Start der Hobbit-Trilogie: Hinterm Auenland geht’s weiter
Endlich ist es so weit: Peter Jackson schickt Tolkiens „Hobbit“ auf eine lange und fantastische Reise auf der Kinoleinwand. Damit beginnt eine neue Trilogie, die an den Erfolg von "Herr der Ringe" mit purem Überwältigungskino anknüpfen soll.
Große Abenteuer beginnen oft ganz bescheiden. Der Hobbit Bilbo Beutlin bekommt Besuch von dem Wandermagier Gandalf, der ihm die Teilnahme an einer nicht ganz ungefährlichen Reise schmackhaft machen will. Doch er weckt wenig Begeisterung bei dem mit schafsgleicher Gemütsruhe ausgestatteten Auenland-Dandy, der – wie übrigens alle Vertreter seines klein gewachsenen Volks – lieber vor seiner urgemütlichen Wohnhöhle hockt und ein Pfeifchen schmaucht, als gemeinsam mit 13 Zwergen und einem fragwürdig beleumundeten Zauberer in unbekannte Lande aufzubrechen.
Natürlich lässt sich Bilbo, der kein heldenhaftes, aber ein neugieriges Naturell besitzt, dann doch dazu hinreißen, seiner idyllischen Heimat den Rücken zu kehren. Und er bekommt reichlich Gelegenheit, diesen gänzlich hobbit-untypischen Entschluss zu bereuen, während einer Reise, auf der er und seine Begleiter es mit Orks, Trollen, mutierten Wölfen, Riesenspinnen, Steingiganten, bösen Zauberern und schließlich einem furchterregenden Drachen zu tun bekommen werden. Der heißt Smaug und wird in diesem ersten von drei „Hobbit“-Teilen noch gar nicht richtig gezeigt – man sieht in einem Rückblick nur die Zerstörung, die er Jahre zuvor im unterirdischen Zwergenreich vom Einsamen Berg angerichtet hat, wo er den sagenhaften Goldschatz der Zwerge eifersüchtig hütet.
Rund zwölf Stunden dauerten die drei Teile von Peter Jacksons Epos „Herr der Ringe“ in den überarbeiteten DVD-Versionen, womit sie nicht nur die erfolgreichste, sondern vermutlich auch längste Trilogie der Filmgeschichte darstellen. Und doch blieb das Gefühl zurück, nicht alle Motive und Handlungsstränge von J. R. R. Tolkiens 1500 Seiten dicker Buchvorlage wären angemessen abgehandelt worden. Diese Gefahr besteht beim „Hobbit“ kaum. Denn wiederum hat sich Jackson entschlossen, die nur rund 300 Seiten starke Erzählung auf drei Filme zu verteilen, von denen bereits der erste satte 169 Minuten Laufzeit aufweist. Genug Raum also für die Abenteuer des (laut deutschem Buchtitel) „kleinen“ Hobbits und seiner Weggefährten, die in der Chronologie von Tolkiens Fantasiewelt Mittelerde rund 60 Jahre vor den Ereignissen aus dem „Herrn der Ringe“ stattfinden.
Tatsächlich begeistert „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ mit einer Erzähltiefe, die einen auch ohne die suggestive 3-D-Technik in die Geschichte saugen würde. So nimmt sich Jackson viel Zeit, um die erste Begegnung von Bilbo mit den exilierten Zwergen in allen Farben auszumalen. Die in ein bacchantisches Festmahl mit sentimentalen Chorgesängen mündende Invasion der verfressenen Raufbolde läuft aus dem Ruder wie eine Facebook-Party und gehört zu den komischen Höhepunkten. Die schrulligen Zwerge wachsen einem sofort ans Herz, obwohl man ebenso den um sein trautes Heim besorgten Gastgeber versteht.
Nicht minder großartig erzählt ist Bilbos erschreckende Konfrontation mit Gollum, jenem aus dem „Herrn der Ringe“ bekannten Wesen, dessen von höheren Mächten verursachtes Unglück beim Zuschauer den Abscheu über seine Missetaten ausbalanciert. Bilbo gerät auf dem Grund eines von Orks angelegten Bergwerks in Gollums Fänge und kann seinen Hals nur retten, indem er den lichtscheuen Gnom in ein Rätselduell verwickelt, das er mit List für sich entscheidet.
