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Körpersprache. Khaled, Benny, Mikel und Vartan gehören zur Erfolgstruppe Flying Steps.
© Mike Wolff

Flying Steps: Hiphop in heiligen Hallen

Vom Jugendzentrum in die Nationalgalerie: ein Besuch bei Berlins Breakdance-Meistern Flying Steps.

Mittags um eins liegt der Tanzsaal mit der großen Spiegelwand noch ruhig und verlassen. An der Pinnwand hängen Hinweise auf Freies Training, den nächsten Tanz-Battle und die Zusatztermine für die Aufführung „Flying Bach“ in der Neuen Nationalgalerie. Mikel, Vartan, Benny und Khaled sitzen in Jeans und T-Shirt auf den Sofas ihrer Tanzschule in einem Hinterhof am Tempelhofer Ufer und erholen sich von ihrem Ausflug in die andere Kulturwelt: eine Kostümprobe im Friedrichstadtpalast. In der ab September laufenden Show „Yma“ haben die Flying Steps, die vierfachen Berliner Breakdance-Weltmeister, einen Auftritt. „In schwarzen Herrenanzügen“, erzählt Vartan und schiebt sich die Baseballkappe aus dem Gesicht. „Auch eine neue Erfahrung.“ Sie konnten gerade noch verhindern, dass Khaled im Body mit Stringer und Strassperlen auf der Brust auftreten muss. „Wir sind immer für das Neue, müssen uns aber wohl fühlen dabei.“

Wohl fühlen sie sich nicht nur in ihrer Tanz-„Academy“, wo langsam die ersten Jugendlichen auftauchen, die hier täglich trainieren: Breakdance, Hiphop, House, Popping und wie die Unterarten des Streetdance alle heißen. Viele Jugendliche haben einen Migrationshintergrund, wie die Flying Steps selber: Vartan stammt aus Libanon und ist armenischer Herkunft. Seit seinem siebten Lebensjahr lebt er in Berlin. Khaleds Eltern stammen aus Syrien. Benny ist halb Japaner, halb Schweizer und Mikel nennt sich selbst den „Quotendeutschen“. Wohl fühlen sie sich auch in der Neuen Nationalgalerie, wo die vier seit Mitte April zu Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, in musikalischer Reinform und in synthetisierter Form, tanzen. Obwohl keiner von ihnen zuvor den Mies-van-der-Rohe-Bau besucht hatte. Die Tänzer genießen den Applaus des Publikums, das nicht die typische Szene der Hiphop-Kultur widerspiegelt. Eher das ältere Zehlendorfer Akademikermilieu, das sonst in die Philharmonie geht. Und wahrscheinlich zum ersten Mal bewusst Breakdance erlebt.

„Ich hätte nicht erwartet, dass diese Leute so begeistert sind“, meint der 34-jährige Vartan, der 1993 die Flying Steps mitbegründete und heute für die Choreografien verantwortlich ist. „Die Anerkennung durch dieses Publikum macht uns stolz. Unser Tanz wird nicht mehr als Sport für Jugendliche abgestempelt, sondern als Tanzkunst anerkannt. Dadurch fühlen wir uns erwachsener.“ Auch der 23-jährige Khaled freut sich, „dass die Leute ein anderes Bild von uns und Breakdance haben“. Und plötzlich stand seine Lehrerin aus der zehnten Klasse nach der Vorführung vor ihm und gratulierte.

Begeistert erzählen sie von neuen Kontakten: Martina Rebmann, Leiterin der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek, hat die Flying Steps eingeladen, die dort aufbewahrten Autografen des „Wohltemperierten Klaviers“ von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1722 anzusehen. Nachdem sie die Aufführung in der Nationalgalerie gesehen hatte. „Wir können zwar alle keinen Noten lesen“, meint Vartan. Aber mittlerweile erkennen sie die verschiedenen Stimmführungen, die Struktur der Musik. Keiner von den Flying Steps hat vorher bewusst klassische Musik gehört. „Nur einmal, als meine Schwiegermutter uns vor acht Jahren in die Philharmonie eingeladen hat“, erinnert sich Vartan, der verheiratet ist und eine achtjährige Tochter hat. Eineinhalb Stunden lang habe er sich gefragt, wann das Konzert endlich zu Ende sei. Heute höre er Bach ganz anders und habe auch schon Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ aufgelegt. Das könnte ein neues Cross-Over-Projekt sein. Auch Khaled schaltet beim Autoradio nicht zum nächsten Sender, wenn plötzlich klassische Musik erschallt. „Früher habe ich immer schnell weitergedreht.“

