übersteigt. Unser Gehirn wurde nicht dazu konstruiert, einen Ablauf von Millionen von Jahren zu verstehen. Deshalb fehlt uns hierfür die Intuition.

Manchmal aber spielt sich die Evolution so schnell ab, dass wir sie erleben können. Beispiel: Bakterien, die binnen Jahren resistent gegenüber Antibiotika werden. Die Bazillen führen uns schmerzhaft vor Augen, dass es so etwas wie einen Wandel der Arten tatsächlich gibt.

Selbstverständlich ist die Evolutionstheorie auch prinzipiell widerlegbar: Viele Forscher würden wohl ins Zweifeln geraten, wenn man in einer Erdschicht, die 65 Millionen Jahre alt ist, den Schädel eines Homo sapiens statt eines Tyrannosaurus rex entdecken würde. Und die meisten würden sich wohl endgültig von Darwin verabschieden, wenn man, wie es der Philosoph Karl Popper formulierte, „die Reste eines Autos in Gestein aus dem Kambrium fände“.

Auch die Vogelgrippe ist ein Beispiel für Evolution in Aktion: Schließlich handelt es sich dabei um nichts anderes als ein Virus, das sich ständig ändert – vielleicht irgendwann so, dass es auch den Wirt namens Mensch knacken kann.

Bakterien, die resistent werden gegenüber Antibiotika? Eine Vogelgrippe, die zur Menschengrippe wird? Ein Kreationist müsste vor diesen Phänomenen eigentlich völlig ratlos dastehen. Wenn die Arten das Werk einer einmaligen göttlichen Schöpfung sind, woher kommt dann die jährliche Grippewelle? Wenn es einen intelligenten Designer gibt, der hinter alledem steht, warum ist unser Design dann teilweise so verdammt unintelligent?

Warum leiden so viele von uns unter chronischen Rückenschmerzen? Die Erklärung ist: Der aufrechte Gang ist entwicklungsgeschichtlich etwas ziemlich Neues. Die meiste Zeit krochen unsere Vorfahren auf allen Vieren herum. Zwei Beine freizubekommen ist zwar praktisch, geht aber mit dem vorhandenen Wirbelsäulendesign schnell auf den Rücken. Einen Ingenieur, der so etwas konstruieren würde, würden wir nicht als intelligent bezeichnen, nein, wir würden ihn verklagen. Warum würde ein Schöpfer oder ein intelligenter Ingenieur einem Mann Brustwarzen geben, die keine Funktion haben? Der Mann hat sie trotzdem, denn es wäre zu aufwendig, eigens für den Mann einen völlig neuen Brustbauplan zu entwerfen, zumal ihm die Brustwarzen beim Kampf ums Dasein nicht weiter im Wege stehen.

Wie verwirrend müssen all diese Phänomene für einen Kreationisten sein! Manche sagen, das Weltbild der Kreationisten sei deshalb so verführerisch für viele Menschen, weil es einfach und klar ist und die enorme Vielfalt um uns herum mit einer simplen Theorie erklärt. Aber das gilt nur, solange man nicht allzu genau hinguckt.

Denn Bakterien, die antibiotikaresistent werden, oder ein Vogelvirus, das zum Menschenvirus mutiert – all das stiftet für einen Kreationisten keinen Sinn, sondern Konfusion: War die Schöpfung doch nicht perfekt oder warum ändert Gott/der intelligente Designer sie jetzt plötzlich? Warum schafft Er ein neues Tuberkulosebakterium, diesmal nur widerstandsfähig gegenüber unseren Antibiotika? Wir werden es nie wissen, denn anders als bei einer wissenschaftlichen Theorie weiß man bei einer „Theorie“, die einen göttlichen Schöpfer bemüht, nie, was der Schöpfer wirklich im Sinn hat und wie er tickt.

Früher haben die biblischen Auslegungen die Welt ja tatsächlich erklärt – und deshalb ist es auch so verständlich, dass es sie gibt. Wir wussten es nicht besser, herrje! Heute ist es genau umgekehrt: Die Welt ergibt viel mehr Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es keinen Schöpfer nach Bibel-Art oder einen intelligenten Designer gibt. Der Kreationismus ist nur unter einer Voraussetzung nicht verwirrend: Wenn man sich hermetisch abschottet, neues Wissen ignoriert und dafür sorgt, dass man auf dem Informationsstand vom Jahre 100 bleibt.

Es heißt, die Evolutionstheorie, die Idee, wir seien das Resultat zufälliger Mutationen und Selektion, führe zu einem leeren, ja kalten Weltbild. Aber auch da verhält es sich in Wahrheit eher umgekehrt. Gerade ein kreationistisches Weltbild ist starr und kalt. Es lädt dazu ein, diese Welt in ihrer ganzen Vielfalt nicht zu entdecken, sondern die Augen davor zu verschließen. Die Schlussfolgerung steht eh schon fest. Das fertige Weltbild versperrt den Weg zu neuen Erfahrungen. Die ganzen Entdeckungen, die von anderen gemacht werden, stören das fertige Weltbild des Kreationisten ja nur!

Wie anders ging da Charles Darwin vor, der seit seiner Kindheit Käfer und andere Tiere sammelte, der einmal mit dem Schiff um die Welt reiste und jahrzehntelang zögerte, bevor er seine Gedanken von der Entstehung der Arten formulierte. Viel offener kann man kaum auf diese Welt zugehen.

Diese Offenheit und das Glück, die Welt da draußen – und sei es nur ein Bruchteil davon – entdecken zu dürfen, uns selbst zu entdecken und nach und nach besser zu verstehen, das ist, wenn man so will, vielleicht sogar eine religiösere Haltung als die, mit einer fertigen Schlussfolgerung im Kopf auf die Wirklichkeit zu blicken und vor lauter Schlussfolgerung den Reichtum der Wirklichkeit gar nicht mehr zu sehen. Einstein hat das einmal so ausgedrückt: „Was ich in der Natur erblicke, ist eine großartige Struktur, die wir nur bruchstückhaft verstehen können. Diese Struktur muss jedem denkenden Menschen ein Gefühl von Bescheidenheit vermitteln – ein authentisches religiöses Gefühl, das mit Mystizismus nichts zu tun hat.“

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