Kultur: Herzog & de Meuron: Wenn Häuser denken
Mit der Eröffnung der Londoner "Tate Modern" im vergangenen Jahr dürfte das Basler Architektenduo Herzog & de Meuron auch bei einer breiteren Öffentlichkeit jenen Kultstatus erlangt haben, den es in Fachkreisen schon seit vielen Jahren genießt. Das Haus am Themseufer zählt zu jener schmalen Riege von Museen, die auch ohne Kenntnis ihrer Sammlungsbestände besucht, ja regelrecht von den Massen gestürmt werden.
Mit der Eröffnung der Londoner "Tate Modern" im vergangenen Jahr dürfte das Basler Architektenduo Herzog & de Meuron auch bei einer breiteren Öffentlichkeit jenen Kultstatus erlangt haben, den es in Fachkreisen schon seit vielen Jahren genießt. Das Haus am Themseufer zählt zu jener schmalen Riege von Museen, die auch ohne Kenntnis ihrer Sammlungsbestände besucht, ja regelrecht von den Massen gestürmt werden.
Das ist insofern erstaunlich, als die Tate Modern ohne jenen inszenatorischen Überschwang auskommt, der etwa Frank Gehrys "Guggenheim Bilbao" zum - viel geschmähten - Prototyp des architektonischen Selbstläufers gemacht hat. Jacques Herzog und Pierre de Meuron, beide gebürtige Basler des Jahrgangs 1950 und bereits seit 1978 in einer Büropartnerschaft verbunden, gelten vielmehr als Hauptvertreter des architektonischen Minimalismus, einer Richtung, die überzeugte Anhänger reisegruppenweise in die geschäftige Stadt im Dreiländereck pilgern lässt (und mittlerweile selbst vom örtlichen Tourismusbüro gepriesen wird).
Die Entwürfe zur Tate Modern bilden denn auch das umfänglichste Kapitel im soeben erschienenen dritten Band des Werkverzeichnisses von Herzog & de Meuron. Eine Werkübersicht in solch imponierendem Format unterstreicht den Rang, den die Architekten einnehmen. Dass die Bände nicht zu Musterbüchern für den Nachwuchs verkommen, liegt allerdings in einer Entwurfshaltung begründet, die jedes Projekt behandelt, als müsse die Architektur neu erdacht werden.
Der dritte Band umfasst die Jahre 1992 bis 1996, bezogen auf den jeweiligen Projektbeginn; manche hier vorgestellten Vorhaben sind noch im Bau, wie die "Fünf Höfe" mitten in München oder das Basler Fußballstadion im St.Jakob Park. Nicht weniger als 32 weitere Vorhaben werden bereits an den Folgeband verwiesen. Vor vier Jahren erschien der vorangehende zweite Band, ein Jahr später erst der erste Band des µuvrekatalogs - ein Hinweis darauf, dass das schwierige Werk dieses immer auch in (bild-)künstlerische Arbeiten ausgreifenden Duos sich nicht von Anfang an zur kontinuierlichen Buchpublikation angeboten hatte.
Aber das ist Vergangenheit; Herzog & de Meuron sind mittlerweile ein Markenname, mit dem sich inzwischen auch kommerzielle Auftraggeber schmücken, von den sachlichen Pharmakonzernen der Basler Heimat angefangen. Man könnte durchaus von einem Missverständnis sprechen. Denn so sehr die beiden Schweizer vielfach auch "Kisten" bereitstellen, so wenig handelt es sich dabei um bloße Container. Unaufhörlich stellen diese Bauten sich selbst in Frage und zwingen zum Nachdenken über Architektur; "gerade weil" - wie Wilfried Wang, der frühere Direktor des Frankfurter Architekturmuseums, einmal geschrieben hat - "eine konzeptionelle, rein gedankliche, nicht handwerkliche Entwurfsbasis im Vordergrund steht".
