zum Hauptinhalt
Peter Wiechmann neben der Tuschezeichnung eines Comics aus der Serie "Capitan Terror", erschienen in der Reihe "Primo".
© Tobias Hase, dpa

Peter Wiechmann ( 1939 - 2020): „Ich bin durchs Fegefeuer gegangen“

Er war ein Pionier der deutschen Comicszene. Jetzt ist Peter Wiechmann gestorben. Wir veröffentlichen erneut ein Interview mit ihm über seinen Werdegang.

Er holte Asterix und Lucky Luke nach Deutschland und schuf zahlreiche eigene Comic-Reihen, die in den vergangenen Jahren neu aufgelegt werden. Am 11. Januar 2020 ist Peter Wiechmann im Alter von 80 Jahren gestorben, wie jetzt auf einer Plattform für Comicfans bekanntgegeben wurde. Jochen Ecke hat Wiechmann vor knapp zehn Jahren für den Tagesspiegel über seinen Weg zum Comic, das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz zum Medium und den Patriarchen Rolf Kauka interviewt. Im Folgenden veröffentlichen wir dieses Interview aus aktuellem Anlass erneut.

Peter Wiechmann, Jahrgang 1939, hat schon Comics gemacht, als es noch weitgehend unmöglich schien, dass sich Leser jenseits der zwölf für das Medium interessieren könnten. Zwischen 1965 und 1980 war er Redaktions- und Produktionschef für Rolf Kauka, später dann Leiter eines eigenen Comic-Studios. Neben zahllosen anderen Projekten produzierte er Magazine wie „Fix & Foxi“, Fix & Foxi-Extra“, „Kauka-Comic“, „Pepito“, „Bussi-Bär“ und später „Primo“, die den deutschen Mainstream-Comic nachhaltig bestimmt haben.

Damals wurden die Bildergeschichten, wie er selbst sagt, „von verkrachten Existenzen, Taxifahrern oder Geologiestudenten mit abgebrochenem Studium“ produziert. Menschen, denen die Idee, sie könnten Künstler sein, ferner nicht hätte sein können. Und die dennoch die Popkultur einer ganzen Generation maßgeblich geprägt haben.

Wiechmann spielt dabei in der deutschen Comic-Geschichte nicht nur mit Eigenproduktionen wie „Hombre“, „Thomas der Trommler“ oder „Dietrich von Bern“ eine zentrale Rolle, sondern auch, weil er heutige Dauerbrenner wie „Asterix“, „Die Schlümpfe“ oder „Lucky Luke“ zum ersten Mal nach Deutschland holte. Hier das Interview, das Jochen Ecke 2010 mit Wiechmann geführt hat.

Comic-Pionier: Peter Wiechmann beim Comicsalon Erlangen 2010.
Comic-Pionier: Peter Wiechmann beim Comicsalon Erlangen 2010.
© Lars von Törne

Herr Wiechmann, im Gegensatz zu den USA oder Frankreich gab es in Deutschland lange keine wirkliche Comic-Kultur. Die entstand erst durch den intensiven Kontakt mit Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg, beispielsweise mit der Micky Maus-Reihe, die 1951 ihren Anfang nahm. Sie sind 1939 geboren. Inwiefern hat die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Kriegs Sie künstlerisch geprägt?
Künstlerisch geprägt ist vielleicht zu hoch gegriffen. Damals war ich erst fünf Jahre alt. Wir hatten das Riesenglück, mit einem dieser so genannten letzten Züge aus Schlesien raus in die Heimat meiner Mutter nach Eschwege fliehen zu können. Riesenglück deshalb, weil mit drei Kilometer Spielraum später dann der Eiserne Vorhang fiel. Wir waren auf der amerikanischen Seite, das heißt, ich bin sozusagen mit den Amerikanern aufgewachsen. Da kam es unausweichlich zu den ersten Begegnungen – Kaugummi, Comics und… (lacht) Truthahn fängt leider nicht mit einem „K“-Laut an. Ich stand jedenfalls irgendwann auf der Straße, die von der Kaserne runter führte, und sprach meinen ersten englischen Satz. Der hieß, „Have you wash?“ Was heißen sollte, „Habt ihr Wäsche für meine Mutter?“ Die Soldiers ließen sich mit ihren dicken Seesäcken voller Schmutzklamotten zu unserem Haus umlenken, und meine Mutter wusch für die 'Amis'. Und ihre Arbeit wurde honoriert mit Kaffee, mit Zigaretten und so weiter - was dann wieder das Zahlungsmittel für alles Lebenswichtige war. Für mich fielen die Comics ab. Sie waren für mich hochwertige Tauschware, aber keine Lektüre, weil mir die Texte natürlich verschlossen waren. Die Bilder sagten mir auch nichts; was ich gut in Erinnerung habe, ist der muffige Geruch dieser gummigedruckten Comics damals und das schlechte Papier.

