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Geduld und Emotion. Elif arbeitete knapp eineinhalb Jahre an ihren Songs.
© Hannes Caspar

Deutschpop aus Berlin: Herzkram eben

Mit 16 Jahren sang Elif in einer Castingshow. Sie hat es überstanden. Jetzt ist sie 20 und veröffentlicht ihr erstes Deutschpop-Album.

Zum perfekten Auftritt hätten nur noch die quietschenden Reifen gefehlt. Aber auch so erregen die beiden jungen Frauen genügend Aufmerksamkeit. Ein sonniger Freitagnachmittag auf der Oranienstraße in Kreuzberg. Vor einem Eck-Café hält ein herbeischießendes Taxi und hektisch heraus springen zwei Grazien mit etlichen Einkaufstüten in den Händen. Es kostet sie Mühe, sich an den Tischen und Stühlen auf dem Gehweg vorbeizuzwängen. Schnell rein ins Café, hinten in die ruhige Ecke, an den Tisch am Fenster. Jetzt eine kühle Rhabarberschorle und kurz durchatmen.

Es ist ein vollgepackter Tag für Elif Demirezer, buchstäblich. Jede Menge Interviews, dazwischen eine Outfit-Anprobe, und später wird sie noch eine befreundete Musikerin treffen. Morgen steht ein Auftritt in Eisenhüttenstadt an, mit Sänger Andreas Bourani. Das Konzert will gut vorbereitet sein, gesanglich wie optisch, und deshalb haben Elif Demirezer und die Frau vom Management, die sie heute begleitet, die nächsten Stunden viel zu tun.

Gestresst wirkt die 20-Jährige dabei nicht, ganz im Gegenteil. Sie freut sich über die Aufmerksamkeit, beantwortet im Gespräch freundlich jede Frage, ohne ihrem Gegenüber das Gefühl zu geben, unter Zeitdruck zu stehen – auch wenn sie beiläufig auf dem Handy eine SMS tippt, um die nächste Verabredung etwas nach hinten zu verschieben. Einigen Menschen an den Nachbartischen scheint das Gesicht von Elif Demirezer vage bekannt vorzukommen, man merkt es an den musternden Blicken.

Tatsächlich ist die Nachwuchssängerin keine Unbekannte. 2009 nahm sie als damals 16-Jährige an der Castingshow „Popstars“ teil. Gesucht wurde ein Duo, weshalb ihr die Macher der Sendung einen Kandidaten namens Niklas zur Seite stellten. Mit ihm schaffte sie es bis ins Finale, alles sah nach einem Erfolg für die Berlinerin aus, doch am Ende gewann ein anderes Team. Ein Team, das später noch ein paar Lieder aufnehmen, ein paar Auftritte absolvieren durfte, an dessen Namen sich aber heute niemand mehr erinnert. So egal. So bedeutungslos. So austauschbar.

Dass Elif Demirezer nicht in Vergessenheit geraten ist, hat zwei Gründe. Der eine ist ihre außergewöhnliche Stimme. Der andere sind ihre Berater, die sie davon abhielten, das vermeintlich kurze Zeitfenster der medialen Aufmerksamkeit für einen künstlerischen Schnellschuss zu nutzen. Stattdessen legten sie ihr nahe, sich damit auseinanderzusetzen, wie sie als Künstlerin wahrgenommen werden, in welche Richtung sie gehen will. „Das Problem vieler ehemaliger Casting-Kandidaten ist, dass sie ungeduldig sind“, sagt Elif.

Sie selbst hat sich Zeit gelassen, auch wenn es ihr anfangs schwerfiel. Sie ging zurück zur Schule, warf aber hin, nachdem sie einen Plattenvertrag unterschrieben hatte. Knapp anderthalb Jahre arbeitete sie an ihren Stücken, geholfen haben ihr dabei der Rapper Curse und die Musikerin Jasmin Shakeri, die Elif als ihre Mentorin bezeichnet: „Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich nie so persönlich geklungen.“

„Unter meiner Haut“ heißt das Debütalbum von Elif, das diesen Freitag erscheint, die gleichnamige Single wurde bereits im Frühjahr veröffentlicht. Der Titel klingt natürlich erst mal kitschig. Nach Gefühlsduselei. Nach pseudointensiver Emotionalität. Dazu kommt noch das schwarz-weiße Cover, das die Sängerin verführerisch-weltvergessen zeigt. Sind die anfänglichen Zweifel aber zur Seite geschoben, wird man überrascht.

Elif macht Pop im besten Sinne des Wortes. Pop, der berührt und im Ohr bleibt. Mit eingängigen Melodien, mal süßlich, mal melancholisch, mal zackig. Im Einsatz sind Streicher, Gitarren, Klavier. Dazu Elifs Stimme und ihre Texte, in denen es viel um Liebe und Sehnsucht und Herzkram geht. Texte, die entfernt an Juli und Silbermond erinnern. Nur smarter, ausgefeilter. In „Nichts tut für immer weh“ singt sie zum Beispiel: „Und ich weine in fremde Kissen / und träum’ von Küssen, bis meine Beine den Boden nicht berühren / Und ich vergess’ dich in einer Sommernacht und hab seitdem nicht oft an dich gedacht / denn mein Herz schlägt weiter, auch wenn es fürchterlich brennt und alles hier zerfällt“.

Juli und Silbermond: Tatsächlich waren das einst Elifs Idole. „Als Teenager habe ich die oft gehört. Da wusste ich, dass ich auch Musik in dieser Art machen will.“ Mit zwölf nahm sie Gitarrenunterricht, zwei Jahre lang, mehr konnte sich die Familie nicht leisten, denn jede Stunde war ein finanzieller Kraftakt. „Es reicht immerhin für das, was ich jetzt mache“, sagt Elif und grinst. Nicht ausreichend hingegen sind ihre Türkischkenntnisse, denn obwohl beide Eltern aus der Türkei stammen, wurde daheim in Moabit vor allem deutsch gesprochen und deshalb könne sie das, was sie fühle, in ihrer Muttersprache gar nicht ausdrücken.

Die Geschichte ihrer Familie verarbeitet sie auf ihrer Platte. In „Baba“, dem persönlichsten der 14 Lieder, erzählt sie davon, wie sich ihre Eltern kennen gelernt haben und nach Berlin gezogen sind; wie schwer es für den Vater war, seine Frau und die vier Kinder durchzubringen, von Beziehungsproblemen und Spielschulden. Eine musikalische Offenbarung. War dafür vorab das Okay der Eltern nötig? Nein, sagt Elif, denn als eine Künstlerin, die ernst genommen werden will, dürfe sie über alles schreiben. Sie sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, die alle weiteren Nachfragen überflüssig macht.

Eine Künstlerin, die ernst genommen werden will. Derzeit sieht alles danach aus, als ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird. Trotz Elifs „Popstars“-Vergangenheit, oder gerade deswegen. In dem TV-Bootcamp hat viel gelernt. Vor allem, was sie nicht machen möchte: auf Englisch singen, Choreografien tanzen, mit fremden Musikern spielen. „Ich will einfach Elif bleiben“, sagt sie mit ungespielter Unschuld. Seit ein paar Monaten hat sie eine feste Band. Mit der probt sie derzeit für ihre im Januar anstehende Tour.

Unter meiner Haut“ erscheint bei Vertigo Berlin (Universal).

Konzert: 7. September, 15 Uhr, Ifa-Gelände, am Telekom-Stand.

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