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© promo

DAS GROSSE SONNTAGS-INTERVIEW: "Ich bin ein nasaler Tenor"

Die Scorpions bekommen den "Echo" für ihr Lebenswerk. Im Interview verrät Sänger Klaus Meine, dass selbst er bei "Wind Of Change" nicht immer die Töne trifft - und warum Michael Jackson ihn fast über den Haufen fuhr.

Herr Meine, Sie haben mit den Scorpions von Anfang an englische Texte geschrieben und gesungen. Es wird immer kolportiert, Sie hätten damit eine internationale Karriere angestrebt und ...

...dabei geht diese Vision auf unseren Gitarristen Rudolf Schenker zurück. Er hat das Ziel formuliert: Eines Tages gehören wir zu den erfolgreichsten Hardrockbands der Welt! Er hatte diesen Masterplan im Kopf.

Ganz schön übergeschnappt für ein paar 20-jährige Jungs aus Hannover.

Richtig. Wir sagten, wir setzen uns keine Grenzen, wir glauben an unser Talent.

Sie singen in einem Song zum Beispiel „I lose control because of you, babe“. Das klingt auch besser als „Ich verliere deinetwegen meinen Kopf, Puppe“.

Na ja, ich würde das etwas anders übersetzen. Wir waren eben inspiriert von Bands wie Led Zeppelin, The Who, den Yardbirds, und der gitarrenorientierte Rock fühlte sich mit englischen Texten einfach besser an. Und dann sollte die englische Sprache das Ticket für die Welt sein. Wir wollten nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz etwas bewegen.

Ein kühner Plan Anfang der 70er Jahre.

Das mag einigen größenwahnsinnig vorgekommen sein, uns hat das nicht gestört. Wir sahen uns als Liveband und spielten in kleinen Clubs. In München im legendären Blow up, im Grünspan in Hamburg und sogar in Berlin, in der Dachluke in Kreuzberg. Da sind wir mit unserem klapprigen Bus durch die DDR gefahren, ich habe noch die Grenzer im Ohr: „Machensemal das rechte Ohr frei!“ Am nächsten Morgen hatte jeder ein Marshall-Zeichen im Gesicht, weil wir auf dem Rückweg auf unseren Marshall-Boxen geschlafen haben.

In Ihrer Wikipedia-Biografie steht: „Meine ging in Langenhagen zur Hauptschule und absolvierte eine Ausbildung zum Dekorateur. Nach der Lehre arbeitete er als Fahrer für pharmazeutische Erzeugnisse.“ Wann waren Sie sich denn sicher: Ich hab’s geschafft.

Als 1984 der Madison Square Garden in New York ausverkauft war. Wir spielten als Headliner und hatten uns Bon Jovi fürs Vorprogramm ausgesucht. Damals haben die Jungs bei uns ihre Karriere begonnen. Wenn du da auf der Bühne stehst und 20 000 Leute rasten total aus, dann weißt du, wir sind top of the world und haben es geschafft. Von der Dachluke zum Madison Square Garden ist es für eine deutsche Band a long long way to go.

„Wenn Kritiker ihn eine Heulsuse nennen und seine Lieder Schmachtfetzen“, heißt es in einem Porträt, sei Ihnen das „offensichtlich egal“.

Ich kann es ja eh nicht ändern, wenn jemand unsere Musik so empfindet. Rein statistisch sind 98 Prozent unserer Songs eher in der härteren Gangart.

Viele Fans hatten Sie im Feuilleton nicht. Das fanden Sie okay?

Ich sehe das wie alle in der Band heute sehr entspannt.

Heute! Heute sind Sie längst ein Weltstar.

Wenn wir über die Anfangszeiten sprechen, da war es ja wirklich eher schmerzhaft. Da bringst du eine Langspielplatte heraus, und die Fans reagieren begeistert, aber in Zeitschriften wie „Sounds“, „Musikexpress“ und anderen liest du so Artikel ... In einem stand: Tolle Platte, die eignet sich wunderbar, wenn der Schreibtisch wackelt, einfach drunterpacken und er steht wieder gerade.

Bitter.

