Drehbuchautor Dagtekin: „Ich bin ein Kommerzschwein“
Aus Schillers Räubern würde er gern einen „Fluch der Karibik“ machen. Wie Bora Dagtekin die ARD alarmierte und eine türkische Journalistin verärgerte.
Bora Dagtekin, 33, ist einer der wichtigsten deutschen Drehbuchautoren. Er erfand Comedy-Serien wie „Doctor’s Diary“ und „Türkisch für Anfänger“ –
von letzterer ist gerade die Kinofassung gestartet. Dagtekin wurde zwei Mal mit dem Grimme-Preis geehrt. Er lebt in Berlin
Herr Dagtekin, haben Sie am Wochenende deutsches Fernsehen geschaut?
Nein, da wären nur Ärzte und Kommissare. Finde ich langweilig. Am Samstag habe ich „Deutschland sucht den Superstar“ geguckt.
Türkisches Fernsehen?
Nur, wenn ich meine Familie in der Türkei besuche. Das ist dort wie billiges RTL: bunt, laut und voller Seifenopern. Ich interessiere mich eher für amerikanisches TV. Von dort kommen die Trends.
Was hat Ihnen zuletzt gut gefallen?
„The Big C“, eine Serie über eine krebskranke Frau. Da dachte ich erst, was für ein Kitsch – und dann ist das so klug und spannend.
Wieder einen neuen Kosenamen gefunden?
Sie meinen, weil ich die so oft verwende …
Und das erfolgreich. Für die TV-Drehbücher von „Doctor’s Diary“ haben Sie den Grimme-Preis erhalten. Jetzt führen Sie bei der Leinwandadaption von „Türkisch für Anfänger“ erstmals Regie. Ihre Figuren reden sich mit Kälbchen, Hasi1 oder Susibusi an.
Bei der Fernsehserie „Türkisch für Anfänger“ war das zufällig, für „Doctor’s Diary“ haben wir, das Produktionsteam, der Sender und ich, das bewusst als Markenzeichen eingesetzt. Kam gut an bei den Zuschauern.
Auf welchen reagieren die besonders positiv?
Auf Gurke, so nennt die Mutter in „Türkisch für Anfänger“ ihre Tochter.
Ist Ihre Mutter daran schuld?
Nein. Und wenn, würde ich das wohl kaum zugeben. Meine Mutter hat nur eine Verniedlichung meines Vornamens Bora erfunden. Da können Sie jetzt Ihre Fantasie spielen lassen.
Ihre Mutter ist deutsch, Ihr Vater türkisch.
Er hat meinen Namen nicht verniedlicht. Im Türkischen achtet man darauf, den Namen ehrenhaft zu behandeln. Ich könnte höchstens ein Wort wie „cim“ davorsetzen – das würde dann ungefähr Klein-Bora heißen. Meine Kenntnisse des Türkischen sind aber begrenzt.
Sie scherzen.
Nein, es bewegt sich auf einem Floskel-Alltagsniveau. Ich bin nicht perfekt zweisprachig. Zur ersten Staffel von „Türkisch für Anfänger“ hatte ich ein Interview mit einem türkischen Sender. Die Journalistin war fast ein bisschen beleidigt, dass mein Wortschatz nicht für ein komplexes Gespräch gereicht hat.
Sie sind in Hannover in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, Ihr Vater war Arzt, Ihre Mutter Lehrerin. Wie kommen Sie auf Menschen, die wie Ihr Protagonist Cem im Film rappen: „Mein Schwanz ist zu groß für das Ozonloch“?
Ich schreibe nicht autobiografisch, wenn Sie das unterstellen. Bilde ich meine Lebenswirklichkeit ab, mache ich mich doch nur angreifbar.
Wie meinen Sie das?
Ein Drehbuch muss durch so viele Änderungen. Da wäre man nicht mehr objektiv, wenn es das eigene Leben ist, über das man schreibt. Und nichts nervt Produzenten mehr als „Aber das habe ich tatsächlich so erlebt“. Der Rap kam in den Film, weil ich mich in meine Figur hineingedacht habe. Und vermutlich wären Rapper wie Bushido Idole von Cem. Er sieht sich ja als starker Kanake.