Die vier Tänzer fühlen sich gebraucht. „Nicht wir sind von der Anerkennung durch den etablierten Kulturbetrieb abhängig. Das gilt eher umgekehrt“, meint Vartan und verweist auf die vielen Einladungen, in Theaterproduktionen mitzuwirken. Auch beim Gespräch mit dem Leiter der Neuen Nationalgalerie hatte er den Eindruck, dass man händeringend nach Wegen sucht, jüngere Menschen ins Museum zu holen.

Dieses Problem kennen die Breakdancer nicht. In ihrer Tanzschule rennt ihnen der Nachwuchs die Bude ein. Fast alle Mitglieder der Crew unterrichten hier selber, Mikel gibt außerdem Kurse in Jugendzentren und baut dort Nachwuchsgruppen auf. „Manchmal wundern sich die Leute, dass ich noch in Jugendzentren arbeite, wo wir doch Welttourneen machen.“ Aber er habe nicht vergessen, woher er komme. Im Wedding hat Mikel auch Khaled entdeckt und gefördert, bis er Mitglied der Gruppe wurde. Allerdings muss Mikel auch bremsen, wenn seine Schüler von einer Karriere als Profitänzer träumen und nach der zehnten Klasse alles hinschmeißen wollen. „Ich rate ihnen, dennoch eine Ausbildung zu machen“, meint Mikel, der als Einziger der fünf Tänzer eine abgeschlossene Ausbildung hat: als Siebdrucker. Khaled hatte eine Lehre als Zahnarzthelfer angefangen, „aber die Flying Steps haben mich abgeworben“. Benny wollte eine Akrobatikausbildung machen, dafür war er aus der Schweiz nach Berlin gekommen, ist dann aber schnell umgestiegen. Vartan hat es gar nicht erst versucht, sondern sein Hobby ausgebaut: „Aber ich habe Glück gehabt, schnell Geld damit verdient“. Das gelänge jedoch nur sehr wenigen, in Deutschland fällt ihm nur noch der Breakdancer „Storm“ ein. „Wenn es nicht geklappt hätte, würde ich heute bei McDonald’s arbeiten. Das sage ich den Jungs auch immer.“

Zwar hängt an der Pinnwand in der Tanzschule auch ein Poster von dem Film „Neukölln unlimited“, der die Geschichte ihres libanesischen Freundes Hassan und dessen Breakdance-Gruppe „Fanatics“ erzählt – und von dem ewigen Kampf handelt, hier in Deutschland anzukommen, wenn man nur polizeilich geduldet ist. Gesehen hat den Film aber noch keiner von den Flying Steps. Was vielleicht kein Zufall ist. Überraschenderweise fällt bei ihnen kein Wort über die Mühsal des Migrantendaseins. Dabei waren Khaled und seine zwölf Geschwister und Vartans Familie auch lange Zeit nur geduldet in Deutschland. Vartan glaubt, dass er wieder einmal Glück gehabt hat. Als er seinem Sachbearbeiter das Problem schilderte, dass er für seine Auftritte in Europa als Libanese nur schwer Visa bekomme, habe er sehr schnell einen deutschen Pass erhalten.

Auf welcher rechtlichen Grundlage, weiß er nicht. Aber folgerichtig findet er es: „Ich fühle mich mehr als Deutscher denn als Libanese.“ Arabisch könne er gar nicht gut sprechen, dafür Armenisch. Khaled spricht zu Hause Arabisch – und Benny kann sogar Schwyzerdütsch. Cross-Over im richtigen Leben, nicht nur auf der Bühne.

Zusatztermine für „Flying Bach“ in der Neuen Nationalgalerie am 15./16./17. Mai

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