Erinnern Sie sich noch an Titel?
Ja natürlich. Wonder Woman, oder Wanda Womän, wie ich es damals auszusprechen versuchte. Oder beispielsweise Hopalong Cassidy, Batman, Superman… Wichtig war für mich: die Comics mussten in gutem Zustand sein, denn damit handelte ich mir das ein, was ich wirklich wollte: Bücher! So gesehen hat sich dieses System generell eigentlich nie geändert: ich tauschte Comics gegen das, was ich zum Leben brauchte. Als Junge interessierten mich eher die Bücherschränke meiner Cousins. Die hatten die gesammelten Heldensagen rauf und runter, dann Fenimore Cooper, Der letzte Mohikaner, oder Stevensons Die Schatzinsel. Aber auch Autoren, die damals kaum einer kannte, wie Ambrose Bierce oder Bret Harte.

Sie haben nach Ihrer Ausbildung zum Schriftsetzer und dem Wehrdienst noch eine ganze Weile lang als Journalist gearbeitet. Wie sind Sie dann doch noch zu den Comics gekommen?
1964 las ich in einer Anzeige, dass der Kauka-Verlag einen Redakteur sucht. Ich habe mich beworben und wurde angestellt. Rolf Kauka war eine schillernde, faszinierende, umtriebige, zupackende, unberechenbare Persönlichkeit. Aufbrausend, geduldig, nobel, kleinkariert. Alles in Personalunion. Ich bin einer der wenigen, die unversengt aus dem Fegefeuer seines feudalherrlichen Führungsstils hervorgegangen sind. Einfach, weil Rolf Kauka schnell erkannte: der Wiechmann tut mehr als man ihm ohnehin aufbürdet. Und Rolf Kauka hatte verinnerlicht: dem Ochsen, der da drischt, verbinde man nicht das Maul. Und so habe ich im Verlag die absolute Entfaltungsfreiheit erlangt. Als ich kam, gab es Fix und Foxi. Nichts sonst. Als ich ging, gab es über 20 Titel.

Über welchen Zeitrahmen sprechen wir da?
Von 1965/66 – dann gab es eine kleine Unterbrechung, weil der Verleger mir eine zugesagte Gehaltserhöhung von 100.- DM schuldig blieb. Ich kündigte. Ein Jahr später wurde ich zurückgeholt, und dann ging es erst richtig los – bis 1978. Nach meinem Kauka-Comeback begann das eigentliche Comic-Machen, und zwar aus den Vollen schöpfend. Je mehr Magazine und Taschenbücher ich mir ausdachte, desto größer wurde die Materialmangel. Und es war blanke Materialnot, die uns dazu brachte, den gesamten frankobelgischen Comic-Raum leer zu kaufen. So ist auch Asterix nach Deutschland gekommen, Lucky Luke oder Die Schlümpfe. Der Begriff Schlümpfe stammt von mir! Hessische Erbschaft: „Du Schlumpf!“

