zum Hauptinhalt
Autobiografisch inspiriert: Eine Szene aus „Über Spanien lacht die Sonne“.
© Reprodukt

Digitaler Alltag: Hasskommentare im Sekundentakt

Die Zeichnerin Kathrin Klingner verarbeitet in ihrem neuen Comic „Über Spanien lacht die Sonne“ eigene Erfahrungen als Online-Moderatorin.

Kitty fängt einen neuen Job in einer kleinen Hamburger Firma an, die Kommentare im Internet moderiert. „Hey, Leute. Das ist Kitty“, stellt der Chef sie dem Team vor. „Sie wird uns unterstützen, bis es mit den Kommentaren wieder ruhiger wird.“

Es ist das Jahr 2015, in dem mehr als eine Million geflüchteter Menschen nach Deutschland kamen. Das Thema „Flüchtlingskrise“ bestimmt die Online-Foren, immer mehr Hassbrühe schwappt durchs Netz und muss gefiltert werden. Kitty und ihre Kolleg*innen haben alle Hände voll zu tun, sich durch Kommentare zu klicken, sie in Sekundenschnelle zu prüfen, freizuschalten oder zu löschen.

Kathrin Klingners pointierter und unterhaltsamer Comic „Über Spanien lacht die Sonne“ (Reprodukt, 128 Seiten, 20 Euro) basiert auf eigener Joberfahrung der Autorin. Die Hamburger Comicautorin hat 2013 in einer Agentur angeheuert, die Onlinekommentare prüft.

Die Floskel „Über Spanien lacht die Sonne, über Deutschland die ganze Welt“ dürfte ihr dabei häufig untergekommen sein. Die Comicfiguren jedenfalls empfinden diesen Kommentar als einen der schlimmsten – auch wenn sie mit noch deutlich kruderen rechten Äußerungen zu tun haben, in die Tastatur gehackt von Usern wie „Ostwind“, „H_LH_ler“ oder „Dauerzensiert“.

Drei längliche Flecken für Mund und Augen

Die Onlinekommentare, meist an den oberen Rand der Panels gesetzt, stehen für die inhaltliche, realistische Ebene in Klingners Comic. Die Figuren hingegen sind größtenteils als anthropomorphe Wesen gezeichnet: Der Chef etwa läuft auf vier Beinen über die Flure, Kollege Todd trägt einen Totenkopf und Wolf Reißzähne im Maul.

Eine weitere Seite aus „Über Spanien lacht die Sonne“.
Eine weitere Seite aus „Über Spanien lacht die Sonne“.
© Reprodukt

Das Gesicht der Hauptfigur Kitty besteht nur aus drei länglichen Flecken für Mund und Augen plus zwei weiteren für die Ohren. Dieser minimalistische Kopf könnte einem Kaninchen, aufgrund des Namens aber vielleicht auch einer Katze zuzuordnen sein und sitzt auf einem stets schwarz gekleideten Frauenkörper. Indem sie die Form dieser Flecken geringfügig ändert, erzeugt Klingner erstaunlich viele Ausdrücke in Kittys Gesicht, von Konzentration über Verdruss bis Belustigung.

Tierfiguren und minimalistisch-krakelige Zeichnungen sowie der trockene Ton sind auch aus Kathrin Klingners Comicdebüt bekannt, der Beziehungsgeschichte „Katze hasst Welt“. Und während Katze sich schmerzhaft von Panda trennt, trifft sich Kitty regelmäßig zum Spaziergang mit ihrem Exfreund, einem gemütlichen schwarzweißen Bären mit Kleinkind im Tragetuch, der ihren neuen Job furchtbar findet.

Ein Fisch und ein Walross Arm in Arm

Die Handlung in den Räumen des Unternehmens, für das Kitty und ihre Kolleginnen und Kollegen Onlinekommentare prüfen, spielt sich in einem strengen Gitter von sechs Panels pro Seite ab – der Rahmen so monoton wie die Arbeit, aber durchbrochen von trockenen Dialogen oder Lautmalereien.

Das Titelbild des besprochenenBuches.
Das Titelbild des besprochenenBuches.
© Reprodukt

Wenn die Erzählung den einzelnen Figuren ins Privatleben folgt, ist die Aufteilung lockerer und sind die Bilder kleinteiliger und lebendiger. Und manchmal verfolgen die Kommentare Kitty auf dem Heimweg – sie stehen dann über ihr am Panelrand, während sie Rolltreppe fährt, in der U-Bahn steht oder das Weinregal im Supermarkt plündert.

Reizvoll sind gezeichnete Details, die eigene kleine Geschichten erzählen: Da ist zum Beispiel der smarte Typ mit dem Kopf eines Jagdhundes, der in der benachbarten Firma auf dem Flur gegenüber arbeitet, mit Kitty im Aufzug verstohlene Blicke tauscht und schließlich ein Date mit ihr hat.

Und als die Belegschaft in einer Kneipe namens „Absacker“ nach einer Weihnachtsfeier mit vom Alkohol gedoppelten Augen auf der Eckbank flezt, treten draußen vor dem mit Modellschiff dekorierten Fenster ein Fisch und ein Walross Arm in Arm den Heimweg an.

Barbara Buchholz

Zur Startseite