Gerhard Seyfried im Interview: "Ich bin nach Bedarf links"
Gerhard Seyfried, Cartoonist und Schriftsteller, war in den 70er und 80er Jahren Chronist und Symbol der linken Szene in Kreuzberg. Nach dem Mauerfall hat er zumindest zeichnerisch mit ihr gebrochen. Ein Linker ist er bis heute.
- Anke Myrrhe
- Maris Hubschmid
Herr Seyfried, wenn bei Ihnen eingebrochen wird, rufen Sie dann die Polizei?
Ich habe schon drei Einbrüche erlebt, in verschiedenen Wohnungen und war glücklicherweise immer zu Hause.
Sie konnten mit der Bratpfanne hinter der Tür lauern?
Das nicht, die pure Anwesenheit reichte. Nur einmal musste ich ein bisschen laut werden.
1983 sagten Sie, Sie hätten keine andere Möglichkeit als Einbrechern aufzulauern und ihnen auf die Nase zu hauen, weil „die Bullen“ für sie keine Option waren. In Ihren Comics kamen die immer schlecht weg.
Ich habe nichts gegen die Polizei. Ich habe da einen ganzen Fankreis, der ab und zu mal bei mir Plakate holt, die das Thema betreffen.
Und trotzdem mögen Sie sie nach wie vor nicht?
Drücken wir es mal so aus: Ich habe in etwa so weit Vertrauen in die Polizei, wie ich meine Waschmaschine werfen kann.
Kommt dieses Misstrauen davon, dass Sie jahrelang im Raster der Terroristenfahndung waren und ständig überwacht, auch mehrfach verhaftet wurden?
Nein, das ist alles so lange her. Ich weiß durchaus, dass es auch anständige Leute bei der Polizei gibt. Aber die Polizei als Institution wird regelmäßig für politische Zwecke missbraucht.
Geben Sie uns ein Beispiel?
Demonstrationen. Nicht nur, dass die Polizei sie so organisiert, dass sie den Straßenverkehr behindern. Dadurch werden die zum Störfaktor, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen. Und wenn ich mir ansehe, wie die Polizei gegen die Demonstranten vorgeht, zum Beispiel am 1. Mai. Wann war das als dieser Supermarkt niedergebrannt wurde in Kreuzberg? 87 oder so. Da habe ich am Lausitzer Platz erlebt, wie das anfing. Da waren ein paar Betrunkene, da sind ein paar Scheiben eingeworfen worden und plötzlich schießt die Polizei von allen Seiten in die Masse Tränengas. Ohne Anlass. Da ist mir klar geworden, dass sie die Eskalation suchen und fördern.
Am 1. Mai suchen auch viele Demonstranten die Eskalation.
So sieht es aus, wenn man der Presse glaubt, was ich selten tue. Ich habe es nicht nur einmal mit eigenen Augen gesehen: Es war die Polizei. Wahrscheinlich aus Budgetgründen.
Budgetgründe?
Wenn es kein Feindbild gibt, dann wird Polizei und Geheimdienst das Budget beschnitten. Das wollen die natürlich nicht. Deswegen zeigen sie bei jeder Gelegenheit, wie notwendig sie sind. Wie alle Apparate wollen sie ihre Macht vergrößern, sich ausbreiten, mehr Gelder kriegen.
Die Terroranschläge auf die Bahn vor zwei Monaten – das war aber nicht die Polizei.
Völlig idiotische Aktionen waren das. Das Dumme ist, dass es wirklich Reisende gefährdet und ne Menge Leute belästigt. Das waren entweder Provokateure oder Idioten, die dachten, damit kann man nem großen Konzern schaden. Und wenn es wirklich linke Täter waren, was auch möglich ist, dann ist eine gute Portion Feigheit dabei, weil sie sich an die richtigen Ziele nicht rantrauen.
Die wären?
Sag ich nicht.
Gewalt lehnen Sie also nicht grundsätzlich ab?
Von Gewalt kann ich nur abraten. Aber ich verstehe, dass junge Menschen keinen anderen Weg sehen, wenn man sie in die Enge treibt oder wenn sie ein bisschen hirnrissig sind. Dass man auf irgendwas Blödes abfährt und dann da reingezogen wird.
So wie Ihr Vater, der bei der SA war?
