Martina Gedeck im Interview: „Ich war dem Hund ein Hund“
Martina Gedeck spielt in ihrem neuen Film „Die Wand“ eine einsame Frau, gefangen hinter einer unsichtbaren Wand, die sie von der restlichen Welt trennt. Über diese Grenzerfahrung einen ganzen Film ohne Worte und nur durch Mimik zu spielen, spricht die Schauspielerin bei uns im Interview.
Frau Gedeck, wenn man einen Film als Schauspielerin so solitär trägt, wie Sie es bei „Die Wand“ tun, hat man dann irgendwann die Nase voll von der Geschichte?
Na ja, es ist gut, dass man sich erst ein Jahr später wieder reflektorisch mit dem Film beschäftigt. Jetzt kann ich es genießen. Ich habe meine Notizen und Unterlagen noch mal angeschaut, um alles Revue passieren zu lassen. Ich hatte eigentlich damit abgeschlossen, aber jetzt fällt mir tatsächlich noch Neues ein. Zum Beispiel ist mir gestern etwas in Bezug auf den Hund klar geworden. Ich wusste, dass ich nie ein „Herrchen“ für den Hund war. Wir hatten eher ein ebenbürtiges Verhältnis, ich war für ihn also quasi auch ein Hund! Und das lag daran, dass ich außer ihm die Einzige war, die den Befehlen seines Herrchens – nämlich des Regisseurs Julian Roman Pölsler – widerspruchs- und bedingungslos folgte, genau wie er! An mir als Mensch war der Hund nie besonders interessiert, er begegnete mir mit Gleichmut, das war mir sehr angenehm.
Hat dieses intensive Arbeiten Ihr Verhältnis zu Tieren verändert?
Das hat es zum Glück. Anfangs hatte ich keinen Bezug zu Hunden, außer einer gewissen Ängstlichkeit. Das Stöckchenspielen mit ihm oder ähnliches fand ich eher peinlich. Seit dem Film aber nehme ich Tiere mehr wahr, ich kann besser mit ihnen kommunizieren. Wenn mir jetzt ein Hund begegnet, was ja in Berlin oft passiert, begrüße ich ihn, habe keine Angst mehr. Ich werde auch nicht mehr angebellt. Ich fühle mich jetzt wohler, wenn Tiere da sind.
Was hat diese besondere Rolle sonst noch mit Ihnen angestellt?
Dadurch, dass ich mich die ganze Zeit beim Spielen nicht auf andere Menschen bezog, wurde mir eine Menge über meine Arbeit klar: Ich war wie befreit, etwas Essenzielles bleibt übrig, die Grundstrukturen der Schauspielerei. Nämlich dass man denkt, empfindet und sich körperlich ausdrückt. Das war wie eine Studie für mich.
Klingt ein bisschen nach Therapie ...
Nein, denn es hatte nichts mit meinem privaten Leben zu tun. Ich musste die verschiedenen Bereiche meines Schauspielerinstrumentariums so ausgeprägt spielen, weil ich eben keinen Text hatte. Alles sichtbar werden lassen, nur über feinmechanische Mimik. In der Form war ich statisch, konnte mich zum Beispiel am Tisch kaum bewegen, musste jegliche Regungen über das Gesicht laufen lassen. Dass jemand nachdenkt, kriegt man ja ansonsten eher selten im Film zu sehen...
Wie gehen Sie dabei vor? Denken Sie an etwas Trauriges aus Ihrer Vergangenheit, wenn sich das auf dem Gesicht spiegeln soll?
Nein, das entsteht bei mir anders. Ein Beispiel: Am Anfang des Films sieht man die Frau schreiben, und man hört aus dem Off, dass sie sich fürchtet – dass sie schreibt, um nicht den Verstand zu verlieren. An der Stelle schaue ich das erste Mal auf, man sieht zum ersten Mal ihr Gesicht. Das ist, als ob ein Vorhang aufgeht: Man schaut in den Menschen hinein. Und was soll man sehen? Eine existenzielle Bedrohtheit. Wenn ich mir das als Schauspielerin vornehme, muss das Empfindungsarsenal in mir wachsen. In dem Augenblick, in dem ihre Angst immer größer wird, muss ich mir erlauben, in diesen Zustand zu gehen, den ich kenne. Ohne dass ich an konkret Erlebtes denken muss.
"Das Zentrum der Männlichkeit ist zart, schützenswert, verletzlich"
Braucht man für solche Rollen besondere Lebenserfahrung, vielleicht mit Extremsituationen?
