Dagmar Manzel: „Ich habe bereits als Kind rumgesponnen“
Ihre Lieblingsgarderobe ist im Deutschen Theater, sagt Dagmar Manzel. Vom Töneschmettern im Auto, Operetten in der DDR und der Stille ihres Gartens.
Dagmar Manzel, 54, ist Schauspielerin und feiert seit 2008 mit „Kiss me, Kate“ große Erfolge an der Komischen Oper, wo sie ab dem 9. Juni in der Jazz-Operette „Ball im Savoy“ zu sehen ist. Manzel drehte bereits mit Frank Castorf, Heiner Müller und Helmut Dietl. Sie lebt in Berlin.
Frau Manzel, als Kind wollten Sie eigentlich Busfahrerin werden.
Was man nicht alles wollte … ja, Busfahren fand ich toll. Am liebsten hätte ich natürlich so einen Doppelstockbus gefahren. Später im Film „Schtonk“ musste ich einen Laster steuern und dafür eigens einen Führerschein machen. In meiner ersten Fahrstunde bin ich am KaDeWe vorbeigefahren und habe gedacht: Wenn die Leute wüssten, dass ich überhaupt nicht fahren kann.
Stattdessen sind Sie auf die Schauspielschule gegangen. War das für Sie gleich die richtige Entscheidung?
Ja. Ich ging auf die Berliner Schauspielschule, die heute „Ernst Busch“ heißt. Mein größtes Handicap am Anfang war: Ick hab’ stark barlinart. Aber zum Glück hatte ich mit Elisabeth Braun eine Sprecherzieherin, die sehr geduldig war.
Und am Anfang haben Sie sich auch nicht so elegant auf der Bühne bewegt wie heute.
Mein Mentor Wolfgang Engel, der als Regisseur nach Dresden ging, hat mich mit 21 Jahren gleich als Königin Maria Stuart besetzt. Ich hatte damals wirklich einen sehr latschigen Gang. Mit hängenden Schultern bin ich in meinem Kleidchen über die Bühne geschlurft. Wolfgang Engel sagte: „Mensch, so wie du loofst, wird aus dir nie ’ne Königin!“ Er hat mich getriezt, und bei ihm habe ich den aufrechten Gang gelernt.
Heute haben Sie alles erreicht: Schauspielerin des Jahres, Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis, Lola. Manche nennen Sie „Grande Dame des deutschen Theaters“. Als Diva gelten Sie trotzdem nicht.
Alles habe ich zum Glück noch nicht erreicht. Eine Diva bin ich nicht, nein, und eine Grande Dame klingt in meinen Ohren auch nicht gerade sehr schmeichelhaft. Ich bin ein Theatertier. Ich lebe auf der Bühne, brauche die Resonanz des Publikums, den Moment des nicht Wiederholbaren.
Es gab Zeiten, da spielten Sie acht bis zehn Hauptrollen in einer Saison, standen 20 Tage im Monat auf der Bühne, waren ständig im Fernsehen. Werden Sie auf der Straße erkannt?
Eher selten. Die Berliner quatschen einen nicht an. Die sind ja selber so muffelig. Außerdem bewege ich mich nicht in der Yellow Press, niemand will wissen, welches Kleid ich trage, ob mein Hund, den ich gar nicht habe, krank ist oder nicht. Natürlich gehört Klappern zum Handwerk. Aber für mehr ist mir die Zeit zu schade.
Sie meiden Talkshows und rote Teppiche.
Richtig, zu viel Rummel um meine Person mag ich nicht. Für eine neu produzierte CD oder einen neuen Film gehe ich schon mal in eine Talkshow. Ich bin zum Beispiel gern beim „Kölner Treff“, da sind die Leute gut vorbereitet und wissen, wovon sie reden. Ich finde es immer furchtbar, wenn einem Leute gegenübersitzen und man schon nach einer Frage merkt: Der weiß null, der hat keine Ahnung, wer du bist, was du machst. Der sagt dann auch noch: Frau Menzel. Da denke ich: Ach, du Scheiße, warum bist du da bloß hingegangen?
Wie sieht eigentlich ein fauler Tag bei Ihnen aus?
Lesen, quatschen, kochen, im Garten arbeiten, pflanzen, ernten, Kräuter sammeln, Tee machen.