Das ist natürlich nicht sehr ermutigend. Aber man lernt recht schnell, dass das Leben als Musiker ein ständiges Spießrutenlaufen ist. Du trittst in die Arena, und von links und rechts schlagen sie auf dich ein ..., und am Ende klopfen sie dir auf die Schulter und sagen: Junge, gut gemacht, Respekt!

Sie hatten da nie Zweifel?

Das ist doch eine grundsätzliche Sache, die jeden Beruf betrifft, auch Ihren. Aber wenn man etwas mit Herzblut macht, dann ist das wunderschön. Wenn einer den Traum hat, Fernfahrer zu werden und mit einem Truck kreuz und quer durch Europa unterwegs zu sein, dann tut er das doch mit Leib und Seele. Und wir hatten unseren Traum, von hier aus, da draußen ist die Startbahn ...

... wir sitzen im 5. Stock eines Hotels und schauen direkt auf den Flughafen Hannover-Langenhagen ...

... die Welt zu erobern.

Das hat ja geklappt. Sie sind schon mit Frank Zappa aufgetreten und mit Freddie Mercury, mit Metallica, mit Michael Jackson und …

… der hat uns mal fast über den Haufen gefahren! Wir waren in München zu einem Benefizkonzert im Olympiastadion, wir standen in den Katakomben herum, mit Ringo Starr, Jack Bruce und Andrea Bocelli, da kommt Michael in einem riesigen Van reingebraust und hätte uns fast erwischt. Na super! Sonst habe ich ihn eher als verunsicherten Menschen erlebt. Mit Mick Jagger oder Keith Richards kannst du Backstage normal von Musiker zu Musiker reden. Bei Michael fühlt man sich wie ein Eindringling in seine Welt.

Nun werden die Scorpions mit dem Echo geehrt, Deutschlands bedeutendstem Musikpreis, für das Lebenswerk der Band. Gab es in den 40 Jahren einen herausragenden Moment?

Ja, weil er für eine Band so untypisch ist. Es ist die Einladung von Michail Gorbatschow in den Kreml, 1991. Wir waren eine der ersten westlichen Bands, die 1988 in der Sowjetunion spielte, ein Jahr später waren wir beim „Moskau Peace Festival“, dann schrieb ich „Wind of Change“ mit der Zeile „I follow the Moskva down to Gorky Park“, was ein Welthit wurde, die Mauer fiel, das Ende des Kalten Krieges … Unser Gitarrist hat mich immer gedrängt, sing diesen Song auf Russisch, das Land hat dich doch dazu inspiriert.

Können Sie ein Wort Russisch?

Nein. Ich denke, die Tatsache, dass eine deutsche Band ihren Welthit in einer russischen Version spielt, hat zu dieser Einladung geführt. Am 14. Dezember um 17 Uhr waren wir im Kreml. Normalerweise sitzt man da an langen Tischen, die Gäste auf der einen Seite, der Präsident auf der anderen, aber Gorbatschow bat mich, neben ihm und seiner Frau Platz zu nehmen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mehr als „Wind Of Change“ von uns kannte. Wir unterhielten uns sehr herzlich, er philosophierte über Glasnost und Perestroika, eine gute Stunde lang. Die Situation erinnerte mich an das Treffen der Beatles mit der Queen. Dann, als es gerade im Gespräch um die Zukunft von Erich Honecker ging, wurde er ans Telefon gerufen, François Mitterrand wollte mit ihm reden.

Hatten Sie einen Anzug an oder Rockerkluft?

Na wir hatten uns schon ein wenig schick gemacht, wie man sich als Rocker eben schick macht.

Und heute?

Also für den Tagesspiegel müsste das reichen.

– Klaus Meine trägt schwarze Stiefel, eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Nadelstreifenhemd, schwarze Lederkrawatte mit silbernem Totenkopf. Auf Meines Kopf sitzt ein schwarzes Barett.

Am Anfang von „Wind Of Change“ ist da dieses berühmte Pfeifen, und auf Konzerten pfeifen viele Fans mit. Schmerzt es in Ihren Ohren, wenn die die Töne nicht treffen?

Ehrlich gesagt, ich treffe sie auch nicht immer.

Zum Negativen gehört sicher das Jahr 1982 – plötzlich war Ihre Stimme weg. Was ist denn da passiert?

