10. Berlin Biennale: Helden stürzen mit postkolonialer Kunst
Vorspiel für das Humboldt-Forum: Gabi Ngcobos beherzte Berlin Biennale macht Lust auf den postkolonialen Diskurs.
Welche Geschichte wollen wir erzählen, welche hören? Es gibt immer mehrere. Firelei Báez berichtet von dem haitianischen Palais, das König Henri Christophe 1810 bis 1813 nach der Unabhängigkeit des Landes in dem kleinen Städtchen Melot errichten ließ, um seine Machtfülle zu demonstrieren. Mit der Jahrzehnte zuvor entstandenen Sommerresidenz von König Friedrich II. teilt sie den Namen. Beide heißen Sanssouci. Auf dem Vorplatz der Berliner Akademie der Künste lässt die 1981 in der Dominikanischen Republik geborene Künstlerin für die 10. Berlin Biennale jenes andere Sans Souci aus Pappmaché wiedererstehen – mit Torbögen, Karyatiden und Malereien im Inneren, wie sie sich noch heute als Ruine im Regenwald befindet.
Die pittoreske Schlossruine vor der kühlen, modernistischen Fassade des Akademie-Gebäudes von Werner Düttmann ist wohl platziert. An welche Architektur denken wir, wenn wir von Sanssouci erzählen: an das charmante Schlösschen vor den Toren Berlins, wo sich heute die Touristen tummeln, oder an den vergessenen Prachtbau eines selbst inthronisierten Karibik-Monarchen?
Die Kuratorin Gabi Ngcobo hat vor Beginn der Biennale immer wieder erklärt, dass sie mit festen Zuschreibungen Schluss machen will. „Liebe Geschichte, in dieser Revolution gibt es Frauen, Schwule, Queers & Trans. Vergiss nicht: #RhodesMustFall – Rhodes muss fallen“ hat sie ihrem Katalogvorwort als Credo vorangestellt. Das Zitat stammt von einem Protestbanner, mit dem Studenten im Frühjahr 2015 dafür demonstrierten, dass die Statue des britischen Kolonialisten Cecil John Rhodes vor der Universität von Kapstadt verschwindet. Einen Monat später war der Sockel leer.
Eine sinnliche, ästhetische Ausstellung
Auf dieser 10. Berlin Biennale lernt der Besucher nicht nur viele neue Künstler kennen – nur eine Handvoll der 47 Teilnehmer gehört zu den großen Namen des Betriebs –, sondern sollte neben dem Kurzführer immer wieder auch elektronisches Nachschlagewerk zur Hand nehmen. Wer war Rhodes? Wo genau steht dieses zweite Sans Souci?
Und dann gibt es noch jenen haitianischen Revolutionär Oberst Jean-Baptiste Sans Souci, der zunächst an der Seite des späteren Königs und Sans-Souci-Erbauers Henri I. kämpfte, aber dann von ihm als Konkurrent verraten und getötet wurde. An sein Schicksal, die immer wieder neuen Überschreibungen der Geschichte, erinnert Báez im ersten Ausstellungssaal der Akademie mit einer Wand voller ausgerissener Buchseiten, historischen Karten, die sie mit Tusche und Acryl übermalte: mal mit abstraktem Muster, mal mit Bombenkratern und gereckten Fäusten.
Damit macht die Kuratorin eine sehr erzählerische, sehr ansprechende Einladung an das Publikum. Nicht Politsprech dominiert, nicht karge Konzeptkunst, wie man es nach ihren verhaltenen Ankündigungen erwartet hätte. Stattdessen wird eine sinnliche, ästhetische Ausstellung präsentiert, die ihre Botschaft nicht von der Kanzel herab dekretiert, sondern in vielen kleinen Kapiteln formuliert. Die Verteilung auf die vier Ausstellungsorte – traditionell die Kunst-Werke als Geburtsstätte der Biennale, die Akademie der Künste am Hanseatenweg, außerdem das Zentrum für Kunst und Urbanistik im ehemaligen Güterbahnhof Moabit, sowie der gläserne Pavillon neben der Volksbühne – befördert die lustvolle, in diesen Frühsommertagen fast heitere Erschließung der Biennale. Nur in der Sache ist es ihr bitter ernst.