Bekommen Sie für Ihre Figuren Feedback aus der türkischen Community?
Noch mehr Elyas M’Barek, der Darsteller des Cem, weil er erkannt wird. Die Türken freuen sich über die Serie, und finden es gar nicht schlimm, dass er Halbtunesier ist. Der ausländische Pass zählt. Ich weiß nicht, warum mich Deutsche oft fragen, weshalb wir keinen echten Türken genommen haben. Ich drehe doch keine Doku!
Was sagen die Mädchen?
Die freuen sich, dass es eine Figur mit Kopftuch wie Yagmur gibt, die witzig sein darf. Dass wir von einer Familie erzählen, die schon integriert ist, die keine extremen Milieu-Erfahrungen wie Ehrenmord hat, sondern normale Familienprobleme. Deutsche erwarten von Ausländern oft furchtbar existenzielle Geschichten. Aber die wünschen sich, Teil einer harmlosen Unterhaltungswelt zu werden. Das haben wir sogar gemerkt, als wir die erste Staffel der Serie bei einem deutschen Dschihadi in der Untersuchungshaft getestet haben.
Warum haben Sie das denn getan?
Die erste Staffel kam im März 2006, kurz nach dem dänischen Karikaturenstreit, ins Fernsehen. Da sind auf einem Flur der ARD rote Lampen angegangen: Die sahen schon Sendergebäude in die Luft fliegen, deshalb mussten wir die Folgen testen. Über jemanden von der Filmakademie bekamen wir Kontakt zu einem Mann, der in U-Haft saß. Dem wurden die Bänder geschickt, der hat uns bescheinigt, dass die Serie charmant und ungefährlich sei.
Eine ARD-Serie wurde von einem Terrorverdächtigen abgesegnet?
Ja, so in etwa lief das ab.
Haben Sie den Kinofilm auch so getestet?
Nein. Mittlerweile hat das Thema Ausländer seinen Weg in die Wohnzimmer gefunden. Yvonne Catterfeld dreht inzwischen für Sat 1 Filme, in denen sie mit Kopftuch durch den Iran rennt und ihre Kinder sucht.
Sie werden nach den Erfolgen sicher mit Anfragen überhäuft?
Ich bekomme kaum Angebote. Es hat sich so eingebürgert, dass die Produzenten warten, was ich vorschlage. Die werden mich nicht fragen, ob ich mal eine Folge „Danni Lowinski“ für Sat 1 schreibe.
Sie sind zu teuer.
Teuer bin ich auch. Aber mit der Constantin bin ich gerade in die Filmproduktion eingestiegen, die haben ja Geld. Die Fernseharbeit pausiert so lange.
Der Serienerfinder von „Lost“, JJ Abrams, hat im vergangenen Jahr 36 Millionen Dollar verdient. Sie dürften als Regisseur, Drehbuchautor und Koproduzent schon im sechsstelligen Bereich liegen.
Wobei der Job des Regisseurs am schlechtesten bezahlt ist. Wenn ich das auf einen Stundenlohn herunterrechne, komme ich auf 3,50 Euro. Wir haben letztes Jahr im März abgedreht, bis gestern Abend haben wir am Kinofilm gearbeitet. Das ist langwieriger als Drehbuchschreiben.
Wann hat Ihr Interesse für Fernsehen angefangen?
Ich wollte einfach schreiben. Und ich habe mir überlegt, wo es auf dem Arbeitsmarkt noch Möglichkeiten gibt, Fuß zu fassen. Schreiben ist für mich nichts rein Künstlerisches, sondern ein Handwerk. 2001 habe ich ein Jahr als Werbetexter in Hamburg gearbeitet. Da habe ich gelernt, wie man eine gute Idee in einem Satz zusammenfasst – und alle verstehen das Konzept.
Es war klar, dass Sie lustige Sachen schreiben?
Ja, politische Stoffe und Dramen interessieren mich weniger. Ich gucke mir gern Komödien an. „Big“ mit Tom Hanks und „Kevin allein zu Haus“ haben mich als Kind geprägt. Ich bin ein Kommerzschwein, mich faszinieren Blockbuster, in Arthouse-Filme gehe ich nicht. Im vergangenen Jahr fand ich „Brautalarm“ gut.