Wie sind Sie damals an all diese heute so hochdotierten Serien gekommen?
Ich habe schnell gemerkt, dass Lizenzen keinen hohen Preis hatten. Die Eigner in Frankreich und Belgien hatten – das war 1968/69 – zum Glück wenig Gespür für kommerzielle Wertschöpfung. Die landläufige Meinung, dass Asterix schon von Beginn an hoch gehandelt wurde, ist eine Legende. Es war ein Buchhalter bei Dupuis, der die Verhandlungen führte. Der forderte 60 Mark: Rechte samt den Vierfarbfilmen pro Seite. Das war nichts! Und er sagte leicht zweifelnd: „Was wollt ihr eigentlich mit dieser Serie? Das ist eine so typisch französische Sache, ihr könnt doch nicht mal die Wortspiele eins zu eins übernehmen!“ Meinte ich: „Dann nutzen wir eben adäquaten deutschen Witz.“ Vollkommene Übereinstimmung auf beiden Seiten - was Herr Goscinny und Herr Uderzo später nur nicht mehr ganz wahrhaben wollten.

Klassiker. „Dietrich von Bern“ von Peter Wiechmann und Rafael Méndez.
Klassiker. „Dietrich von Bern“ von Peter Wiechmann und Rafael Méndez.
© Cross Cult

Wie kam es dann zu den deutsch-spanischen Eigenproduktionen?
Naja, wir kauften alles auf, und je mehr wir kauften, desto mehr Comics brachten wir auch heraus. Es herrschte Goldgräberstimmung auf dem Comic-Markt und damit im Kauka-Verlag! Ich kaufte in Italien, ich kaufte in Spanien, und irgendwann ging das nicht mehr so weiter. Ich stieg auf die eigene Produktion um. Das war aus dem Stand heraus recht schwierig, denn die besten und flexibelsten Zeichner fand ich in Spanien: Franco-Spanien! Die Post war vier Wochen unterwegs! Telefongespräche wurden ständig unterbrochen! Ich habe kaum mit deutschen Zeichnern gearbeitet, denn die damaligen deutschen Zeichner waren Grafiker, und ein Grafiker fand es unter seiner Würde, eine Comicfigur zu 'malen'. Comic-Machen bedeutete damals wie heute für mich: mit spanischen Zeichnern arbeiten.

Wie sah denn üblicherweise die Vita der Zeichner aus, mit denen Sie damals zusammengearbeitet haben?
Ein werdender Comic-Zeichner in Spanien lief klassischerweise mit zwölf aus der Schule weg. Er stellte sich dann hinter den Holzschemel eines Meisters im Studio, der da saß und diese furchtbaren Zigaretten qualmte. Da gab es kein didaktisches Gespräch zwischen dem Zeichner und dem Lehrling. Der wurde nur geduldet da hinten. Der holte Kaffee oder spitzte Bleistifte und schaute den ganzen Tag gebannt nach unten. Ich sehe die Jungen noch von einem Fuß zum anderen hampeln. Standen da und beobachteten, wie der da unten Bilder entstehen ließ – mit Bleistift oder Blaustift. Und über dieses ständige Sehen und Erkennen ging der Bild-Bildungs-Prozess vor sich, Anatomie zu verinnerlichen. Und noch fantastischer: über Anatomie die Kurve zur deformierten Anatomie zu bekommen, also zur Karikatur. Als reiner Kopfprozess! Und irgendwann abends, nachts fing die zeichnerische Zukunft Spaniens dann an, selbst zu zeichnen: im eigenen Stil.

Klappern zum Totentanz. Ein Panel aus "Thomas der Trommler" von Peter Wiechmann, Josep Gual und Juan Sarompas.
Klappern zum Totentanz. Ein Panel aus "Thomas der Trommler" von Peter Wiechmann, Josep Gual und Juan Sarompas.
© Cross Cult

