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Kultur: Heiß hier

Jetzt im Tipi: die „Cabaret“-Erfolgsproduktion der Bar jeder Vernunft

Liza Minnelli ist auch da. Sie sitzt auf einem Stuhl im Foyer, zwar nur als Wachsfigur, aber doch immerhin; ein Tribut an die große Sängerin, mit der die oscarprämierte Verfilmung von „Cabaret“ 1972 zu einem Welterfolg wurde. Nun feiert das Musical, das von den Goldenen Zwanzigern am Vorabend des „Dritten Reiches“ erzählt, im Tipi am Kanzleramt Zweitpremiere. Die Inszenierung von Vincent Paterson, die im Herbst 2004 in der Bar jeder Vernunft zum ersten Mal gezeigt wurde, hat man an die veränderten Dimensionen angepasst und hie und da neu besetzt. Zum Beispiel mit Maren Kroymann, die sehr flachshaarig, sehr feinsinnig und wenig musicalknallig die Rolle des Fräulein Schneider übernimmt, jener angejahrten Pensionswirtin, die sich mit Herrn Schultz (Peter Kock in liebenswürdiger Altersgebeugtheit), einem jüdischen Obsthändler, verlobt und diese Verlobung angesichts der Zeitläufte wieder lösen wird.

Die beiden sind ein ruhiges, geradezu unauffälliges Lot für eine Inszenierung, die ansonsten von Glamour, Geilheit und Glitter lebt. Schließlich steht der Pension von Fräulein Schneider das Cabaret-Theater „Kit-Kat-Club“ gegenüber, spiegelt sich im älteren Liebespaar mit Sally Bowles und Clifford Bradshaw ein jüngeres Pärchen, das ebenfalls Probleme zu lösen hat, trifft Schultzens Ritterlichkeit auf die Zudringlichkeiten der „Cousins“ von Fräulein Kost, welche auch in der Pension wohnt – Anja Karmanski gibt sie mit hübschem Irrsinn. Zahllos die Scherze des Conférenciers (Michael Kargus), der mit seinen großen Augen verschreckt tun kann, um im nächsten Augenblick seine schmutzigen Fantasien rattern zu lassen. „Ziemlich heiß hier, was? Da sehnen wir uns doch alle nach was Feuchtem, Erfrischendem.“

Ob solcherart Anzüglichkeiten, die zahlreichen Anspielungen auf Homo-, Bi- oder Gruppensex noch funktionieren in einer Zeit, die sich von Tabus und Zuschreibungen längst gelöst hat, wäre eine interessante Frage. Gleichviel: Was Kargus an Distanz und was dem ewig auftanzenden, quatschmachenden BH- und Unterhosen-Quartett an Intelligenz abgeht, was Kroymann an bannender Ausstrahlung vermissen lässt, all das lösen Sophie Berner als Nachtclubtänzerin Sally Bowles und Jens Schnarre als Clifford Bradshaw ein: Bradshaw nimmt seine Figur einfach ernst. Und Berner hat Starqualitäten, eine fabelhafte Figur, eine Stimme, die gelenkig und immer wieder überraschend timbriert ist, sie hat das Eingeschnapptsein, das Girrende und Hasserfüllte zur rechten Zeit.

Links vor der Bühne spielt die fünfköpfige Kit-Kat-Band unter Adam Benzwi eine spröde, nie dick schillernde Begleitmusik. Die Geige tönt nicht süß, das Klavier nicht verwunschen (oder höchstens aus Versehen), und am Schlagzeug wird tuff-tuff-tuff für die Eisenbahn gemacht, die Bradshaw zuerst nach Berlin und wieder zurück nach Paris bringt. Soll man hingehen? Die Story lohnt es, die Musik sowieso, das Tipi ist angenehm temperiert, und Sophie Berner sollte man auch gesehen haben. Also raus aus der Hitze, ab ins Zelt.

Tipi am Kanzleramt, bis 29. August, täglich außer montags

Christiane Tewinkel

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