Diese Komödie erzählt von Pannen, die einer Frauenclique vor einer Hochzeit passieren.
Wie Paul Feig, der Regisseur, es geschafft hat, die derben Witze der Männerkomödie auf Frauen zu übertragen, das hat mir gefallen. Mir fällt sofort die Szene ein, wie die Braut im Hochzeitskleid auf die Straße rennt und kackt. Die Frauen benehmen sich wie geisteskranke Helden einer Buddy-Komödie und behalten trotzdem ihre Würde.
Als Recherche für Ihre Komödien lesen Sie fast nur Sachbücher.
Ich bin kein großer Freund von Recherche. Viele Krimiautoren fahren zwei Wochen bei der Polizei mit. Darauf hätte ich keine Lust. Wenn ich ein neues Thema beackere und Material für meine Figuren brauche, lese ich lieber etwas darüber. Für „Türkisch für Anfänger“ habe ich zum Beispiel über Kannibalismus recherchiert. Viele glauben, der existiert nicht mehr. Dabei gibt es die Stämme der Adivasi, die auch im Film auftauchen. Die leben auf den Sentinelen in der Andamanischen See, westlich von Thailand. Die kann man gar nicht besuchen. Es gibt Dokumentation von Forschern, die versuchen auf die Insel zu gelangen und von den Einwohnern mit Kokosnüssen beworfen wurden.
Sie sind in Bibliotheken gegangen?
Ich mag Bibliotheken nicht. Sie sind nie geöffnet, wenn ich Zeit habe, man braucht einen Ausweis, und den verliere ich. Lieber kaufe ich neue Bücher. Das tut auch den Autoren gut. Und ich hab was fürs Leben im Regal stehen. Ich werfe selten Bücher weg – so was wie „Entstehung von Fußpilz“ vielleicht. Das brauchte ich mal für „Doctor’s Diary“.
Welches würden Sie auf keinen Fall wegwerfen?
Hm, „Die Vermessung der Welt“ vielleicht, das konnte ich nicht aus der Hand legen. Es war mit viel Ironie geschrieben. Obwohl das ein Roman ist, und so was lese ich normalerweise nicht.
Wieso nicht?
Auf Seite eins überlege ich schon, wie man das verfilmen könnte oder ob der Plot schlecht konstruiert ist. Oder ich ärgere mich, dass ich selbst nicht auf so eine tolle Idee gekommen bin. Es ist eine Mischung aus Verachtung und Neid, wenn ich Romane lese – eine Art Berufskrankheit.
Was liegt dann bei Ihnen auf dem Nachttisch?
Die Fernbedienung. Ich habe mir einen neuen Fernseher gekauft, Großbild mit 3-D. Gerade habe ich ihn mit ein paar Freunden eingeweiht, wir haben uns „Final Destination 5“ angesehen …
Ein Katastrophenfilm für Jugendliche. Dabei haben Sie als Teenager Bücher verschlungen.
Meine Mutter ist Lehrerin, wir haben viele Bücher von ihr bekommen. Die österreichische Schriftstellerin Christine Nöstlinger habe ich gern gelesen. Sie hat gut über dysfunktionale Familien geschrieben – über Scheidungskinder, Menschen mit Macken. Das sind liebevolle Anatomien von kaputten Familien. Und sie nimmt die Probleme Jugendlicher ernst: Pubertät, Frust, Ärger mit den Eltern.
Als Abschlussarbeit an der Filmakademie in Ludwigsburg haben Sie eine Action-Verfilmung von Schillers „Die Räuber“ geschrieben.
Da habe ich erst die Idee vorgetragen und dann das Stück gelesen. Irgendwie glaubte ich, das eignet sich, um daraus ein Hollywood-Action-Spektakel zu machen. Die Zutaten wie Schloss, Räuber, Soldaten sind ja super. Ich dachte, daraus mache ich einen „Fluch der Karibik“ im deutschen Wald. Dann fand ich die Lektüre doch recht trocken. Und das Ende: Dass sich alle in diversen Varianten umbringen, da war ich echt baff! Hat Schiller selbst zugegeben, dass die Handlung nicht so toll ist. Ich habe viel in Sekundärliteratur und Briefen von Schiller recherchiert. Ich wüsste im Moment nur leider auch nicht, wie er das hätte besser machen können.
