Lady Gaga im Kino: Herz aus Gitarrensaiten
Lady Gagas Kinodebüt „A Star is Born“ erzählt die ur-amerikanische Aufsteigergeschichte zum vierten Mal.
Eigentlich will er weiter trinken, aber dann trifft er in einer Queerbar diese Frau. Verkleidet singt sie Édith Piafs „La vie en rose“ und sie tut es mit solcher Hingabe, dass es völlig egal ist, dass ihr Französisch auch als Klingonisch durchgehen könnte. Nun sitzen sie auf einem Parkplatz und zwischen ihnen liegt nur noch die Ungewissheit des ersten Treffens und eine Packung tiefgekühlter Erbsen. Die hat er um ihre Hand geklebt, nachdem sie einem Typen, der ihm blöd kam, in die Fresse schlug. „Tell me something, boy“, beginnt sie ihr Lied, „aren't you tired trying to fill that void?“ Am nächsten Abend wird sie ihm die gleiche Frage stellen, diesmal vor tausenden Konzertbesuchern. Denn er ist ein Rockstar.
Dass das Füllen der Leere ermattet, weiß man auch in Hollywood. Seit Jahren gilt dort das Gesetz der Wiederkunft des ewig Gleichen. Sequels füllen die kreative Leere. Dass der Schauspieler Bradley Cooper nun sein Regiedebüt mit einem Remake gibt – genau genommen: dem Remake eines Remakes eines Remakes –, erscheint da nur konsequent. „A Star is Born“, die Geschichte vom Aufstieg eines Stars und dem Niedergang eines anderen, ist seit der ersten Verfilmung mit Janet Gaynor und Fredric March von 1937 die ur-amerikanische Aufsteigererzählung schlechthin im Herzen der Unterhaltungsindustrie.
Das Original spielte tatsächlich noch in Hollywood, in den Fünfzigern wandelte sich die Geschichte mit Judy Garland und James Mason zum Musical, 1976 dann zum Rock-Melodram mit Barbra Streisand und Kris Kristofferson. Coopers Palimpsest lehnt sich am stärksten an die Siebziger-Version an und durchsetzt sie, besonders in den dramatischen Wendungen, mit Zitaten.
Eine Flasche Gin und süßliche Balladen
Cooper spielt den Schmerzensmann Jackson Maine, der die Touren mit seiner Country-Rock-Band nur noch dank Pillen und vieler Flaschen Gin übersteht. Seine Spezialität sind jene süßlichen Balladen, die den eigenen Schmerz nicht überwinden wollen, sondern es sich in ihm bequem machen. Sein Blick will einfühlsam wirken, aber eigentlich offenbart er nur den Wunsch, gemocht zu werden. Dieser typische Bradley-Cooper-Blick, alkoholverschleiert und gerahmt von einem sonnengegerbten Gesicht.
Ally – Lady Gaga in ihrer ersten Filmrolle – lebt noch bei ihrem Vater und ist von ihren gescheiterten Versuchen als Singer-Songwriterin desillusioniert. Außerdem sei ihre Nase zu groß. Jack erkennt jedoch ihr Talent und nimmt sie mit auf Tour. Bald bekommt Ally einen Solo-Vertrag, trällert R’n’B-Nummern und wird für Grammys nominiert. Zwischendurch heiraten die beiden, den Ehering bastelt er aus einer Gitarrensaite.
Coopers Film heißt zwar „A Star is Born“, doch diese Geburt findet nie statt. Schon Allys erster Auftritt sitzt perfekt, das Popstar-Image, das sie annimmt, bleibt genauso unterbelichtet wie ihr Charakter. Dass Ally trotzdem die Grenzen, die ihr der Film setzt, überwindet, liegt allein an Stefanie Germanotta. Als Lady Gaga füllt sie ganze Stadien, ein Filmset ist vergleichbar klein. Man bekommt eine ungefähre Ahnung davon, weil sie in jeder Einstellung einfach sowas von da ist.
Sehnsucht nach analoger Authentizität
Cooper bemüht sich, Gegenwärtigkeit zu erzeugen, doch seinen Film durchzieht eine tiefe Sehnsucht nach analoger Authentizität und traditionellen Rollenbildern. Wie vernarrt er in sein Ideal von Echtheit ist, lässt er sehr schnell durchblicken: Kaum hat Jack drei Worte mit Ally gewechselt, besteht er darauf, ihre aufgeklebten Piaf-Brauen zu entfernen. Später wird ihre neue Star-Persona als artifizieller Gegenentwurf zu Allys erdigen Anfängen als Songwriterin präsentiert. Dass diese Vorstellung von Authentizität genauso ein Konstrukt ist wie jedes andere Image, sollte ein Film über einen Popstar zumindst verstehen. Es verwundert umso mehr, als Lady Gaga die größte Verwandlungskünstlerin des Pops ist und selbst längst bewiesen hat, dass man zu sich selbst findet, indem man eine Rolle annimmt. Einerseits.
Andererseits ist Ally Wunsch nach Natürlichkeit auch ein strategischer Schachzug. Die Camp-Ästhetik und der Kirmestechno der Anfangszeit sind verschwunden, Lady Gaga trägt auf ihrem letzten Album „Joanne“ Cowboyhut und spielt Country-Rock. Eine Erweiterung des Pop-Imperiums mit filmischen Mitteln also? Der globale Unterhaltungskonzern Live Nation, der Lady Gaga managt und „A Star is Born“ mit produzierte, hat dies sicher einkalkuliert.
Überholte Rollenbilder im Rock'n'Roll-Zirkus
Dem steht jedoch die Biederkeit des Films im Wege, die sich besonders in den Rollenbildern zeigt: der Mann als Erwecker der Frau. „You found a light in me that I couldn't find“, singt Ally. Nach dem Mann richtet sie auch ihre Karriere aus. Es ist genau dieses Bild weiblicher Verfügbarkeit, das den Film so wahnsinnig rückwärtsgewandt erscheinen lässt.
Gerade in der zweiten Hälfte interessiert er sich nur noch am Rande für Lady Gagas deutlich spannendere Figur. Stattdessen fokussiert er Jackson Maine in seiner ganzen Wehleidigkeit. Dass Bradley Cooper ihn selbst spielt – der Regiedebütant hat den Film außerdem produziert, am Drehbuch mitgearbeitet und Songs geschrieben – hinterlässt nach zwei Stunden Herzschmerz vor allem den Eindruck, dass hier jemand unbedingt seinen ersten Oscar erzwingen will. Eigentlich hätte es ja Lady Gagas Film sein sollen.
In 24 Berliner Kinos. OV: Karli Neukölln, Delphi Lux, Rollberg, Zoo Palast OmU: Central, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Neues Off, Odeon
Jonas Lages
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