Zum 70. von Regisseur Volker Koepp: Herr der hohen Himmel
Regisseur Volker Koepp kartografiert seit 40 Jahren in seinen Dokumentationen den Osten als Kultur- und Seelenlandschaft. Ein Hausbesuch zum 70.
Dieser hohe Himmel! Volker Koepp hat ihn erst neulich wieder gesehen. Als er mit seinem jüngsten Film „In Sarmatien“ in Kaliningrad zu Gast war. Da hat der Himmel schon auf ihn gewartet, als er aus der Stadt Richtung Ostsee hinausfuhr. Koepp sagt „schön“ zu diesem ostpreußischen Himmel. Nur „schön“, obwohl er „unfassbar“ oder „berauschend“ meint. Viel zu starke, zu manierierte Adjektive für einen skrupulösen Redner wie ihn. Auch wenn nichts anderes als Bewunderung für die Schönheit der uckermärkischen, pommerschen oder sarmatischen Himmel aus jedem seiner Filme spricht. Da fühle man sich frei wie ein Entdecker, sagt der Mann, der seit mehr als 40 Jahren Himmel und Erde des deutschen und europäischen Ostens auslotet, wie kein zweiter Dokumentarfilmer in diesem Land.
An die 70 davon dürften es inzwischen wohl sein, teilt Volker Koepp nach einigem Grübeln zögernd mit. Er sitzt am Esstisch seiner lichten Pankower Altbauwohnung, die er mit Frau und Tochter teilt. Bis zum 70. Geburtstag sind es nur noch ein paar Tage. In der Uckermark, wo Koepp im Sommer wohnt, drängen die Festvorbereitungen. Er jedoch antwortet genau so, wie er die Menschen nach ihren Leben fragt: stockend, bedächtig, als wären Worte ein unvermittelt auslaufendes Deputat, als könnte jeder Satz nur ein falscher sein.
Der Plauderton aus dem Off
Wie er als passionierter Interviewer sich als Interviewter fühlt? Er lächelt. „Früher galt ich ja als stumm und habe gar nicht geantwortet“, sagt er. Schon mit zehn Jahren habe ihn sein Sohn ermahnt, doch einmal im Leben einen Satz zu Ende zu bringen. Inzwischen jedoch hat der am 22. Juni 1944 in Stettin geborene und in den Sechzigern an der Filmhochschule Babelsberg ausgebildete Regisseur so viele Preise erhalten, Studenten unterrichtet, Interviews zu seiner einzigartigen dokumentaristischen Filmsprache gegeben und ist mit so vielen Filmen quer durch Europa getourt, dass es doch etwas flüssiger geht.
Wer je einen seiner Filme wie „Wittstock, Wittstock“, „Die Wismut“, „Kalte Heimat“, „Kurische Nehrung“, „Memelland“, „Holunderblüte“, „Pommerland“, „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ oder „Dieses Jahr in Czernowitz“ gesehen hat, vergisst ihn nicht - den immer aus dem Off kommenden, interessiert-distanzierten Plauderton. Teilnehmend, gelegentlich ein paar historische Fakten erläuternd, nie kommentierend, nie abfragend. „Es geht darum, wie man sich den Leuten nähert, wie man das Leben beschreibt“, sagt Volker Koepp und erzählt, dass es wie im Journalismus auch beim Dokumentarfilm mal die Vorstellung gegeben habe, man müsse die Leute im Gespräch „knacken“. Er schüttelt den Kopf. Ist nicht seine Haltung. Wozu alles über einen Menschen wissen? Sind es nicht auch in der Literatur die erzählerischen Auslassungen, die Charakteren eine Aura, ein Geheimnis geben?
"Ich bin der, der nie auf den Punkt kommt"
Immer wieder hört er zu seinen lakonisch-poetischen Filmerkundungen des Kulturraums zwischen Ostsee und Schwarzem Meer auch die Aufforderung, doch bitte mal auf den Punkt kommen zu sollen. Volker Koepp lacht. „Ich bin der, der nie auf den Punkt kommt!“ Was soll das auch sein, außer einer Krücke für verängstigte Kleingeister? Auf welchen Punkt lassen sich denn Leben wie die von Frau Zwilling und Herrn Zuckermann, der letzten beiden deutschsprachigen Juden im ukrainischen Czernowitz bringen? Oder Wünsche und Wirklichkeit der drei jungen Textilarbeiterinnen Edith, Renate und Stupsy in Wittstock, die Volker Koepp von 1974 bis 1997 begleitet hat? Was ist der Punkt des Lebens unter Stalin, Hitler und Honecker? Zwischen Elbe und Wolga? Und in einem Kulturraum, der die schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts mit betörend schönen Landschaften deckt und wo Menschen wie die jungen Ukrainerinnen leben, die in der Doku „In Sarmatien“ von ihren europäischen Hoffnungen erzählen, die sie nach den Dreharbeiten als Maidan-Aktivistinnen in Kiew verteidigt haben?