Reizt Sie das Thema noch?
Es ist noch in meiner Top Ten.
Was steht auf Platz eins?
Eine Schulkomödie, die ich demnächst mache. Der Arbeitstitel ist „Fuck You, Göthe“, es geht um überforderte Lehrer und gestörte Schüler. Mehr weiß ich selbst noch nicht.
Welcher Satz bringt das Projekt auf den Punkt?
„Hurra, die Schule brennt“, 2012.
Wie recherchieren Sie dafür die Dialoge?
Das Schreiben von Dialogen ist einfach, wenn ich die Geschichte und die Figuren kenne. Ich achte darauf, wie Menschen reden. Wenn ich Stilblüten in der U-Bahn oder im Café mitbekomme, tippe ich mir die sofort ins iPhone.
Zum Beispiel?
Soll ich mal reinschauen? Warten Sie. Hier habe ich mir aufgeschrieben „Sieht voll 3-D aus“, fand ich mal witzig, ich weiß nicht, warum. Oder: „Hallo Bevölkerung“. Das habe ich neulich in einem Radiospot gehört. Ich höre viel Radio, am liebsten Kiss FM. Die Moderatoren zu belauschen, das finde ich interessant, weil die oft spontan reagieren.
Was wäre eine Horrorvorstellung für Sie als Autor?
Ein Drehbuch für eine Krimiserie. Erstens mag ich das Genre nicht. Zweitens habe ich keine Lust, dass jede Episode in sich abgeschlossen ist. Ich könnte mir nichts Schlimmeres vorstellen als jede Folge einen neuen Fall aufzurollen, das lustige Ermittlerpaar dabei zu zeigen, wie es sich gegenseitig ein Bein stellt. Die Sender lieben das, damit sie Episoden austauschen können wie sie wollen.
Sie sind kein „Tatort“-Fan.
Ich habe in meinem ganzen Leben nur einen gesehen. Das war vor ein paar Jahren, da ging es um eine verrückte Tierärztin, die einen Nachbarn umbrachte. An die Ermittler kann ich mich überhaupt nicht erinnern.
Keine Berührungsangst haben Sie hingegen mit Product Placement.
Ich würde komplett alles mit Marken zupflastern, wenn die Firmen mir die Kohle dafür geben. Haben Sie Wünsche? Ich bin sehr offen.
Käuflichkeit ist Einflussnahme. Das stört Sie nicht?
Wenn ich mir Filme wie „Mission: Impossible“ oder „James Bond“ angucke, gibt es Kernmarken, die den Film tragen und den Figuren helfen, das Auto oder die Uhr. Das ist doch großartig.
Würden Sie ein Buch für ein Produkt umschreiben?
Na klar. Wenn irgendwer einsteigt und das Budget unterstützt? Die Charaktere müssen natürlich glaubhaft sein. Cem in einem Porsche würde wenig Sinn machen.
Sie haben anderweitige Erfahrungen gemacht?
Ständig, als ich für die ARD „Türkisch für Anfänger“ geschrieben habe. Einmal habe ich eine E-Mail von unserem Redakteur bekommen, der scherzhaft nachfragte, ob ich Geld von der deutschen Milchwirtschaft bekomme. Ich hatte zu oft „Schenkt sich Milch ein“ als Regieanweisung ins Skript geschrieben. Das war unbeabsichtigt, eine Floskel, die sich verselbstständigt hat. Wir sind dann auf Orangensaft in Karaffen umgestiegen.
Für Ihre Serien wurden Marken neu entworfen …
Nicht nur für meine. Designer entwickeln Produkte, die statt Nutella dann Nubella heißen, Facebook wird zu Spacebook. Es sei denn, man wahrt die Vielfalt. Neben „Stern“ und „Brigitte“ liegt dann auch „Der Spiegel“ auf dem Tisch. Und wenn ich einen Witz über eine Kleidermarke wie Pimkie mache, muss auch einer über H & M rein. Hauptsache, der Sender ist happy – und ich habe meinen Gag.
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