Wie ist mit Kunst im kolonialen Kontext umzugehen?
Als Gabi Ngcobo vor zwei Jahren als Kuratorin der Biennale berufen wurde, umso mehr als die aus Johannesburg kommende Hochschulprofessorin im Jahr darauf ihr vierköpfiges Team aus people of colour vorstellte, schien es auf der Hand zu liegen, dass sich diese Ausgabe zum Humboldt-Forum positionieren würde. Zu den gegenwärtig so kontrovers diskutierten Themen rund um die Schloss-Baustelle: Wie ist mit Kunst im kolonialen Kontext umzugehen, wie kann mit den Vertretern der Herkunftsländer eine gemeinschaftliche Form der Präsentation entwickelt werden, was sollte zurückgegeben werden? Wobei Ngcobo sich von Anfang an gegen Erwartungen zur Wehr setzte: „Die Verantwortung liegt nicht nur bei uns, sondern bei jedem.“
Am Ende aber ist es genau das geworden, eine „postkoloniale Biennale“. Warum nicht? Jede Berlin Biennale sucht ihr Thema, setzt ihren eigenen Akzent. Unvergessen die Premiere vor genau 20 Jahren, als ausgehend von den Kunst-Werken leere Wohnungen und Ladenlokale auf der Auguststraße bespielt wurden. Damals war es der Startschuss für Berlin als Boomstadt zeitgenössischer Kunst. Seitdem das Ortsspezifische als Charakteristikum ausgespielt hat, weil die Ruinen zunehmend saniert, die Brachen geschlossen sind, muss sich die Biennale anders profilieren. Beim letzten Mal ist dies dem New Yorker Quartett DIS mit der Kunst der Post-Internet-Generation gelungen.
Tina Turner donnert zur Eröffnung durch den Raum
Gewiss, nach einer Weile mag es nerven, wie sehr diese Biennale auf ihr Thema fokussiert ist. So gut wie jedes Werk arbeitet sich an kolonialen Fragen ab, wenn es nicht gerade mit dem Unrecht gegenüber Flüchtlingen, Frauen, Unterdrückten hadert. Und doch sprechen die gezeigten Werke eine bildstarke, ja bisweilen humorvolle Sprache. Malerei, Skulptur, Film zeigen sich von ihrer besten Seite. Umwerfend ist die collagenhafte Malerei von Tessa Mars, die mit ihrem geschuppten, gehörnten Alter Ego „Tessalines“ eine üppige, weibliche Gegenfigur zum haitianischen Revolutionär und Volkshelden Jean-Jacques Tessalines geschaffen hat.
Oder Thierry Oussou, der einen Bildhauer mit der Anfertigung einer Kopie des letzten Herrscherthrons von Benin beauftragte, um diesen dann als lang gesuchtes Original in einer vermeintlichen Ausgrabung ein Jahr später wiederzuentdecken. Jenseits des Ärgers, den er mit Archäologen und Vertretern der Beniner Behörden bekam, machte er mit seiner Aktion evident, wo die Empfindlichkeiten gerade liegen. In der Akademie der Künste ist neben einer Filmaufnahme seiner Grabung nicht nur der „gefälschte“ Thron durch ein Guckloch zu sehen, sondern in Vitrinen noch das eine oder andere Fundstück.
„We Don’t Need Another Hero“ ist die Biennale in Anlehnung an den Tina-Turner-Song überschrieben, der zur Eröffnung durch die Räume donnert. „Can’t make the same mistakes this time“ röhrt die heute in der Schweiz lebende US-Sängerin weiter. Den Machern des Humboldt-Forums wünscht man, diese Stimmung, diesen Schwung für ihr Projekt ebenfalls mitzunehmen. Und dazu so manche Anregung, wie Geschichte sich noch anders lesen lässt.