Kerstin Preiwuß und ihr Langgedicht „Rede“: Heute wird gehäutet
Kerstin Preiwuß und ihr Langgedicht „Rede“.
Schwebende Gesänge wolle er herstellen, Gebilde aus reinem Klangzauber, hat der französische Symbolist Stéphane Mallarmé einmal verkündet. Bis ins späte 20. Jahrhundert hinein taugte diese Maxime als Leitspruch für die poetische Moderne, bevor der Hermetismus an Anziehungskraft verlor und Konzepten einer stärkeren Realitätszugewandtheit wich. Im neuen Gedichtband der jungen Lyrikerin Kerstin Preiwuß gibt Mallarmé nun wieder in vielfacher Hinsicht den Ton vor. Im Motto wird er als Kronzeuge für die „essentielle Rede“ zitiert, die in den zwölf Kapiteln des Buches entfaltet wird.
Preiwuß’ Langgedicht beeindruckt mit Versen von hypnotischer Suggestivität. In einem poetologischen Begleittext, der bereits in der Literaturzeitschrift „Zwischen den Zeilen“ erschienen ist, erfährt man, dass der Band ursprünglich den Titel „Rodungen“ tragen sollte. Das ist in seiner Prägnanz ein vortrefflicher Titel, geht es in diesem Buch doch tatsächlich um die Erschütterung und Veränderung eines Ich, das sich seiner selbst nur mehr in Maskeraden und Verwandlungsritualen vergewissern kann. In jedem Kapitel versucht sich die Ich-Figur gleichsam selbst neu durchzubuchstabieren, nach der Maßgabe bestimmter Leitmotive. Das beginnt mit der Markierung des Ich durch einen „mittelstreifen auf der schädeldecke“. In den folgenden Kapiteln sind es immer wieder einzelne vokabuläre Keimzellen, die metaphorisch variiert werden und das Gedicht in eine eigentümliche Schwebe bringen: die Metaphorik der Zunge zwischen „gletscherzunge“ und „knisterndem hymen“, die Liebes- und Körpergeschichte zwischen Josephine und Kali, schließlich die Figurationen einer Ich-Entgrenzung. Ausgangspunkt des Textes ist eine Begegnung des Ich mit dem Tod und der Versuch, aus dem Moment wortloser Erschütterung herauszutreten und den Tod ins lyrische Sprechen aufzunehmen.
Manche Teile dieses Langgedichts irritieren durch allzu schlichte Sentenzen, die den Fluss der „Rede“ unterbrechen: „man steigt nicht zweimal in denselben fluss. sagt heraklit“. Was aber in diesem Gedichtbuch verstört und bezaubert, sind die Bilder der Häutung und schmerzhaften Verwandlung, in denen sich die Protagonistin spiegelt: „heut wird gehäutet / sagen die leut / ausschaben / sagen die leut / roh am schmerz / weidet euch // wächst ein geweih aus / linnen erst dann pergament dann bast / zur not ein // verschwinden unter der hand / kauert unter den nägeln / der kopf und der leib einer frau / ist mir gegeben / zum überleben“. Das sind Verse von beklemmender Intensität. Michael Braun
Kerstin Preiwuß: Rede. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 90 Seiten, 8 €.
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