Kunst-Comic: Hinterm Bilderrahmen geht’s weiter
Ein Sammelband von Nachwuchs-Zeichnern lotet die Möglichkeiten des Genres aus.
Das ist das Dilemma der Freiheit: Wer ohne Grenzen und Beschränkungen lebt, kann tun was er will und dabei Großartiges zustande bringen. Aber er ist auch völlig ungeschützt und kann gnadenlos scheitern. Das sind die Extreme, die die Zeichnerin Anemone Kloos in einer meisterhaften Kurzgeschichte ausgelotet hat. „Freiheit“ heißt das mit filigranem Strich und Collage-Elementen illustrierte Minidrama um die Flucht und freiwillige Rückkehr eines Gefangenen, es findet sich in einem bemerkenswerten Sammelband mit Werken von einem Dutzend Nachwuchszeichnern, der kürzlich erschienen ist.
„Strichnin“ ist der Titel des knapp 100-seitigen Buches, es ist der bereits zweite Band mit Arbeiten von Illustrations-Studenten der Hochschule Augsburg. Die zwölf Arbeiten, locker zusammengebunden durch das Oberthema „Straße“, geben einen eindrucksvollen Einblick in das Potenzial der nachwachsenden Comiczeichner- und Grafikkünstler-Generation. Das Projekt, betreut vom Professor für Visuelle Kommunikation, Mike Loos, führt auf beeindruckende Weise vor, wie viel Kreativität und Ideenreichtum freigesetzt werden, wenn man einer Gruppe von Comic-Künstlern alle Freiheiten gibt – und dabei zum Teil Großartiges herauskommt.
Die anfangs erwähnte Geschichte von Anemone Kloos steht dafür exemplarisch. Auf zwölf Seiten führt sie einen namenlosen Häftling vor, der in einem Gefängnis mit offen stehenden Toren sitzt. Er wagt sich hinaus in die Freiheit – was Kloos nicht nur erzählerisch, sondern auch grafisch bestechend umsetzt. Mit jedem Schritt, der ihn von seinem Gefängnis wegbringt, entlässt die Zeichnerin ihren Häftling auch grafisch aus der Gefangenschaft zeichnerischer Konventionen. Erst verschwinden die Panel-Rahmen, irgendwann wird gar die Leserichtung aufgehoben, die Geschichte entwickelt ein visuelles Eigenleben. Das ist kunstvoll inszeniert und fein auf die Dramaturgie abgestimmt. Zunehmend wachsen dem einstigen Häftling die Herausforderungen der Freiheit auch grafisch über den Kopf, am Schluss stolpert er verwirrt und erschöpft zurück aus der Freiheit in die vertraute Umgebung des Gefängnisses – und der Panel-Rahmen der Zeichnerin.
Wie hier Inhalt und Form spielerisch eine Einheit eingehen, das ist meisterhaft und erinnert an die surrealen Szenarien von französischen Comic-Klassikern wie Marc-Antoine Mathieus „Der Wirbel“.
Lust auf mehr machen auch andere Beiträge in „Strichnin“. Christian Schläffer lässt in seinem Beitrag „Straßenkämpfer“ einen ausgezehrten Marathonläufer auf das Ziel zustolpern und hält in intensiven Nahaufnahmen dessen letzte Schritte fest. Wie Schläffer das schmerzverzerrte, zerfurchte Gesicht seines Protagonisten in dem Moment zeigt, als er sterbend zu Boden sinkt, wie er dessen letzte Worte in massiven Buchstaben mit dem gebrechlichen Körper kontrastiert, das ist bewegend. Weitere Höhepunkte der Sammlung sind die in Tiefschwarz-Weiß erzählte Nachwuchsgangstergeschichte „Gleichgewicht“ von Gabriel Holzner oder die anrührende Monster-Tragödie „Das Medaillon“ von Anna Weisgerber, die von einem in wenigen Strichen einfühlsam erfassten Keller-Wesen handelt, das sich nach Gesellschaft sehnt und am Schluss an seiner Sehnsucht verzweifelt.
Dieses Buch zeigt, dass man sich um die Zukunft des deutschen Kunst-Comics offenbar derzeit keine großen Sorgen machen muss. Erhältlich ist „Strichnin“ für 8,50 Euro auf der Website www.strichnin-comic.de. lvt
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