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Vier im roten Kreis. Vineta Sareika, Anthea Kreston, Gregor Sigl und Eckart Runge (oben r. bis unten l.).
© Nikolaj Lund

Artemis-Quartett im Kammermusiksaal: Herz auf der Hand

Pizzicato-Humor und ein Jagdgetümmel im Scherzo: Das Artemis-Quartett spielt Mendelssohn, Schostakowitsch und Schumann im Kammermusiksaal. Ein spätherbstlicher, intensiver Abend.

Sie sind wieder da. Das halbe Sabbatjahr ist um, sie sind weiter den Weg in die Innerlichkeit gegangen und haben sich ihre Ausdrucksintensität zurückerkämpft. Das Artemis-Quartett tritt wieder vor seinen Fans im Berliner Kammermusiksaal auf, zwei Jahre nach dem tragischen Tod des Bratschers Friedemann Weigle in der inzwischen erprobten Besetzung mit dem zur Bratsche gewechselten Gregor Sigl und Anthea Kreston als zweiter Geigerin. Und siedelt Mendelssohn, Schostakowitsch und Schumann zwischen den Welten an. Die Luft ist dünn, das Herz liegt auf der Hand.

Geigerin Vineta Sareika nimmt sich ungeheuer zurück, ein flattrig nervöses Gespräch hebt an. Immer auf Augenhöhe, hellwach die anderen registrierend, bleibt ein jeder ganz bei sich: Die Artemisten proben die Kunst der Implosion und destillieren den Zusammenklang aus der radikalen Vereinzelung heraus.

Das Wir als Wesenskern des Ichs, es klingt zunächst nicht ganz überzeugend. Mendelssohn (dessen Streichquartette sie noch mit Weigle auf CD eingespielt haben) spielen die vier im Kammermusiksaal extrem legato und unterziehen das Quartett Nr. 3 D-Dur einer Verdichtung bei gleichzeitiger Extremverfeinerung. Das Ergebnis ist ein schwankendes, vibrierendes Spinnengeflecht, bei dem auch geringste Unsauberkeiten und verrutschte Rhythmik wie zu Beginn des Presto-Finales offen zutage liegen. Dennoch machen der leicht ungeduldige Puls, der tastende Gestus hinaus ins freie Extemporieren und die Zurücknahme ins Fast-Nichts ein utopisches Moment aus, die Versöhnung von Schönheit und Wahrheit in der Musik.

Organische Metamorphosen

Cellist Eckart Runge, ohnehin der Spiritus Rector des Ensembles (und der einzige, der seit der Gründung 1989 dabei ist), spielt bei Schostakowitschs Quartett Nr. 7 fis-Moll buchstäblich die Hauptrolle, mit verschmitzten Interventionen oder aus Wellenbewegungen auftauchenden Kantilenen. Dem politischen Schwergewicht bei Schostakowitsch nehmen die Streicher alle Düsternis. Hier begegnet der Schikanierte den Repressionen des Regimes mit beschwingten Rhythmen, Pizzicato-Humor und einem schillernden Mikrokosmos aus Charakteren und Stimmungslagen. Hier stehe ich und kann nicht anders: Allein die Tonwiederholung wird zum anarchischen Akt.

Die Kunst der Implosion kommt vor allem in Schumanns Streichquartett a-Moll, op. 41, Nr. 1, zum Tragen. Das mittlere der drei Schumann-Quartette hatte das Ensemble im Frühjahr aufgeführt, allzu verhalten, schrieb Kollege Udo Badelt. Diesmal ist die Binnenspannung hoch, manifeste Energieschübe wechseln mit flüchtigen Gestalten, fahle Melodien steigen aus nackten Oktaven empor, um alsbald einem Überschwang an Temperament zu weichen. Und nie gibt es einen harten Schnitt, einen Bruch. Das Jagdgetümmel im Scherzo, das Dialogische in den kanonisch geführten Stimmen, es sind organische Metamorphosen: die ganze Welt auf engstem Raum, in friedlicher Koexistenz.

Wohin die Reise wohl weiter geht? Manchmal bewegt das Schlichte am meisten, wie Johann Sebastian Bachs Choral „Des Heiligen Geistes reiche Gnad“ als Zugabe an diesem spätherbstlichen, intensiven Artemis-Abend.

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