"The Good Liar" mit Helen Mirren: Hochstapeln für Fortgeschrittene
Der Geschichtsthriller „The Good Liar“ dreht sich um zwei alte Betrüger. Er wird zum Duell zwischen Helen Mirren und Ian McKellen.
Zur Wahrheit hat das Kino von jeher ein ambivalentes Verhältnis. Sicher, spätestens zum Happy End triumphieren meist die aufrechten Helden. Interessanter sind aber zwielichtige Figuren wie der von Leonardo DiCaprio in „Catch Me If You Can“ verkörperte Hochstapler Frank Abagnale Junior oder die „Zwei hinreißend verdorbenen Schurken“ Michael Caine und Steve Martin, die es in der gleichnamigen Kriminalkomödie auf reiche Witwen abgesehen haben. Als Zuschauer möchte man ihnen im wirklichen Leben zwar nicht begegnen, sieht sie aber gerne davonkommen.
Dass die Wahrheit in Bill Condons Thriller „The Good Liar“ ein dehnbarer Begriff ist, zeigt sich bereits im Vorspann. Da knüpft Ron, ein professioneller Trickbetrüger (Ian McKellen), auf einer Datingplattform Kontakt zur pensionierten Oxford-Dozentin Estelle (Helen Mirren). Während sie vor ihrem Laptop zurückhaltend die angepeilte Beziehungskategorie „Begleitung“ anklickt, entscheidet er sich für „Romantik“ und zieht noch mal an seiner Zigarette, bevor er die Frage, ob er Raucher sei mit „nein“ beantwortet.
Wahrheiten lassen sich dehnen
Flunkern tun sie beide. Ron, das gesteht er bei ihrer ersten Begegnung in einem Londoner Café, heißt in Wirklichkeit Roy und fühlt sich vereinsamt, seitdem sein einziger Sohn in Australien lebt. Estelle ist eigentlich Betty und hat vor Kurzem ihren Mann verloren. Natürlich wollen sie einander wiedersehen, und schon bald nistet Roy sich in Bettys Haus in einer Gated Community am Stadtrand ein, argwöhnisch beäugt von ihrem Enkel (Russel Tovey).
Hochstapler sind multiple Persönlichkeiten, über ihren Erfolg entscheidet die Qualität der Performance. Roy besitzt Charme und Charisma, er kann in erfundene Identitäten hineinschlüpfen wie in einen gut geschnittenen Anzug.
Eben noch ein gebrechlicher älterer Herr, der an Bettys Seite nach wenigen Schritten um Luft ringen muss, verwandelt er sich gleich darauf in der Bahnhofstoilette in einen Nadelstreifen-Gentleman, der energisch ausschreitend im Bankenviertel nach weiteren Opfern sucht. Mit Steuersparmodellen in der Karibik verspricht er Rekordrenditen, und wenn Polizisten gleich nach vollzogenem Geldtransfer das Meeting stürmen, sind das auch bloß Darsteller, die später ausbezahlt werden.
Nichts fürchtet Roy mehr als die Drohung „ich weiß, wer du bist“. Den Mann, der ihn auffliegen lassen will, stößt er im U-Bahnhof vor einen Zug, nicht ohne zuvor mit dem Regenschirm die Überwachungskamera weggedreht zu haben. Als Killer ist er genauso versiert wie als Betrüger.
„Gehen wir so vor wie immer?“, wird Roy von seinem Spießgesellen Vincent (Jim Carter, der Butler aus „Downton Abbey“) gefragt, den er als Anlageberater bei Betty eingeführt hat. Die Antwort „ja“ bedeutet, dass sie ihr gesamtes Vermögen abräumen wollen. Es soll ihr letzter Coup werden, danach möchte Roy am Strand sitzen und Champagner trinken.
[in Berlin im Cinema Walther-Schreiber Platz, CinemaxX Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, UCI Mercedes Platz; OmU in den Eva-Lichtspielen; OV im CineStar Sony Center]
Regisseur Bill Condon, schon in seinem Quasi-Biopic „Mr. Holmes“ ein Spezialist für die Grauzonen zwischen Realität und Fiktion, hat es nicht nötig, seinen Krimi mit Suspense-Szenen aufzuladen.
Er kann sich ganz auf seine beiden Hauptdarsteller verlassen, deren Spiel mehr und mehr zum Duell wird. Dabei wirkt Ian McKellen, der auch den greisen Detektiv Sherlock Holmes spielte, eindeutiger in der Uneindeutigkeit des schillernden Betrügers, während Helen Mirren in der Rolle der naiven, schwer herzkranken Witwe lange nicht zu fassen ist. Unter dem doppelten Boden dieser Geschichte nach einem Bestseller von Nicholas Searle verbirgt sich noch eine weitere Ebene.
Zeitreise nach Berlin
Die Spur führt über eine Reise nach Berlin und über arg kulissenhaft bleibende Rückblenden in die unmittelbare Nachkriegszeit. Da jagten ein britischer Geheimdienstoffizier und ein ihm verblüffend ähnelnder deutscher Übersetzer den ehemaligen KZ-Kommandanten von Buchenwald, was blutig eskalierte.
Man muss schon sehr genau aufpassen und auf die Details achten, um nicht auf die falsche Fährte gelockt zu werden. Auf den Kleinwagen, der oft nachts neben Bettys Haus parkt. Das Lilien-Stillleben, das bei ihr an der Wand hängt.
Oder auf die Narbe an Roys Hals, die angeblich von einem Ausrutscher beim Rasieren stammt. Und warum sitzt er plötzlich im Hotel Adlon und liest den „Spiegel“ mit einer Titelgeschichte über Whistleblower, obwohl er doch behauptet, kein Deutsch zu verstehen? Roys Traum vom finalen Strandleben wird sich übrigens erfüllen. Aber ganz anders, als er gehofft hat.
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