Man hat ohnehin nie mehr als die eigene Lebenserfahrung. Man darf eben nur nicht so tun, als ob man etwas erlebt hätte, wenn es nicht stimmt, eine Situation durch starkes Schnaufen oder geweitete Augen stemmen – wenn man ganz jung ist, müsste man so etwas vielleicht anders spielen. Es gibt zudem nur wenige Grundgefühle, Wut, Angst, Freude, Trauer, die hat jeder schon einmal erlebt.
Man fragt sich natürlich sofort, was man in der Situation der Frau machen würde: kämpfen oder aufgeben? Und hätte man es dann geschafft, sich umzubringen?
Bei dem momentanen Stand meines Lebenswissens gibt es gewisse Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann. Für mich gehört dazu auch der Suizid. Aber scheinbar hat man das nicht unbedingt selber in der Hand. Ein Suizid käme für mich niemals infrage. Daran habe ich insofern nicht gedacht, sondern eher an die Frage, ob man in einer solchen Isolation „ordentlich“ bleibt, also im zivilisatorischen Gefüge, oder verrückte Sachen machen, sich aus den Strukturen hinausbewegen würde.
Die Frau im Buch entscheidet sich für die Verantwortung für Tiere und Landschaft...
Für die Protagonistin sind diese Bindungen der Grund, nicht einfach weiter zu ziehen und sich auch nicht umzubringen. Obwohl man ja weiß, dass das bei Menschen, die sich wirklich das Leben nehmen wollen, nicht mehr zählt. Deswegen sehe ich die Geschichte um die Frau hinter der Wand eigentlich als Prozess des Gesundens, bei dem sie sich von den Menschen abkehrt, und sich den Tieren, also auch den Trieben, den archaischen Kräften zuwendet. Man könnte so verwegen sein, und jedes der Tiere einer der Urkräfte zuordnen, die Krähe, der Hund, die Katze, die Kuh, der Stier. Diese Tiere kennt nicht nur jeder, der Yoga macht, sondern auf der ganzen Welt kommen sie vor, in allen Religionen und Kulturen...
Denken Sie, dass die Romanautorin Marlen Haushofer das so gemeint hat?
Das wissen wir nicht. Solche Dinge können auch unterbewusst mitschwingen. Das heilige Tier, die Kuh, gebiert den Stier, also die Sexualität. Insofern ist für mich klar, dass die Protagonistin keine Menschen gebrauchen kann, denn diese Tiere holen sie wieder ins Leben zurück. Die Figur, die wir am Anfang sehen, ist die erstarrte, eingepanzerte Person, es könnte eine depressive oder kranke Frau sein. Diese Katastrophe, die wie eine Explosion über sie hineinbricht, bringt sie zu ihrem eigenen Wesen. Ich denke schon, dass Haushofer über solche Dinge nachgedacht hat. Dass sie das zwanghafte Leben tötete, um zu gucken, was übrig bleibt. Das hat Pölsler sehr genau gewusst und konnte es deshalb verfilmen. Mich zieht der Film nicht runter, sondern ich komme erfüllt aus dem Kino.
Wie wichtig ist es, dass eine Frau das Buch geschrieben hat?
Ich glaube, dass Haushofer im Kern etwas schreiben wollte, das ins Positive weist, einen Ausblick schafft. Man soll die Bewegung der Frau als Aufbruch sehen, nicht als Ende. Lars von Trier macht zum Beispiel Filme, in denen Schluss ist, Weltuntergang. Das sagt einem nichts, das ist für den Moment interessant, aber es wirkt nicht nach.
Und ist das nun ein Frauen-Männer-Ding?
Vergessen Sie nicht, dass Pölsler ein richtiger Mann ist!
Der seine weibliche Seite finden wollte?
Das Zentrum der Männlichkeit ist zart, schützenswert, verletzlich. Was ist eine männliche, was eine weibliche Seite? Ich weiß es nicht. Diese Geschichte hat eher mit unserer Zeit zu tun, denke ich, damit, dass wir Zugewandtes brauchen. Und Männer, die eine gewisse Klugheit haben und nicht nur spielen wollen, die verstehen das auch. Die wissen, dass es etwas zu tun gibt, dass wir Aufgaben haben: Dem Leben Zugewandtes zu produzieren. Sir Simon Rattle macht das auch. Oder Daniel Barenboim. Um nur zwei Beispiele zu nennen...
Jenni Zylka
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