Auf einmal hatte die Stimme keine Kraft mehr, ich habe die Höhen nicht mehr erreicht. Stimmbänder sind ein sensibles Organ, die wurden bei mir jahrelang überanstrengt, regelrecht getrasht. Ich hatte ja keine geschulte Stimme, keine Atemtechnik. Ich bin in Köln operiert worden, Vollnarkose, die Verhärtungen auf den Stimmbändern wurden weggemacht. Weil aus der Wunde ein Polyp wuchs, musste ich noch mal unters Messer. Sieben Monate war da diese Ungewissheit, wie es weitergeht. Ich hatte der Band schon gesagt, sucht euch einen neuen Sänger. Doch die Jungs haben gesagt: Wir warten auf dich.

Waren Sie da finanziell auf der sicheren Seite?

Nein, überhaupt nicht. Und meine Karriere war da praktisch zu Ende. Ich weiß noch genau, wie ich damals zu Konzerten gegangen bin, ich habe auf die Bühne geschaut und gedacht: Klaus, das hast du auch mal gemacht.

Campino, der Sänger der Punkband „Die Toten Hosen“, hatte mal ähnliche Probleme. Er bekam dann vor Konzerten Übungen verordnet, um die Stimme aufzuwärmen. Das war ihm so peinlich, dass er sich auf der Toilette eingeschlossen hat.

Oh, ich kenne alle Klos dieser Welt! In den großen Hallen gehe ich für eine halbe Stunde in die Duschräume, die haben eine schöne Akustik. Da singe ich Tonfolgen, bewege den Körper, mache die sogenannte Löwenübung – eine Art Meditation.

Ihre Stimme ist markant. Es heißt oft, sie sei „metallisch hoch“ und unverwechselbar. Wie würden Sie diese selbst beschreiben?

Ich singe im verrockten Tenorbereich mit einem leicht nasalen Touch. Ein nasaler Tenor, ja.

Als für Sie fast Schluss war mit Musik, dachten Sie da: Okay, arbeite ich eben wieder als Dekorateur.

Nie! Das war nicht meine Welt. Ich weiß schon gar nicht mehr, warum ich das angefangen habe. Dekoration hat mit Kreativität zu tun, dieser Teil hat mich wohl gereizt. Ich habe in einem kleinen Geschäft in Hannover gelernt, Gardinen und Stoffe. Jeden Montag war man mitgenommen von den Anstrengungen des Wochenendes, on the road. Doch ich wusste schnell, dass meine Begabung woanders liegt, nur meine Eltern konnten sich das nicht vorstellen, Musik als Beruf, das schien so unsicher, der Vater hat schon mal die Gitarre im Schrank weggeschlossen.

1968 waren Sie 20 ...

... aber ich war kein typischer 68er, wenn Sie das meinen. Wir fanden Uschi Obermaier gut, sind aber nicht demonstrieren gegangen. Das Leben der Elterngeneration verlief in eingefahrenen Bahnen, und auf der Straße riefen sie einem hinterher: Ey, du langhaariger Affe! Musik war eine Möglichkeit, der bürgerlichen Enge zu entkommen.

Hardrocker pflegen ihr wildes Image. Lemmy Kilmister von Motörhead sagt, er halte seinen Alkoholpegel konstant hoch, so bekomme er keinen Kater.

Wenn er das verträgt, wunderbar. Ein gewisses Maß an Restintelligenz bei mir hat verhindert, fürs Image zu saufen. Wir werden trotz unseres Mainstream-Erfolgs in der Metal-Szene respektiert. Wir haben vor drei Jahren in Wacken gespielt, das ist ein Festival, wo Die Ärzte oder Tokio Hotel ganz sicher nicht eingeladen werden. Drei Stunden lang dauerte unsere Show vor 60 000 Hardcore-Metal-Fans. Wenn die dich zu soft finden, fliegt schnell mal ein Schweinekopf auf die Bühne.

Ozzy Osbourne meint: Wenn es dir zu laut wird, bist du zu alt.

