Montessori-Pädagogik: "Hilf mir, es selbst zu tun"
In den ersten Januartagen werden rund 1500 Erzieher und Montessori-Fans aus aller Welt nach Rom kommen, um Bilanz ihrer 100- jährigen Methode zu ziehen.
Rom - Montessori-Pädagogik klingt ein bisschen so, als hätten die Schüler sich das selbst ausgedacht: Kein Leistungsdruck, keine Zensuren, keine Schulstunden im 45-Minuten-Takt. Zeitweise darf man sich damit beschäftigen, mit was man gerade will. Klingt wie das Kinderparadies auf Erden. Dabei sind manche Ideen der Montessori- Lehre, die vor 100 Jahren erstmals in die Praxis umgesetzt wurden, längst zu festen Bestandteilen der modernen Pädagogik geworden - aktuell sind die Forderungen der Montessori-Anhänger aber immer noch.
In den ersten Januartagen werden rund 1500 Erzieher und Montessori-Fans aus aller Welt nach Rom kommen, um Bilanz ihrer 100-jährigen Methode zu ziehen. Und um ein Jubiläum zu feiern: Am 6. Januar 1907 eröffnete die Ärztin, Philosophin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870-1952) ihr erstes "Casa dei bambini" (Kinderhaus) im römischen Arbeiterviertel San Lorenzo. Was die Italienerin dort mit zumeist verwahrlosten Kindern leistete, nannten manche eine "kopernische Wende" in der Kindererziehung.
Weltweit 40.000 Schulen
"Hilf mir, es selbst zu tun", das Schlüsselwort der Italienerin gilt noch heute für jede der weltweit 40.000 Montessori-Schulen. Kern der Lehre: Die natürliche Freude der Kinder am Lernen zu fördern, schwierige, abstrakte Zusammenhänge wie Mathematik kindgerecht zu gestalten und sinnlich "begreifbar" zu machen - und dies alles ohne Angst vor Strafen. Hinzu kommt viel "Freiarbeit", in denen die Kleinen ohne das Korsett des Stundenplans selbst bestimmen können, womit sie sich beschäftigen. Heute gibt es "Freiarbeitsphasen" in vielen deutschen Schulen, vor 100 Jahren mutete das Konzept schlichtweg atemberaubend an.
"Doch Freiheit bedeutet nicht die Abwesenheit von Regeln", warnt Erzieherin Giacometta Zucconi von der römischen Internationalen Montessori-Schule Nerina Noe vor falschen Erwartungen. "Was wir versuchen ist lediglich, dass jedes einzelne Kind seine individuellen Fähigkeiten entfalten kann." Montessori-Pädagogik ist nicht gleichzusetzen mit anti-autoritärer Erziehung, wie sie in den 70er Jahren von manchen (miss)verstanden wurde.
Die 1870 bei Ancona geborene Maria Montessori nannte ihr Bestreben noch etwas anders: "Das Geheimnis der Erziehung ist, dass Göttliche im Menschen zu erkennen und zu beobachten." Ihre erstaunliche Entdeckung bei ihrer Arbeit in Rom war, dass viele vermeintlich "gestörte" Kinder ganz erstaunliche und unerwartete Fähigkeiten entwickelten - wenn man sie nur lässt.
Beschäftigung mit "Sinnesmaterial"
Ganz wesentlich, so die Erkenntnis, sei dabei die Beschäftigung mit "Sinnesmaterial". Beispiel Glasperlen: Die bunten Kugeln, oftmals noch per Hand eigens angefertigt, lassen sich zu Stangen, dann zu Platten und schließlich zu Quadern zusammenfügen, so dass die Kinder in Mathematik mit ihren Sinnen den Unterschied zwischen Einern, Zehnern und Hundertern lernen. "Vom Greifen zum Begreifen", nennen das die Experten.
Unumstritten war die "Methode Montessori" freilich nie. Kritiker meinen immer wieder, das "weiche Lernen" sei vor allem auf Jüngere ausgerichtet, weniger auf ältere Schüler in höheren Klassen. Bemängelt wurde auch die vergleichsweise geringe Betonung der künstlerischen und ästhetischen Erziehung. Andere bemängelten, dass sich Maria Montessori und ihre "Case dei bambini" zeitweise der Zustimmung des Diktators Mussolinis erfreuten; später wurden die Schulen allerdings, wie in Deutschland, verboten.
Über all dies wird bei dem Kongress in Rom zu sprechen sein, es gilt, über 100 Jahre Erziehungsarbeit eine Bilanz zu ziehen. Jüngste Nachrichten aus den USA stimmen verheißungsvoll, Montessori-Kinder erwiesen sich bei Tests nicht nur im Sozialverhalten, sondern auch in Mathematik und Lesefertigkeiten "normalen" Schülern überlegen. (Von Peer Meinert, dpa)
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