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Kämpfer für die Kurden. Mehmet Yilmaz als wütender Künstler.
©  Maifoto/Gorki Theater

Gorki-Theater in Berlin: Ich bin der Held Namenlos

Die Publizistin Mely Kiyak hat ihr erstes Theaterstück geschrieben. "Aufstand" erzählt von Bênav, einem Kurden in der Türkei, der in einer permanenten Schizophrenie zwischen formaler Angepasstheit und Widerstand lebt.

Ganz schön anstrengend, so ein Aufstand. Erst mal ist ja die Frage, warum man sich überhaupt vom Sofa erheben soll. „Bequem sein und glotzen? Das wäre doch auch gegangen. Das ging doch all die Jahre so.“ Aber gut, nun steht man schon mal auf der Straße. Bloß wird’s nicht leichter. „Du willst ein Überzeuger sein, ein Lautschreier, ein Messagebringer, ein Revolutionär, ein gottverdammt geiler, der alles umstürzt und keinen Stein auf dem anderen lässt, dann stehst du da – und hast Angst.“ Da drängt sich die Frage auf: Wofür das alles?

Die Publizistin Mely Kiyak hat ihr erstes Theaterstück geschrieben. „Aufstand“ heißt der Monolog, gehalten von einem Künstler zwischen Wut und Wankelmut. Mehmet Yilmaz spielt ihn, als freundlichen Conférencier des Widerstands, der eingangs die Nebelmaschine anwirft und praktische Tipps fürs gesunde Verhalten im Tränengasnebel gibt: Wenn’s mal hoch hergeht auf der Demo, nicht die Augen mit Wasser auswaschen. Lieber Milch nehmen. Oder, für die Hartgesottenen, Zitronensaft.

Stimmen aus Konfliktzonen

In der Regie von András Dömötör wird „Aufstand“ im Studio des Gorki im Rahmen des Festivals „Voicing Resistance“ gezeigt, das ja künstlerische Stimmen aus Konfliktzonen versammelt.

Aus einer solchen stammt auch Kiyaks Protagonist. Aus Diyarbakir nämlich, der kurdischen Metropole in Südostanatolien. Aus einem Landstrich, wo die türkische Regierung „dreieinhalbtausend Dörfer und Weiler entvölkert“ hat. „Aus den kurdischen Siedlungen sind etwa 2,5 Millionen Menschen vertrieben worden.“

Informationen, die der bildende Künstler im Stück mal als Katalogtext für eine Ausstellung in Marburg und Göttingen zusammengetragen hat. Woraufhin die freundlichen Mit-Aussteller, allesamt Türken, in einem Brief um seine Ausladung gebeten haben. Schließlich sei er offenbar „ein von der PKK bezahlter Aktivist“.

Zwischen allen Stühlen

Es ist ein Mann zwischen allen Stühlen, den die Dramatikerin hier sprechen lässt. Einer, der in permanenter Schizophrenie lebt. In der Türkei arbeitet er tagsüber als Lehrer und unterrichtet die Schüler nach den kemalistischen Grundsätzen der Republik. Nach Schulschluss sucht er die Wahrheit im Widerstand. In der Kunst und auf der Straße.

Zugehörigkeit findet der Mann – den Mehmet Yilmaz einfach großartig spielt, mit leiser Ironie unter Wut und Verwunderung – nirgends. Weder in Deutschland, wo er mit einem Stipendium des akademischen Austauschdienstes brave Demonstrationskultur beobachten darf, gesittetes Skandieren in Begleitung des Roten Kreuzes. Noch in der Türkei, wo er während der Gezi-Proteste statt der erhofften Einheit von Sunniten, Aleviten, Konservativen und Vegetariern auch nur Splittergrüppchen erlebt. Und einmal aus einer Menge den Slogan hört: „Wir sind alle Kurden!“ Seine Frau, die er gleich aufgeregt anruft, versteht „die Algen kurbeln“. Was wohl näher an der Wahrheit liegt.

Kiyak beschreibt eine Identitäts- und Gerechtigkeitssuche. Mit Brisanz und Witz, mit Zorn und Ratlosigkeit. Bênav heißt ihr Held. Was das bedeutet, wird er nie gefragt. Es ist Kurdisch und meint „ohne Namen“.

Wieder am 11. und 26. Dezember zu sehen.

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