Was kochen Sie denn?
Ich bin Vegetarierin und koche gern ayurvedisch. So mit Gemüse und Tofu. Dazu ein bisschen Reis.
Wie sie die Operette entdeckte
Ihre ganz große Liebe aber ist das Singen. Lange Jahre waren Sie eine seriöse Schauspielerin, meist mit ernsten Rollen. Dann haben Sie plötzlich die Operette und das Musical entdeckt.
Man wird nicht zwangsläufig unseriös, wenn man sich dem Singen widmet. Ich singe seit 13 Jahren. Habe am Deutschen Theater angefangen mit der „Großherzogin von Gerolstein“, hatte einen Liederabend, und dann kam „Sweeney Todd“, ein Broadway-Musical an der Komischen Oper. Barrie Kosky, der heute dort Intendant ist, hat mich in der Gerolstein gesehen und gesagt: Wir müssen „Kiss me, Kate“ machen. Ich freue mich jeden Tag, dass es Barrie Kosky gibt, und er hat sich auch bei meiner Mutter bedankt, dass es mich gibt.
Dieser Wechsel zur Operette – viele würden sagen: Ein Abstieg!
Das sagen nur die Leute, die nicht wissen, was das für ein Knochenjob ist. Für mich ist es ein Aufstieg, ein Anknüpfen an eine großartige Theatertradition. Und nebenbei spiele ich immer wieder gerne genauso – wie Sie es sagen würden – seriöses Theater ohne Musik: Diese Mischung, die Wechsel und Varianten, das ist das Spannende an diesem Beruf.
Die Unterscheidung von E und U, also ernst und unterhaltend, ist fragwürdig.
Das ist furchtbar und im deutschsprachigen Raum leider sehr verbreitet. In anderen Ländern bestehen diese Berührungsängste nicht. Gottseidank kommt Barrie Kosky aus Australien. Er inszeniert Mozart, Monteverdi, Weill, zeitgenössische Musik. Aber eben auch Musical. Richtig gute Unterhaltung zu machen ist unglaublich schwer, ist aber genauso bereichernd wie eine Mozart-Oper. Manchmal muss man das Tiefgründige verstecken. Wo? Unter der Oberfläche, sagte mal Hugo von Hofmannsthal.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Leute plötzlich wieder in Operetten gehen?
In den 20er und 30er Jahren gab es noch keinen Fernseher, die Menschen liebten diese Unterhaltungsform. Nach ’33 ist das verloren gegangen, in den 50ern gab es nur prüde Aufführungen – Operette hatte etwas Anrüchiges, Oberflächliches, aber das ist es oft gar nicht. Jetzt erst entsteht da langsam wieder etwas. Eine Anknüpfung an die Kunst dieser Unterhaltung, die Menschen wissen es zu schätzen.
Vielleicht auch durch Ihre Arbeit. Ihr neues Stück ist schon wieder eine Operette, „Ball im Savoy“. Am 9. Juni hat es Premiere an der Komischen Oper.
Das ist so schöne Musik – ich fasse es nicht, dass das in Deutschland fast 70 Jahre nicht gespielt worden ist. In Osteuropa, Russland, Ungarn ist Paul Abraham, der Komponist, sehr beliebt, bekannt und auch nach dem Krieg überall gespielt worden. Hier kennt ihn kaum ein Mensch. Ich hoffe, dass sich die Zuhörer jetzt wieder in die Musik verlieben werden und er wiederauferstehen kann in Deutschland.
Sind Sie da auch eine Furie wie in „Kiss me, Kate“?
Nein, die Rolle der Madeleine ist sehr zart, hat weniger Clowneskes. Erst als sie erfährt, dass sie betrogen wird, explodiert sie. Das Stück ist modern, frech, frivol und gleichzeitig melancholisch, eine „Jazz-Operette“, die sich von der eher schmalzigen Wiener Operette der 20er und 30er Jahre stark unterscheidet.
Sie sind ein Kind des DDR-Theaters. Verraten Sie mit Ihren Operetten den politischen Bildungsauftrag des Theaters?
