Interview mit Panorama-Chef Wieland Speck: Harte Brocken und zartes Schweben
Ein Schwerpunkt der Berlinale-Sektion Panorama liegt auf Filmen zu queeren Themen. Wieland Speck ist seit 1992 der Kurator des Programms und Erfinder des Teddy Awards. Ein Gespräch über lesbische Teenies, eine Transdiva und Stammgast James Franco.
Herr Speck, im vergangenen Jahr gab es unter den rund 30 Berlinale-Filmen mit queeren Figuren und Themen keinen einzigen der sich um Lesben drehte. Wie sieht es damit diesmal im Panorama-Programm aus?
Wir haben letztes Jahr böse Mails deswegen bekommen. Es gab da ein Ungerechtigkeitsgefühl. Wir können allerdings nicht zeigen, was es nicht gibt. Außerdem müssen die Filme in unseren Rahmen passen. Dieses Mal sieht es aber anders aus, es ist ein gutes Jahr für lesbische Filme. Bei den Dokumentationen gibt es etwa „Feelings Are Facts“ über die Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin Yvonne Rainer, Teddy-Gewinnerin von 1997. In der Doku geht es unter anderem um ihren Mangel an Ehrgeiz: Wenn man etwas von Rainer wollte, musste man ja immer auf sie zugehen. In „Je suis Annemarie Schwarzenbach“ verkörpern junge Schauspielerinnen die lesbische Schweizer Schriftstellerin und deren Freunde. Außerdem zeigen wir „Stories of our Lives“ über junge queere Menschen in Kenia und „Misfits“ über queere Jugendliche im amerikanischen Bibelgürtel.
Wie ist es mit Spielfilmen?
Da gibt es zum Beispiel „Sangaile“ aus Litauen, der eine wunderschöne Liebesgeschichte am Ostseestrand erzählt oder das überdrehte Trash-Musical „Dyke Hard“ aus Schweden. In Peter Kerns „Der letzte Sommer der Reichen“ ist die Hauptfigur eine skrupellose, lesbische Konzernchefin. Sie vergewaltigt ein 16-jähriges Mädchen, dem sie versprochen hat, ihre Modelkarriere zu fördern. Das Missbrauchsthema zieht sich überhaupt durchs Panorama dieses Jahr. Es ist auch in Rosa von Praunheims neuem Film „Härte“ zentral. Es ist ein echt harter Brocken, der Titel passt. Es geht um das Leben des Karate-Meister und Ex-Zuhälters Andreas Marquardt. Interviews werden gemischt mit Szenen, die auf seiner Autobiografie basieren. Er hatte einen extrem brutalen Vater, seine Mutter hat in sexuell missbraucht. Der Film eröffnet das Panorama Special-Programm im Zoo-Palast.
In den letzten Jahren kommen verstärkt Filme mit Trans-Themen auf Leinwände und Bildschirme. Die Serie „Transparent“ gewann sogar einen Golden Globe, gerade ist Jackie Baiers Berliner Transenporträt „Julia“ im Kino. Spiegelt sich diese größere Präsenz auch im Panorama?
Bei dem Thema gehören wir sicher zu den Vorreitern, genau wie bei schwulen und lesbischen Filmen. Wir haben diesmal mit „El Hombre Nuevo“ eine Dokumentation über eine Transfrau im Programm, die noch als Junge bei den Sandinista in Nicaragua war und später bei den Tupamaros in Uruguay. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie heute ihr Leben in absolut feindlicher Umgebung meistert. Außerdem ist die Transfilmemacherin Anucha Boonyawatana aus Indonesien zu Gast. In „The Blue Hour“ erzählt sie von einem schwulen Jungen, der davon träumt, sich an seinem homophoben Bruder zu rächen.
Geben Sie im Auswahlprozess queere Filme an andere Sektionen des Festivals ab?
Ja und zwar gerne. Es müssen ja nicht immer alle nur im Panorama laufen. Wenn wir hier ein gewisses Maß überschreiten, ist das auch nicht gut. Deshalb ist übrigens auch der Teddy für den besten queeren Film ein Preis für Beiträge aus dem gesamten Festival und nicht nur aus dem Panorama, wie es mein Vorgänger Manfred Salzgeber zunächst wollte. Doch weil der Teddy Award meine Idee war, konnte ich mich durchsetzen. So fingen dann auch die anderen Sektionen an, die Augen aufzumachen. Trotzdem hat es noch mal zehn Jahre gedauert, bis der Festivaldirektor erstmals zur Teddy-Verleihung kam.