Es war und ist immer zu laut, deshalb laufen so viele Musiker mit einem Tinnitus herum. Ich hatte nie einen Hörsturz, Gott sei Dank, und doch pfeift es bei mir ständig. Ich habe das Gefühl, ich muss den Fernseher jedes Jahr lauter stellen. Wenn ich zum Ohrenarzt gehen würde, würde er raten: Nie mehr auf die Bühne! Also lass ich’s lieber.

Ebenso stilprägend wie Ihre Stimme ist Ihre Kopfbedeckung ...

... das Thema musste ja langsam kommen. Es heißt gerne mal, Haare symbolisieren Vitalität. Danach wäre mein vitales Leben mit 30 langsam zu Ende gegangen. Ich sehe das locker. Wenn die Stimme ausfällt, ist das schlimmer, als wenn die Haare ausfallen – ich hab beides überlebt.

So ein Barett kann man nicht einfach aufsetzen und gut ist.

Richtig, man muss es eintragen wie Cowboystiefel.

Wie viele solcher Mützen haben Sie zu Hause?

Ich schätze, so viele wie ich Gold- und Platinplatten eingesammelt habe, weit über 160. Ab und zu versteigere ich eine für einen guten Zweck.

Als wir in der Redaktion sagten, wir würden Sie treffen, da wollte ein Kollege wissen: Was macht so ein Rocker den lieben langen Tag?

Ja, was tue ich? Ich trainiere viel. Wir hatten vergangenes Jahr 60 Shows in 22 Ländern. Wir haben in Sibirien bei minus zehn Grad Open Air gespielt und dann am Amazonas bei tropischer Hitze. Ohne körperliche Fitness hältst du das nicht aus. Zwei, drei Mal in der Woche gehe ich ins Gym und trainiere mit Laufband, Ergometer, Geräten, ich will in Shape bleiben. Vor der letzten Tour war ich bei 100 Sit-ups am Stück. Ich ernähre mich gesund, viel Obst, viel Wasser. Und ab und zu einen Wodka fürs wilde Rocker-Image. Wenn Zeit bleibt, spiele ich eine Runde Tennis.

Gerhard Schröder soll eine positive Matchbilanz gegen Sie haben?

Das letzte Mal hat er gewonnen. Er müsste mir langsam die Chance geben, das zu korrigieren. Gerhard Schröder habe ich tatsächlich übers Tennis kennengelernt, noch bevor er Ministerpräsident von Niedersachsen wurde, er ist sportbegeistert wie ich. Er fürchtet meine Schnelligkeit, ich seine Technik.

Wahr, dass Sie mit Doris Schröder-Köpf mal ein Duett gesungen haben?

Woher wissen Sie das denn?! Das war auf der privaten Feier eines Freundes, es ist doch schön, wenn ein musikalischer Dialog entsteht, wo man es gar nicht erwarten würde.

Wahr, dass Sie mit Skorpionen beworfen wurden?

Das war in St. Louis, einige Fans hatten die Tierchen in Marmeladengläsern ins Konzert geschmuggelt. Irgendwann haben sie die Deckel abgeschraubt und die Skorpione auf die Bühne geschleudert. Bei uns ist dort oben ziemlich viel los, die Skorpione haben schleunigst das Weite gesucht.

Wahr, dass Ihnen nichts peinlich ist?

Na ja, als Ralf Rangnick Trainer bei Hannover 96 war, wurde ich ihm mal vorgestellt. Er fragte, auf welcher Position ich spiele. Er dachte, ich sei bei den Hannover Scorpions, dem Eishockeyklub. Ach nein, das ist eher lustig als peinlich. Richtig peinlich ist es, wenn 50 000 Fans in Athen „Zugabe“ rufen, und der Sänger kommt nicht aus der Garderobe, weil der Türgriff abgebrochen ist.

Herr Meine, der Echo fürs Lebenswerk ist eine zweischneidige Sache. Viel Ehre, einerseits, andererseits heißt das: Die haben ihre große Zeit hinter sich.

Ich gebe ja zu, als ich die News gehört habe, da habe ich schon kurz gezuckt: Ist es jetzt so weit? Da fiel mir ein, als wir 1992 den Echo bekamen, wurde Udo Lindenberg für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und dieses Jahr ist er wieder nominiert, für sein großartiges Comeback. Das macht einem doch Mut, oder?

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