Definieren Sie bitte mal den politischen Bildungsauftrag des Theaters. Sie und Ihre Klischees! In der kleinen DDR gab es mehr Operette als in der BRD. Theater in jeder Form ist immer politisch, sozialpolitisch – in der Interaktion von Menschen auf und vor der Bühne. Der Übergang vom Theater zur Operette war für mich ein Geschenk. Ich habe musikalisch arbeiten dürfen, was mein Traum war. Zu DDR-Zeiten hat mich die Operette nicht interessiert, ich habe meistens klassische Musik gehört.
Welche Musik haben Sie als Jugendliche gemocht?
Alle neun Sinfonien von Beethoven, von Kurt Masur dirigiert. Klavierkonzerte, Mozart-Requiem, ich habe sehr früh schon ’ne tolle Plattensammlung gehabt. Aber natürlich habe ich auch Deep Purple und die Beatles gehört, auch gern Schlager, schon als kleines Kind, ich fand es toll.
Sie nehmen Gesangsunterricht. Üben Sie zu Hause?
Auch, aber meistens singe ich im Auto. Mein Gesangslehrer Günther Giese schimpft dann immer. Im Sitzen einsingen ist nicht gut für die Stimme. Nur ist die Zeit halt meistens so knapp. Neulich stehe ich an der Ampel und schmettere meine Töne. Da war einer auf dem Mopedroller neben mir, der muss das durch die Scheibe gehört haben und drehte sich so langsam zu mir um. Der hat bestimmt gedacht, die hat ’nen Sockenschuss.
Welche Musik hören Sie heute?
Ich mache so viel Musik, dass ich, wenn ich mich entspanne, gar nichts höre. Dann setze ich mich in den Garten und bin froh, wenn es still ist.
Ein Liederprogramm von Ihnen heißt „Ich bin ein Wesen leichter Art“.
Das war mein erster Soloabend. Die Leichtigkeit ist das Grundwesen des Schauspielens. Die Klarheit, die Wachheit, die Gabe zu improvisieren – das kommt alles aus einem Spiel. Ich genieße das Leben. Das hat auch mit dem Alter zu tun, mit den Erfahrungen, die man macht. Mit Dingen, von denen man sich verabschieden muss oder kann oder darf. Ich genieße es, älter werden zu dürfen.
Was ist so schön daran?
Die Vorstellung, ewig jung zu bleiben, ist ein Albtraum. Wenn man älter wird, sagt man sich: Komm, sieh es mal in Relation. Ist doch nur Theater, ist nur Film. Es gibt die Hoffnung auf eine gewisse Gelassenheit.
Aber der Körper verfällt.
Ja, das steht uns allen bevor. Es gibt auch eine körperliche Schönheit des Alters. Lasst doch die jungen Leute jung sein und die alten alt. Falten erzählen eine Geschichte, zeigen, wie der Mensch lebt, denkt, wie glücklich und unglücklich er ist. Ein altes Gesicht, das lacht und gelebt hat, ist wunderschön und auch sehr erotisch.
Warum sie eine "geile Rolle" ablehnte
Das Alter verändert auch die Rollen.
Manches muss ich nicht mehr spielen. Erst neulich habe ich „Money Money“ aus „Cabaret“ gesungen, da dachte ich, Sally Bowles, das wäre für mich echt ’ne tolle Rolle gewesen. Das ist Musik, die durch den Körper geht. Jemand sagte: Das könntest du doch noch spielen. Wisst ihr was, sagte ich: Es ist eine geile Rolle, aber irgendwann ist auch mal gut.
Haben Sie mit Ihrem komödiantischen Talent schon als junges Mädchen die anderen Kinder zum Lachen gebracht?
Ich habe bereits als Kind rumgesponnen. Mich stundenlang mit mir selbst beschäftigt, mit Spielzeug. Das kenn ich ja auch von meinen zwei Kindern, wenn die dann anfangen, sich und ihre Hände zu entdecken, mit welcher Konzentration das geht! Hingabe, einzigartige Hinwendung zu dem Gegenstand, ob das ein Blatt oder ein Baustein ist oder ein Vogel. Dieses Moment musst du auf der Bühne auch haben. Dass du einfach vergisst, wie du aussiehst, wer dir zuschaut. Wenn ich mit einem Kollegen improvisiere, dann ist das, als würden sich zwei Kinder im Buddelkasten Geschichten erzählen. Schauspielerin sein heißt auch, ewig Kind bleiben zu dürfen.