"Wenn alle nur noch heiraten wollen, wird es etwas monoton"
Müssen Sie überhaupt noch nach queeren Filmen Ausschau halten oder werden ohnehin schon mit Einreichungen zugeschüttet?
Beides. Vor allem kommt es darauf an die richtigen Filme zu haben. Da haben es Programmmacher leichter, die sich nicht um ein so großes und kritisches Publikum kümmern müssen wie wir in Berlin. Wir müssen zudem den Filmmarkt im Blick haben, den wir hier aufgebaut haben. Das Qualitätssiegel, das er durch das Berlinale-Programm hat, gilt es aufrecht zu halten. Ich möchte, dass die Panoramafilme ein kommerzieller Erfolg werden und ein großes Publikum finden
Das heißt, bei der Auswahl spielt die potenzielle Markttauglichkeit bereits eine Rolle?
Der Markt ist konservativ, es geht ja um Geld. Allerdings darfst du nicht versuchen, dich ihm gegenüber opportunistisch zu verhalten. Dann säufst du ab. Denn wir als Programmgestalter legen ja die Messlatte dafür, was starke Filme sind. Das ist eine kulturelle Arbeit, keine industrielle - natürlich hängt sie mit der Industrie zusammen. Verglichen mit dem Kunstmarkt ist das allerdings fast schon harmlos.
Sie haben eben schon das queere Berliner Publikum angesprochen. Ist es wirklich besonders kritisch?
Früher war es sicher kritischer, vor allem weil es einfacher war, einen Überblick zu haben. Die große Vielfalt des queeren Films macht die Kritik schwieriger und auch seltsamer: Wieso soll man sich über eine Kleinigkeit aufregen, wenn es so viel Auswahl gibt. Social Media, Youtube-Schnipsel-Gucken und Serien-Dauerkonsum haben da schon einiges relativiert. Trotzdem sind die Gespräche auf dem Festival immer noch profund und ich habe nicht das Gefühl, dass das Interesse nachlässt. Und es sitzen nicht nur Methusaleme im Publikum.
Ist der queere Film inzwischen im Mainstream angekommen? Wenn man auf Erfolge wie „Brokeback Mountain“ oder den Teddy-Gewinner „The Kids Are Alright“ schaut, könnte man diesen Eindruck haben, oder?
Das sind eher Beispiele für die Spitze des Eisbergs dessen, was gerade im Mainstream möglich ist. Und schon kommt fünf Jahre kein ähnlicher Film mehr. Da wird häufig zu schnell gedacht, es sei schon etwas erreicht. Die Situation bleibt aber weiter angespannt. Wir hören ja immer wieder von den Problemen der Filmemacher, wenn ihnen zum Beispiel noch 30000 Euro zur Fertigstellung ihres Werkes fehlen. Dabei sind die queeren Filme häufig noch die billigeren.
Im letzten Jahr gab es beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus einen Schwerpunkt mit dem Thema „Queer East“. Noch vor ein paar Jahren wäre so was unmöglich gewesen. Gibt es weitere Trends dieser Art?
Der Trend ist einfach, dass Festivals wie Cottbus jetzt so was machen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es scheibchenweise immer stärker ins Bewusstsein tritt, dass queere Menschen einen Bevölkerungsteil bilden. Der andere Aspekt ist: Je normaler es wird, desto weniger spannend ist es natürlich auch. Wenn alle nur noch heiraten wollen, wird es schon ein wenig monoton.
Zum Schluss noch eine Frage zu einem Berlinale-Dauergast, der auffällig oft in queeren Filmen mitwirkt: James Franco ist wieder in drei Filmen dabei, unter anderem im Panoramafilm „I Am Michael“. Wie erklären Sie sich seine Affinität zum queeren Film?
Er mag einfach die schwebenden Sachen. Und er ist eine Alternative zum sich wohlverhaltenden, letztlich opportunistischen Industriedarsteller. In „I Am Michael“ spielt er einen Homoaktivisten, der zum Hetero wird. Er hat also auch keine Scheu, eventuell den Zorn des queeren Publikums auf sich zu ziehen. Franco ist für einen Kurzfilm ja schon mal mit einem Teddy Award ausgezeichnet worden. Jetzt hat er sich gleich mal erkundigt, ob das verhindert, dass er ihn noch mal gewinnen kann. Kann er natürlich. (lacht)