Warum er sich für diese Regionen interessiert, weiß Volker Koepp, der als Flüchtlingskind mit vier Geschwistern erst auf einem Dorf in Brandenburg, in Berlin-Karlshorst und Dresden aufwuchs und seit 1976 in Pankow lebt, dagegen genau. „Es ärgert mich, dass man von Moldawien oder Transnistrien und – vor dem aktuellen Konflikt – auch der Ukraine nur was hört, wenn es um Zwangsprostitution geht. Die Leute dort leben ganz normale Leben. Aber sie fühlen sich abgehängt, wie eine meiner Protagonistinnen, die sagt: ,Europa hat sich von uns getrennt, weil wir arm sind.’“
Volker Koepp, der Herzaufschließer.
Sicher hat Koepp, dessen Filme trotz seiner 20 Jahre im Defa-Studio für Dokumentarfilme nicht im DDR-Fernsehen ausgestrahlt wurden und in den Kinos manchmal nur mit zwei Kopien für die ganze DDR liefen, nach der Wende mit dem Gedanken gespielt, auch mal ganz woanders hinzugehen. Er lacht. „Einmal wenigstens Honolulu!“ Doch dann haben die Frauen aus Wittstock angerufen und wollten von den erlebten Umbrüchen erzählen. Dann wurde 1993 das Kaliningrader Gebiet geöffnet und Koepp konnte sich endlich in Tilsit, der Geburtsstadt des Lyrikers Johannes Bobrowski, umschauen und später nach Czernowitz reisen. Und zu Hause in Ostdeutschland ist so viel Umwälzendes passiert. Plötzlich habe das Dokumentarfilmemachen, von dem er sich vor dem Herbst ’89 aus Frust über den Publikumsmangel schon verabschieden wollte, wieder Spaß gemacht. „Mit einer Fernsehausstrahlung spätabends hatte ich plötzlich so viel Zuschauer wie in der ganzen DDR-Zeit nicht.“
„Meinen Provinzialismus habe ich mir freiwillig auferlegt“
Nein, Honolulu hin oder her, dieses Land, diese Landschaft sei seine Angelegenheit, sagt der Regisseur, der zu DDR-Zeiten durchaus Kontakte zu befreundeten West-Dokumentaristen wie Klaus Wildenhahn oder Helga Reidemeister pflegte, manchen Film eher auf der Berlinale als in einem heimischen Kino zeigen konnte und immer mal wieder mit dem Gedanken spielte, in den Westen zu gehen. Wie er da so still die Weltläufte bestaunend hinter der Kaffeetasse sitzt, sieht er wie ein zufriedener Dagebliebener aus. Und Scherzen kann der in seinen Filmen gänzlich unironische Mann auch. „Meinen Provinzialismus habe ich mir freiwillig auferlegt“, grinst er in Anspielung auf Filme wie die „Zedernick“-Trilogie, die Dorfstudie „Das weite Feld“ oder „In Rheinsberg“ und erzählt die Anekdote, wie er einst mit Einar Schleef in der Nähe von Gransee wandern war und der plötzlich als Stotterer, der er war, aus Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ zitierte: „In jededededem Tttttümpel sppppiegelt sich ddddie ganze Welt.“ So wie sich in Koepps Sehnsuchtsmeer – der bei ihm zu Hause gleich dreimal auf gerahmten historischen Karten präsenten Ostsee – nicht nur die hohen Himmel, sondern auch versunkene Städte, Reiche und die Dünen der Kurischen Nehrung spiegeln.
Volker Koepp, der Herzaufschließer
Bei dem Film wollte Koepp 2001 eigentlich Schluss machen mit dem Gesprächeführen, mit wenig Fragen und viel Zuhören. „Ich war es leid, den Leuten immer so auf die Bude zur rücken.“ Also reiste er hin – mit Bildern von Joris Ivens Filmmeditation „Eine Geschichte über den Wind“ und dem Vorsatz im Kopf, endlich mal nur einer Landschaft ohne Menschen zu lauschen. Hat nicht geklappt. Weil er im Hotel eine Putzfrau was gefragt hat. Die antwortete in einem ganz wunderbaren ostpreußischen Deutsch, was sofort Koepps Interesse an ihrem Leben weckte. Damit scheiterte der Versuch, die Menschen von der Landschaft zu trennen. So sei das eben beim Dokumentarfilm, sagt er, Glück gehöre dazu. Dreieinhalb Stunden sind vergangen, Volker Koepp gehen jetzt wirklich die Worte aus. Auch die Zeit. Abschied und Aufbruch.
Noch mal drei Stunden später klingelt das Telefon. Volker Koepp ist dran. Es lasse ihm keine Ruhe, so ungastlich gewesen zu sein. Nicht mal ein Mittagessen habe er serviert. Völlig untypisch, völlig unmöglich das. „Sie haben eine Einladung bei mir gut.“ Schöne Geste. Noch dazu eine, die zeigt, was Volker Koepp zu einem begnadeten Zuhörer macht: Er ist ein Herzaufschließer.
„In Sarmatien“ läuft noch in den Kinos Acud und Krokodil. Das RBB-Fernsehen zeigt eine Geburtstagsretrospektive: vom 24.6. bis 15.7., jeweils dienstags 23.30 Uhr
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