Und doch leidet zumindest dieser erste Teil des „Hobbit“ unter einer gewissen narrativen Unwucht. So nehmen die Kampfsequenzen übermäßig viel Zeit in Anspruch, was gar nicht an ihrer Anzahl liegt, sondern daran, dass sie – vor allem in der zweiten Filmhälfte – enorm ausgewalzt werden. Trotz schöner Kampfchoreografien ermüden die endlosen Gemetzel mit den bedauernswerten Orks, und spätestens nach dem zwanzigsten in Großaufnahme klaffenden Wolfsmaul hat man kapiert: Okay, die Biester sind echt fies.
Dafür kommt ein Aspekt zu kurz, der diesem Film seinen Untertitel verleiht: die Reise. Dass die völkerverbindende Schicksalsgemeinschaft auf dem Weg zum Einsamen Berg einen halben Kontinent durchmisst, kann man schwer nachvollziehen. Ständig sind sie auf der Flucht, stolpern von einer Bredouille in die nächste, das Alltägliche des Reisens wird nur angedeutet. Die Chance auf ein Fantasy-Roadmovie wurde vertan. Hier fällt Jackson, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, hinter den Realismus zurück, der die HBO-Serie „Game of Thrones“ zu einer der herausragenden TV-Produktionen der letzten Jahre macht.
„Der Hobbit“ ist kein Film, in dessen Zentrum schauspielerische Höchstleistungen stehen. Dennoch ist es von unschätzbarem Wert, dass für die Titelrolle der großartige Martin Freeman gewonnen wurde. Man kennt ihn aus der tollen BBC-Serie „Sherlock“ – wo er den gutmütigen Dr. Watson gibt. Sein schalkhaftes Bubengesicht transportiert Staunen über eine Welt voll Wunder und Entsetzen über namenlose Schrecken, zugleich vermittelt es noch im größten Chaos eine britisch anmutende Unerschütterlichkeit.
Im Zusammenspiel mit den hervorragend gecasteten Darstellern der Zwerge und der aus „Herr der Ringe“ bekannten Schauspielerriege – darunter Ian McKellen als Gandalf, Cate Blanchett als Elbenkönigin Galadriel und Andy Serkis als Gollum – trägt Freeman den Film über atmosphärische und dramaturgische Unebenheiten hinweg. Die sind bereits in der Vorlage angelegt: Tolkiens Erstlingswerk von 1937 war im Grunde ein Kinderbuch mit überraschend brutalen Einschüben, eine Gewichtung, die sich in der Filmadaption umkehrt. Eine Rest-Infantilität bleibt aber, etwa wenn der verschrobene Waldzauberer Radogast im Holzschlitten von einer Horde dressierter Hasen gezogen wird – eine Szene, die in ihrer surrealen Qualität direkt aus „Alice im Wunderland“ stammen könnte.
Vor allem visuell ist „Der Hobbit“ mit all seinen Schlachtengemälden und panoramatischen, wieder in Neuseeland entstandenen Landschaftsaufnahmen pures Überwältigungskino. Er will staunen machen, was ihm dank technischer Innovation auch gelingt. Peter Jackson drehte den Film mit 48 statt der standardisierten 24 Bilder pro Sekunde, was für farblich brillante, ruckelfreie Aufnahmen von frappierender Schärfe sorgt, die die Räumlichkeit der 3-D-Projektion immens erweitern. Allerdings wird dies erkauft mit einem – vielleicht nur gewöhnungsbedürftigen – Guckkasteneffekt. Zwar hat man den Eindruck, sich mitten in den Kampfszenen zu befinden, aber die Trennung zwischen den in der Bluebox agierenden Schauspielern und den vom Computer hinzugefügten Kulissen wird stärker spürbar.
So ist „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ in der Summe seiner Eigenschaften zwar „nur“ ein Beinahe-Meisterwerk, aber dennoch der eine Fantasy-Film, den man 2012 gesehen haben muss. Hoffnung macht zudem, dass beim „Herrn der Ringe“ jeder Teil besser als der vorhergehende war. In einem Jahr wissen wir mehr. Dann geht die Reise weiter.
In 22 Berliner Kinos. OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar Sony Center, OmU im Filmtheater am Friedrichshain und Rollberg.
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