Aus dieser auf die Konzeptkunst der sechziger und siebziger Jahre verweisenden Haltung - so arbeitet das Duo immer wieder mit dem Schweizer Konzeptualisten Rémy Zaugg zusammen - erklären sich auch die Überraschungen, die ihr Werk bei aller für den oberflächlichen Blick gegebenen Einheitlichkeit bietet. Gewiss herrscht da viel nackter Beton - aber dann doch, um sich beispielsweise in der zweiten Haut einer gläsernen Vorhangfassade optisch aufzulösen wie bei der angefeindeten Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde (ihr hat die renommierte Londoner Architectural Association unlängst die Ehre einer Monografie erwiesen, AA Publications, 12,50 Pfund).
Ist da überhaupt so viel Beton? Das Weingut "Dominus" im kalifornischen Napa Valley (1995/98) ist in eine Fassade aus bruchsteingefüllten Drahtkörben gefasst - die aber, so malerisch sie wirkt, die betriebsnotwendige Funktion einer Speichermasse erfüllt. Das hymnisch gepriesene Eisenbahnstellwerk am Basler Hauptbahnhof - wann hätten Architekten schon einmal mit einem Stellwerk Furore gemacht! - ist mit Kupferband umwunden, das als Verweis auf die geheimnisvolle Elektronik im Inneren des Betonbaus verstanden werden mag.
Ein eigenes Kapitel der Architektenarbeit bilden die Umbauten. Man könnte sie im Sinne der bildenden Kunst eher als "Interventionen" bezeichnen. Denn so radikal Herzog & de Meuron das frühere Kraftwerk "Bankside" zur Tate Modern entkernt haben, so sehr erweisen sie der verborgenen Struktur des von keinem Geringeren als dem Traditionalisten Giles Gilbert Scott errichteten Gebäudes wie den vorherrschenden, industriell-schlichten Materialien ihre Reverenz. Aber mit welcher Delikatesse, mit welcher Qualität der handwerklichen Umsetzung! Wie eine Vorübung zum Londoner Meister- und Mammutwerk mutet die zum Privatmuseum des Sammlers Grothe umgebaute Küppersmühle in Duisburg an. Für die museal genutzten Speicherräume wurden Belichtungsschlitze notwendig - und bewusst asymmetrisch in die Fassade eingebracht, ohne doch aber im Mindesten zu verletzen. Des nachts bietet das Gebäude ein gänzlich anderes Bild als bei Tage. Ebenso arbeitet die Tate Modern mit dem Licht als raumbildender Kraft, sei es in dem gläsernen, bei Dunkelheit von innen strahlenden Dachaufsatz, sei es in den rechteckigen Bauteilen, die aus den Galerieetagen leuchtend in die einstige Maschinenhalle auskragen.
"Wo die Basler Architekten Räume und Flächen sich überlagern lassen" - schreibt Herausgeber Gerhard Mack in seiner emphatischen Einführung zum dritten Band - "inszenieren sie damit auch Rätsel der Zuordenbarkeit". In dieser Rätselhaftigkeit liegt der große Unterschied zur klassischen Moderne, der Herzog & de Meuron nur scheinbar in der leichten Erfassbarkeit und konstruktiven Klarheit ihrer Bauten huldigen. Tatsächlich schaffen sie ebenso sehr benutzbare Bauten wie autonome Skulpturen, bauliche Hüllen ebenso wie deren Bilder. Auf die Spitze getrieben haben sie diesen Dualismus beim Privathaus Rudin am französischen Rand Basels, einem Haus, das wie das Stereotyp eines Einfamilienhauses aussieht, mit den Proportionen des typischen "Häusles" samt Satteldach und Schornstein - und dann entpuppt es sich als Betonbau in der Form eines solchen Allerweltshauses, präsentiert auf einer frei stehenden Betonplatte. Das Haus und das Bild des Hauses gehen eine verwirrende Liaison ein.
In solcher Widersprüchlichkeit berührt sich die Architektur von Herzog & de Meuron mit der zeitgenössischen Kunst. Sie ist gleichfalls das Erbe einer Moderne, in der alles bereits gesagt und getan zu sein schien - bis zu dem Moment, da das Denken von Neuem beginnt.
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