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Der Goldene Bär, der für den Film «Körper und Seele» ("On Body and Soul"/«Teströl és lélekröl») verliehen wurde.
© dpa

Nach der Berlinale: Helden unserer Zeit

Ob die Berlinale nun stark war oder schwach: Es gilt das poetische und persönliche Kino zu verteidigen - das Perspektiven verrückt und die stereotype Weltbilder aushebelt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Nach der Berlinale ist vor den Oscars. Wenn am Sonntag in Hollywood die weltwichtigsten Filmpreise vergeben werden, fällt bestimmt wieder das T-Wort, und viele Stars werden der Empörung über ihren Präsidenten Ausdruck verleihen. Hier wie dort die gleiche wilde Mischung: Glamour und Engagement, Popcorn und Politik. Geht der Oscar an „La La Land“ oder einen Film über Rassismus, Kolonialismus, Verfolgung?

In den globalisierten Kinocharts liegen gerade „The Lego Batman Movie“ und „Fifty Shades Darker“ an der Spitze. Was die Frage relativiert, ob der Wettbewerb der am Sonntag zu Ende gegangenen Berlinale nun stark oder schwach war: Es gilt, neben dem Amüsierkino das Kino für Erwachsene zu verteidigen, das poetische, persönliche, wirklichkeitstrunkene Kino, das die Perspektiven verrückt und die stereotypen Weltbilder aushebelt.

Nirgendwo sonst, nicht in Cannes, nicht in Venedig, ist die Lust auf realitätstüchtige und -süchtige Bilder so groß wie hier. Auf Bilder, die sich weniger um die Tagespolitik scheren, als dass sie ins Herz der Gegenwart zielen, in langsamen Filmen für rasende Zeiten. Es ist ja das Publikum selbst, das nach den Vorführungen über Trump und die Weltunordnung diskutieren will. Und es würde etwas fehlen, wenn Festivalchef Dieter Kosslick nicht mit Schauspielern und Regisseuren gegen die Mexiko-Mauer demonstrierte oder auf Bonmots verzichtete wie „Wir haben X-Men in ,Logan’, die haben Mad Man im Weißen Haus“. Auch gute Stimmung kann ein Politikum sein.

Seit Jahren macht Kosslick aus der Not eine Tugend, aus der Nähe zum Oscar-Termin. Große, intelligente US-Filme – wie Denzel Washingtons „Fences“ oder Scorseses „Silence“ – wollen mit ihren internationalen Starts nicht bis Februar warten. Also müsste die Berlinale in den Dezember gehen. Aber ein Publikumsfestival kurz vor Weihnachten? Es ist vertrackt. Also versammelt der Wettbewerb Arthouse-Werke, bietet kleinen starken Filmen die Plattform, die sie in der Blockbuster-durchsetzten Filmschwemme den Rest des Jahres nicht haben.

Kommt der Siegerfilm jemals ins Kino?

Ildikó Enyedi? Nie gehört. Selbst der Goldene Bär für die Ungarin ist keine Garantie dafür, dass ihr still-bezwingendes Meisterstück „On Body and Soul“ in Deutschland ins Kino kommt. Der Berlinale ist das nicht anzulasten, denn sie zeigt es jedes Jahr neu: Wenn man den richtigen Rahmen setzt, gibt es ein großes, unersättliches Publikum für solche Expeditionen. Enyedis Film erzählt von zwei Menschen, die dieselben Träume träumen – ein schönes Sinnbild fürs Kino.

Gleichzeitig werden Dokumentarfilme immer beliebter, mit den „Fake News“ wächst ihre Bedeutung. Übrigens, die Protagonisten etlicher Nonfiction-Beiträge sind Staatsdiener. Polizisten, Lehrer, Richter, Sozialarbeiter, auch Krankenschwestern und Hebammen zählen dazu. Sie rackern sich ab für die Opfer von Gewalt, Krieg, Ungerechtigkeit, machen die Welt menschlicher. Wenn die Politik versagt, werden sie zu Helden unserer Zeit. Sie beweisen, es kommt auf den Einzelnen an. Gerade in Zeiten, in denen ein einzelner Staatspräsident viel Unheil anrichten kann.

Dennoch, es stimmt ja: Im Zentrum dieses in sämtliche Richtungen und alle Stadtteile wuchernden Filmfests schwächelt der Wettbewerb. Die Berlinale braucht Konzentration, auch was ihren Ort betrifft. Das Festival, das so viele Festivals unter einem Dach vereint, hat selbst kein Dach über dem Kopf, ist ein Dauerprovisorium am derzeit unattraktiven Potsdamer Platz. Ein Auslaufmodell. Die Idee eines Filmhauses mit Hochschule, Museum, Kinemathek, Gala-Kino und Festspielzentrale kommt zur rechten Zeit. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat gerade viel Geld für den Film locker gemacht, die kulturelle Förderung liegt ihr besonders am Herzen. Der Bund baut für den Film, im Herzen der deutschen Filmhauptstadt, das wäre die beste Kinokulturförderung. Grütters sollte das Projekt schleunigst anschieben, bis zur Wahl im Herbst ist genug Zeit.

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