Haben Ihre Eltern versucht, Sie von der Schauspielerei abzubringen?
Ich habe mich heimlich an der Schauspielschule beworben. Wenn du durchfällst, dachte ich mir, wirst du es nie jemandem erzählen. Ich wollte mich nicht blamieren. Aber wenn du später Sekretärin bei einer Wohnungsbaugesellschaft bist oder weiß Gott, wo ich gelandet wärst, dann guckste so ausm Fenster und denkst: Hätteste es wenigstens mal probiert! Bei uns in der Familie gab es keine Ambitionen in diese Richtung, meine Geschwister haben alle ganz handfeste Berufe, vom Kfz-Schlosser bis zur Bankangestellten. Ich habe den Test bestanden und es danach meinen Eltern gesagt. Die sind aus allen Wolken gefallen. Ich war die Jüngste, bissel der Liebling, sie waren sehr stolz. Meine Mutter kommt zu jeder Premiere, „Kiss me, Kate“ hat sie bestimmt sechs Mal gesehen.
Was hat die Wende für Sie persönlich bedeutet?
Ein großer Befreiungsschlag. Wie mutig die Menschen waren, wie groß die Visionen, wie man dieses Land verändern könnte. Ich habe das allerdings mit einer gewissen Distanz erlebt, weil ich genau da meinen Vater durch einen Unfall verloren habe. Ich war so mit den privaten Problemen beschäftigt, dass ich nicht durch die Straßen rennen und alles sehen konnte. Nach der Wende habe ich genossen, dass so viele schöne Filmprojekte kamen, die vorher unmöglich gewesen wären.
Ihre Tochter ist auch Schauspielerin geworden.
Mich hat es verwundert, weil sie es als Schauspielerkind ja schwer hatte. Die Mutter immer weg, Proben, Vorstellungen. Sie wollte erst Bühnenbild machen, dann hat sie bei einer Hospitanz festgestellt: Ich will auf, nicht hinter der Bühne stehen! Sie hat dann an der HFF studiert und Theater gespielt. Jetzt arbeitet sie freiberuflich, dreht viele Filme.
Ist sie gut?
Ja! Wir haben jetzt sogar einmal zusammen gedreht, eine kleine Szene im Fernsehfilm „Mord nach Zahlen“. Es gefällt mir schon sehr, was sie macht. Sie ist ganz anders als ich. Sehr fein. Sehr bei sich. Eine große Begabung.
Gibt es überhaupt ein Berliner Theater, in dem Sie noch nie aufgetreten sind?
Im Gorki, da war ich nur auf der Probebühne.
Auf welcher dieser vielen Bühnen stehen Sie am liebsten?
Ohne zu übertreiben: Alle diese Räume haben eine magische Anziehungskraft. Man ist sich bewusst, wer hier schon alles gestanden hat, man spürt die Energie der Zuschauer, deren Gesichter man nicht sieht, man lebt in einer Welt, die alles sein kann. Wo bekommst du das – und dann auch noch Geld dafür?
Und wo gibt es die schönsten Garderoben?
Im Deutschen Theater! Gleich rechts, wenn man reinkommt, ist diese Sologarderobe, da war ich in meinen 18 Jahren oft. Herrliche alte Stühle und diese beige Liege, auf der meine Kinder gewindelt wurden.
Wo hatten Sie die schlimmste Bühnenpanne?
Als übergewichtige Penelope von Botho Strauss wurde ich in einem kleinen Kasten von der Unterbühne nach oben gefahren. Der Kasten blieb stecken und mit ihr die Penelope im Fatsuit. Die Vorstellung musste abgebrochen werden, und die Zuschauer mussten leider nach Hause gehen. Nach einer halben Stunde wurde ich dann endlich auch aus dem Kasten befreit.
Sie sagten mal, Sie seien für die nächsten zehn Jahre ausgebucht. Macht Ihnen das Angst?
Ich habe bis 2016 Projekte. Zum Teil schon Verträge unterschrieben. Ob mir 2016 noch danach zumute ist? Ob ich da noch so singen will? Manchmal denke ich: Entschleunige mal ein bisschen, pass auf dich auf, zieh die Bremse – aber solange es Spaß macht, kann ich nicht anders.
Wolfgang Prosinger, Julia Prosinger
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