Sie haben eine schier unglaubliche Menge an Comics geschrieben – die heutigen Reprints von Andrax, Hombre oder Dietrich von Bern sind da nur die Spitze des Eisbergs. Wie haben Sie das überhaupt geschafft?
Wie schon gestanden: Ich hatte vom Comic-Machen keine Ahnung. Da bekam ich dann die getuschten Originalseiten einer Geschichte hingeschoben und ich wusste nicht einmal, dass die Haupt-Figur 'Lupo' hieß. Der anleitende Kommentar war: „Texten Sie die Geschichte!“ Da rann der Schweiß. Aber ich machte mir Mut: Ja lieber Himmel, hier liegt eine bereits in Bildern erzählte Story – halte dich halt an diese narrative Vorgabe und lass die Bilder sprechen! Mit der Zeit ging das Texten dann immer besser. Nicht das Bild erklären, sondern die Handlung vorantreiben! Wortwitze ausspielen! Weil ich ein sehr schneller Schreiber war, schaffte ich mein Pensum rasch und hatte Zeit, mich um mehr Verantwortung zu kümmern. Nicht nur fertige Geschichten texten, sondern die Geschichten selbst erfinden. Wissen, wie man neue Publikationen strukturiert, produziert, in den Markt bringt.

Waren Sie denn glücklich mit den Cartoon- und Slapstick-Geschichten, die Sie zu Beginn schreiben durften?
Mir fehlten in meiner Startphase meine geliebten Klassiker, die ich unbedingt in Comics umgesetzt sehen wollte. Das war nun absolut zu früh. Diesen Ehrgeiz konnte ich dann ein paar Jahre später realisieren, bei Primo und bei all den anderen Titeln meiner Prägung. Und wieder später wollte ich sogar Umberto Eco in die Bilder übersetzen. Der Großmeister des gewaltigen Wortes wollte das auch, er fand das toll. Er sagte, „Klar, die Rechte sind kein Problem – zeig, was Du kannst!“ Der Name der Rose sollte – von Juan Sarompas gezeichnet – Comic-Premiere feiern. Aber vorher fiel erst einmal der Kauka-Laden auseinander; dann gründete ich das Comic-Studio Comicon und fand ein paar Jahre drauf eine neue Schaffensheimat in Spanien. Ein Vierteljahrhundert lang.

Sie meinten zu Beginn, dass die amerikanischen Comic-Importe für Sie nur als Tauschware gut waren. Hat sich denn im Verlauf Ihrer Karriere mehr Leidenschaft für das Medium entwickelt?
Das Comic-Machen war für mich immer eine Sache der Distanz zum Medium. Ich bin heute immer noch überzeugt: wenn man zu verliebt in die Materie ist, mit der man arbeitet, dann kommt man in Konflikte, in die man nicht geraten darf. Affinität behindert die Kreativität. Um etwas auszuholen: in den 1960er Jahren war der Austausch zwischen Comic-Verlagen gleich Null. Das waren Konkurrenten, Feinde. Für mich war das gut – ich kannte die Konkurrenzobjekte gar nicht. Ich wusste auch nicht, was auf dem amerikanischen Markt los war. Ein Beispiel: da ich eine Schwertkämpferserie wie Andrax in Primo sehen wollte, habe ich sie eben frei von Plagiatsängsten nach eigenem Gusto entwickelt. Das ist die praktische Seite der Distanz – eine dauerhaft und unbekümmert kreative dazu. Es gab da noch eine andere Art von Distanz, die von der Liebe zur Literatur geprägte. Ich wollte die klassische Literatur als Quelle und Inspiration nutzen und den damaligen Comic literarisch aufwerten – aus seiner 'Heftl'-Nische hebeln. Distanz also zum gängigen Spaß-Comic. Für Ambitionen dieser Art war damals leider nicht die richtige Zeit. Die Massenauflagen liefen und brachten gewaltigen Ertrag in die Verlags-Scheuern und ich hatte meinen guten Teil daran. Und dann war die Distanz noch zu etwas anderem gut: ich wollte auch tief und fest schlafen, ohne unbedingt von Comics zu träumen.

Von Peter Wiechmann sind bei Cross Cult die Reihen „Andrax“, „Hombre“, „Dietrich von Bern“ und „Thomas der Trommler“ als Neuauflage erschienen. Mehr unter www.cross-cult.de.

Jochen Ecke

Zur Startseite