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Meistermaler aus Japan: Hokusai-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau

Ein grandioser Künstler, eine großartige Ausstellung: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt das Gesamtwerk von Hokusai.

Als er 74 Jahre zählte, signierte Hokusai seine Werke mit Gakyo rojin, als „Alter Mann, vom Malen besessen“. Das war kurz nachdem er in seinen produktivsten Jahren unter anderem die berühmte Holzschnittserie der „36 Ansichten des Berges Fuji“ geschaffen hatte. Vom Malen, von der Kunst besessen war er tatsächlich. In seinem biblisch langen Leben (1760–1849) hatte er als 13-Jähriger Druckstöcke zu schnitzen gelernt und als 19-Jähriger seine erste Grafikfolge veröffentlicht. Von da an bis zum Tod war Hokusai siebzig Jahre lang als Künstler tätig.

Demut als raffinierteste Form des Eigenlobs zeigt der ihm zugeschriebene Satz: „Obwohl ich bis zum Alter von 50 Jahren zahlreiche Zeichnungen verfertigt habe, zählt keine einzige, die ich vor meinem 70. Geburtstag geschaffen habe“. Auf dem Sterbebett soll er geseufzt haben: „Hätte der Himmel mir weitere fünf Jahre geschenkt, wäre ich ein großer Maler geworden.“ Da war Hokusai 89 Jahre alt, 90 nach japanischer Zählung.

Nichts als Koketterie, muss man als europäischer Besucher der Retrospektive ausrufen, die der Martin-Gropius-Bau von heute an zeigt. Diese Ausstellung ist ein Genuss, ein Gewinn, sie ist großartig, weil der Künstler so großartig ist. Hokusai ist nicht einer, er ist viele, und so oft er seinen Künstlernamen gewechselt hat – an die 30 Mal –, so viele Stile, Spielarten, Facetten zeigt er uns, abgesehen davon, dass er in allen Genres gleichermaßen zu Hause ist, in Figurendarstellungen, Landschaften, Stillleben, dazu als Buchillustrator literarisch bewandert.

Hokusai, der produktivste unter den zahlreichen Künstlern des volkstümlichen japanischen Holzschnitts, war ein veritables Ein-Mann-Unternehmen, dessen Erfolg den Wellen der japanischen Binnenkonjunktur folgte, Absturz und Verelendung inbegriffen. Neunzig Mal ist Hokusai in und um Edo umgezogen. Augenscheinlich war ihm die Arbeit wichtig, allein seine Arbeit. Er begann mit Schauspielerporträts, mit Darstellungen „Schöner Frauen“ (bijin), aber hatte auch Szenen des heimatlichen Edo, des heutigen Tokio, im Repertoire. Dort ist er geboren, in Sumida, einem damaligen Vergnügungsviertel mit zahlreichen Schaubuden und Verkaufsständen, mit Freudenhäusern und nächtlichen Feuerwerken.

So abgeschlossen Japan auch war, kam Hokusai doch in Kontakt mit westlichen Bildvorstellungen. Die um 1805 gedruckten „Acht Ansichten von Edo im holländischen Stil“ verweisen schon im Titel auf die Anregung durch Europa – und die Zentralperspektive. Es wäre eine eigene Kabinettausstellung wert, die Auseinandersetzung mit den Perspektive im Werk Hokusais nachzuverfolgen, die Näherungen oder auch Zurückweisungen, je nachdem, wie das Sujet es erfordert. Souverän spielt Hokusai mit Größenverhältnissen, zumal in den „36 Ansichten“, wo er den Vulkankegel des Fuji mal klein in die Ferne setzt, um Figuren im Vordergrund zu zeigen, ja eine ganze lebhafte Szene wie in „Yoshida“, mal groß das Bild füllen lässt als semi-abstraktes Zeichen.

