Zum Tod des Jazzbassisten Charlie Haden: Holz, Knochen, Seele
Charlie Haden war ein Mann für trockene Düsternisse. Sein unverwechselbarer Ton war ein dunkles, warmes, mächtiges Pochen. Am Freitag erlag der 76-jährige Jazz-Musiker den Spätfolgen einer Polio-Erkrankung.
Auf „Last Dance“ (ECM), dem Album, auf dem er zusammen mit Keith Jarrett gerade erst noch einmal über das Parkett von Standards wie „Every Time We Say Goodbye“ schob, war Charlie Haden wie immer der Tanzbär. Während der Pianist den ganzen harmonischen Reichtum des Great American Songbook erblühen lässt und sich den einen oder anderen virtuosen Ausbruch nicht versagen kann, rumpelt er, der Bassist, mit wunderbarem Stoizismus durch die Stücke. Zwei alte Freunde, die sich nach über 30 Jahren der musikalischen Trennung in Jarretts privaten Cavelight Studios wiedergefunden haben, es ohne jede Absprache wieder einmal miteinander versuchen und sich auf Anhieb erkennen. Mit „Jasmine“ war vor vier Jahren schon der erste Teil dieser nächtlichen Begegnung von 2007 erschienen, nun ist die Aufnahme zum Vermächtnis geworden. Am Freitag ist der am 6. August 1937 in Shenandoah, Iowa, geborene Musiker 76-jährig an den Spätfolgen einer Polio-Erkrankung, die ihm schon als Kind zu schaffen gemacht hatte, gestorben.
Charlie Haden war ein Mann für trockene Düsternisse. Sein unverwechselbarer Ton war ein dunkles, warmes, mächtiges Pochen, in dem das ganze Holz mit den Darmsaiten schwang, die er dem Stahl vorzog - und oft pochte es vernehmlich auf das Griffbrett. Wenn die Geschichte des modernen Jazzbasses zugleich die Geschichte seiner Überwindung ist, dann war er zutiefst konservativ. Die Emanzipation zum Melodieinstrument, die sich mit Namen wie Oscar Pettiford, Scott La Faro und später, am elektrischen Bass, Jaco Pastorius verbindet, war ihm fremd. Für ihn war ein Bass nichts anderes als ein Bass. Wenn es aber darum geht, in welche Freiheiten man sich dennoch hineinspielen kann, war er ein Revolutionär.
Sein Talent war stets auch eine enorme Vielseitigkeit
Schon Ende der 50er Jahre, in der Band des Pianisten Paul Bley, war er am äußersten Ende jenes Jazz angelangt, der brav über Harmoniefortschreitungen improvisiert. 1959 war er auf Ornette Colemans legendärem Album „The Shape Of Jazz To Come“ mit dabei, wo er zusammen mit Drummer Billy Higgins unter anderem den Grund für „Lonely Woman“ legte, eine von Colemans melodiesüchtigen Kompositionen über einem einzigen Grundton, die jeden anderen, auf Akkordkorsette und zählbare Strukturen eingeschworenen Bassisten in den Wahnsinn getrieben hätten. Haden wusste damit umzugehen, bevor andere Bassisten ähnlich freie Kontrapunkte und eigenständige Linien setzen konnten. Noch ein Vierteljahrhundert später, in dem Quartett Old And New Dreams mit den Coleman-Veteranen Don Cherry, Ed Blackwell und Dewey Redman, war er darin souveräner als viele.
Sein Talent war stets auch eine enorme Vielseitigkeit. Mit seinem Liberation Music Orchestra macht Politfolklore mit Free-Jazz-Ausbrüchen, er schmückte Keith Jarretts amerikanisches Quartett, spielte im Duo mit Pat Metheny oder erfand für sein eigenes Quartet West eine von den 40er Jahren geprägte Retroästhetik, die freilich allein durch seinen wummernden, knochigen und beseelten Bass nie in Kitschverdacht geriet. Es war das Widerständige eines Musikers, der einiges überlebt hatte: erst das Heroin in den 60er Jahren und schließlich den Tinnitus, der ihn auf der Bühne schließlich dazu zwang, bei größerer Besetzung mit Ohrstöpseln hinter Plexiglas zu spielen.
Einfachheit war für Haden Trumpf
Dabei vertrug er sich mit den unterschiedlichsten Drummern. Ein hyperpräziser Polyrhythmiker wie Jack DeJohnette passte zu ihm nicht schlechter als ein auf Abstraktion zielender Schrat wie der 2011 verstorbene Paul Motian, unter dessen Händen selbst Standards zerfließen wie ein Camembert in der Mittagssonne. Bei alledem war Haden ein zuverlässigster Timekeeper, der auch bei schnelleren Stücken nie aus der Puste geriet, weil er die Töne seines walking bass verdoppelte. Einfachheit war für ihn Trumpf – auch in seinen Soli. Kleine Melodien, klare Intervalle: Terzen, Quarten, Quinten und Oktaven. Diese Einfachheit wird von nun an fehlen.
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