Ich hatte deswegen lange Auseinandersetzungen mit meinem Vater, ziemlich bösartige. Ich musste älter werden, bis ich ihn auch ein bisschen verstanden habe. Er hat auf dem Land gewohnt, und die SA hat ihm den Weg in die Großstadt geebnet.
Also ist es Zufall, wem man sich politisch anschließt? Wer eben zuerst vorbeikommt?
Ich fürchte fast.
Sie sind ja auch ein wenig zufällig in diese linke Szene gerutscht.
Schuld war die Zeit bei der Bundeswehr. Da wurde ich nachts geweckt und musste irgendeinen Quatsch machen. Da bin ich dann zu den Kriegsdienstgegnern gelaufen, um mich zu erkundigenn wie ich da rauskomme. Und so bin ich in die linke Szene reingeraten.
Liegen links und rechts gar nicht so weit auseinander?
Natürlich berühren sich politische Extreme irgendwo, siehe Mussolini, der Anarchist war und Faschist. In den ganz extremen Ecken verwischen die Unterschiede, vor allem wenn man auf Gewalt abfährt oder Sachen mit Gewalt durchsetzen will. Da berühren sich dann sogar Linke, Nazis und die katholische Kirche.
Im Fall der Bahnanschläge kam schnell der Vergleich mit der RAF.
Das ist Angstmache. Ich finde es nicht gut, dass ein großer Teil der Presse darauf einsteigt. Die Anschläge haben mit der RAF überhaupt nichts zu tun, solche Tendenzen gibt es heute nicht mehr.
Weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen heute andere sind?
Ja. Was heutzutage sinnvoll ist, ist zum Beispiel die „Occupy-Wallstreet“-Bewegung. Die hat Zukunft und da entwickelt sich auch eine breite Basis in der Bevölkerung, in vielen Ländern.
Ist das der Anfang vom Ende des Kapitalismus?
Ich würde mich freuen, wenn die Banken eins auf den Deckel kriegten. Es wäre wirklich allerhöchste Zeit. Darum verfolge ich sehr aufmerksam bei Facebook und Twitter, was da passiert. Und ich stachele die auch ein bisschen an.
Gehen Sie auch vorm Reichstag demonstrieren?
Nein. Ich bin zu faul, zu viel Arbeit. Aber gestern habe ich bei Facebook geschrieben: Man soll seine Ersparnisse aus der Bank holen. Unter der Matratze sind sie erheblich sicherer.
Sie haben Ihr Geld unter der Matratze?
Ein Euphemismus. Ich habe es im Internet versteckt.
Das müssen Sie uns erklären!
Nein, das wird mir zu intim.
Es ist noch nicht lange so, dass Sie überhaupt etwas zu verstecken haben. Noch 2002 haben Sie gesagt, Sie könnten sich keinen Urlaub leisten. Erst seit Sie historische Romane schreiben, verdienen Sie gut.
Ich lebe von drei Berufen: Comiczeichner, Schriftsteller, Historiker. Drei Berufe braucht man heutzutage mindestens, um über die Runden zu kommen.
Sie hätten aber auch schon vorher kommerziellen Erfolg haben können, doch Sie wollten nicht ins Fernsehen, sich nicht in die Vermarktungsmaschinerie einspannen lassen. Haben Sie das nie bereut?
Ich stehe zu dem, was ich war und was ich bin.
Wenn Sie heute dem jungen Gerhard Seyfried begegneten, hätten Sie ihm nichts vorzuwerfen?
Nein, ich würde ihm lediglich raten, sich die Haare zu schneiden.
Sie sind nach wie vor überzeugter Linker?
Irgendwo schon. Ich bin, sagen wir mal, nach Bedarf links. Aber ich organisiere mich nicht, ich höre nicht auf Parteien. Auf die zu allerletzt, die hasse ich!
Auch die Piraten?
Die sagen mir nicht viel. Ich gebe Ihnen auch keine große Zukunft. Was ich immer im Ohr habe ist, dass die das Urheberrecht abschaffen wollen. Wenn das stimmt, dann schneiden sie mir direkt ins Fleisch, wovon sollen Künstler wie ich dann leben? Das betrachte ich als Kriegserklärung.
Das Gespräch führten Maris Hubschmid und Anke Myrrhe.