In dieser seiner ausgereiftesten Bildserie vom Berg Fuji konnte Hokusai alles unterbringen, was er sich in den fünf Jahrzehnten zuvor künstlerisch angeeignet hatte. In seinen „Manga“-Büchlein hielt er ab 1812 alle Einfälle der Kategorie „etwas ohne Absicht malen“ fest: Das nämlich bedeutet Manga. Es sind Skizzen, Figuren, Szenen, darunter Akrobaten, Steinträger und Tiere aller Art und schelmisch grinsende Geister. So beliebt waren diese illustrierten Büchlein auf billigem Papier, dass sie noch nach seinem Tod weitergedruckt wurden, insgesamt 15 Manga-Bände. Im Gropius-Bau sind sie in ansteigenden Reihen zu sehen, man kommt vor Schaulust nicht von ihnen los.

In Europa ist Hokusai berühmter geworden, als er es in Japan noch bis heute ist. Lesen Sie mehr auf Seite 2.

Bemerkenswert: In Europa ist Hokusai berühmter geworden, als er es in Japan noch bis heute ist. Die Grafiken Hokusais, zumal die „36 Ansichten des Berges Fuji“, sind in den kollektiven Bildervorrat eingesickert. Seine Grafik gilt eher als Synonym des japanischen Stils überhaupt denn als Ausdruck eines persönlichen Kunstwollens. Als es in Europa, vom Japonismus-verrückten Paris der 1870er bis 1890er Jahre ausgehend, bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu Hokusai gab, begann sich Japan überhaupt erst auf diesen großen Meister der ukiyo-e, der Druckgrafik des „fließenden, vergänglichen Lebens“ zu besinnen. In seinem Heimatbezirk Sumida wird Hokusai in naher Zukunft ein eigenes Museum errichtet, und diesem Vorhaben ist es zu verdanken, dass der Martin-Gropius-Bau zehn Wochen lang eine kaum je wiederholbare Hokusai-Übersicht zeigen kann.

Können wir Hokusais Bilder recht lesen? „Die Welle“ beispielsweise, seine bekannteste Komposition überhaupt, ein Blatt, das in seinem unerhörten Raffinement das europäische Bild von der Durchgeistigung fernöstlicher Kunst aufs Schönste bestätigt. Wir betrachten es von links nach rechts, während japanische Illustrationen von rechts nach links zu lesen sind. Dann aber wird die Welle, die über den schlanken Booten zusammenzuschlagen droht, von der stilisierten Form zur real empfundenen Gefahr.

Die europäische Rezeption der Ukiyoe-Grafik hat ein niederes Genre zu musealer Weihe gehoben. Hokusai hat von den schnell reproduzierten Grafik gelebt, aber er hat zugleich als Maler reüssiert. Die Rollbilder zumal der Jahre um und nach 1800 zeigen seine stupende Meisterschaft: Wie Hokusai mit dem hingehauchten Pinselstrich ein Bambusrohr so darstellt, dass Lücken des Farbauftrags die Struktur des Bambus wiedergeben, wie er eine ruhende Frau in einem einzigen Zug ohne Umrisslinie festhält, das ist schier atemberaubend. Und zugleich konnte er Vögel und Fische mit einer Präzision malen, als hätte er ein Naturkundebuch illustrieren wollen.

Im letzten Raum der Ausstellung ist ein Brief von Hokusai zu sehen, geschrieben im Alter von 83 Jahren und versehen mit einem zauberhaften, ganzfigurigen Selbstbildnis. Der Alte lächelt. Er lächelt wie der „Fischer am Strand“, den er Jahrzehnte zuvor, auf einem Felsbrocken sitzend, dargestellt hat. Man darf sich Hokusai als glücklichen Menschen vorstellen.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 24. Oktober, Mi-Mo 10-20 Uhr. Katalog im Nicolai Verlag, 448 S. mit 370 Farbabbildungen, 22 €, geb. 39,95 €.

Bernhard Schulz

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