Interview zum Bayreuth-Debüt: Hans Neuenfels: „Also bitte, der Schwan muss sein!“
Regisseur Hans Neuenfels spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über sein Bayreuth-Debüt, „Heil“-Rufe und Wagners Sicht auf die Ehe.
Herr Neuenfels, Sie haben sich für Ihren „Lohengrin“ einen heißen Sommer ausgesucht – und das bei den ohnehin meist tropischen Temperaturen im Festspielhaus.
Wir haben hier afrikanische Verhältnisse, im doppelten Wortsinn. Die Festspiele sind nach dem Tod von Wolfgang Wagner auf dem Wege der Neuorientierung, deshalb ist die Sache hier gerade besonders heiß. Nach sechs Wochen Proben wird es jetzt fiebrig. Es geht mir gut, ich hoffe, dass sich alles, was nun in der Luft liegt, zu einem Ganzen fügen wird und sich eine Erkennbarkeit dessen niederschlägt, was Andris Nelsons dirigiert und was Reinhard von der Thannen als grandioses Bühnenbild und an Kostümen geschaffen hat. Allein der Chor, das sind 130 Menschen, es gibt über 700 Kostüme, ein Wahnsinnsunternehmen.
„Lohengrin“, diese teutonische Rittersaga von einem Weltenretter, dem eine Frau bedingungslos folgen soll, was können Sie damit anfangen?
Es ist toll, dass Wagner mitten in eine Gesellschaft, die mit Krieg, Blut und Boden beschäftigt ist, in der man wieder kämpfen, die Grenzen erweitern und die Besitztümer mehren soll, mit einer hochdialektischen, existenziellen Frage platzt und sagt: Vielleicht ist auch eine völlig andere Welt denkbar, eine Welt ohne erkennungsdienstliche Behandlung. Lohengrins Ansinnen hat ungeheuerliche Folgen, denn dieses „Nie sollst du mich befragen“ ist ja unmöglich. Da fängt die Fragerei doch sofort an.
Wagner meint es gar nicht so, dass Elsa ihrem Schwanenritter nicht mit Zweifeln kommen darf?
Wagner ist aufklärerisch, hinterlistig, gemein, rücksichtslos. Die Ideologie des scheinbar sicheren Besitztums, der simplen Identität, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zerstört er radikal. Da prallt etwas aufeinander. Wir kennen das aus unserer heutigen Gesellschaft, in der vor lauter Nachrichten und Netzwerken die entscheidenden Fragen gar nicht mehr gestellt werden.
Das heißt, Ihre Sympathien sind bei Elsa, die dann doch fragt? Oder sogar bei Ortrud, die sie zum Zweifel anstiftet?
Ortrud ist ein anderer Fall, sie ist ein Schicksal, zum Hass geboren, sie kann nichts dafür. Elsa dagegen ist eine grüblerische Frau, wie Kleists „Käthchen von Heilbronn“. Meine Zuneigung gilt aber auch Lohengrin, der diesen unmöglichen Auftrag ja übernimmt und voller Verzweiflung versucht, als Namenloser aufgenommen zu werden. Er findet eine Frau, die offen dafür ist, das erweckt seine Liebe. Aber sie spürt ein anderes Programm in sich und zerstört damit sein Programm.
Wagners Opern stecken voller Fallen, sagen Sie. In welche Fallen kann man bei „Lohengrin“ tappen?
In die des Nationalismus. Man darf vor diesen „Heil“-Rufen nicht zurückschrecken. Das muss mit voller Wucht gesungen und musiziert werden, aber durch die Szene einen Kontrapunkt erfahren. Es ist wie beim Triumphmarsch in „Aida“. Den muss man schwelgerisch dirigieren, und die Inszenierung muss sich kritisch verhalten …
… wie bei Ihrer „Aida“ 1981 in Frankfurt am Main, bei der Brathähnchen flogen.
Weil die Musik eben nicht kritisch ist an diesen Stellen. Wir kontrapunktieren Wagner, indem wir eine Laborsituation schaffen, ein Labor für einen letzten Weltenentwurf, in dem sich Ratten tummeln, über 100 Ratten. Sie versuchen, ihr Menschsein wiederzugewinnen, aber ausgerechnet in dem Moment, in dem sie ihr rattiges Dasein abgelegt haben, muss Lohengrin sagen: Projekt gescheitert, ich kann nicht, Elsa hat mich nach meinem Namen gefragt. Das bringt auch ihn um den Verstand.
Sie haben erst spät mit Wagner angefangen; der „Lohengrin“ ist Ihre dritte Wagner-Arbeit. Warum wird er erst mit zunehmendem Alter für Sie interessant?
Weil er einer ist, der alles aus sich herausgeholt hat, bis zum letzten Atemzug. Und weil ich begriffen habe, dass Wagner das Deutsche ungewöhnlich aufklärerisch und kritisch betrachtet hat.
Auch mit Zeilen wie „Für deutsches Land das deutsche Schwert“?
Er hat das Deutsche zitiert und reflektiert, indem er es musiziert. Er ist bis zum Existentialismus Heideggers gegangen, Kant und Hegel inbegriffen, und hat sich dabei nie auf Stimmungen eingelassen, sondern Begriffe komponiert und sinnlich gemacht. Seine Parabeln sind unglaublich rauschhaft, weshalb man sie auch für das Gegenteil verwenden kann – wie die Nazis bewiesen haben. Aber wenn man den Rausch durchschritten hat, merkt man, wie eiskalt und klug er das Deutsche zerlegt: Patriotismus, Gewalt, Verblendung, blinder Gehorsam, all diese Symptome.
Wahnsinn auf den ersten Blick, so nennen Sie die Beziehung zwischen König Ludwig und Wagner. Ist das bei Ihnen ähnlich?
Inzwischen ja. Die Probenwochen haben mir die Sinnlichkeit, die Überfülle an Assoziationen bei Wagner noch deutlicher gemacht. Zum Beispiel Lohengrins Erzählung am Ende, als er Elsa das Horn und den Ring des Bruders überreicht. Der kleine Ring bleibt als Einziges von der Liebe und der Verheißung zurück, eine Reliquie, ein Moment voller Schmerz, das ist meine Lieblingsstelle. Aber auch die Täuschungen Wagners haben es in sich. (Singt:) „Treulich geführt ziehet dahin,/Wo euch in Frieden die Liebe bewahr!“
… der Hochzeitsschlager …
… ja, aber einer, der die unglaubliche Skepsis gegenüber der Ehe als bloße Institution, als leeres Versprechen nur mühsam verbirgt und der es bis zur Verhöhnung des Begriffs treibt.
Weil es die scharf punktierten Noten, diese Hüpfer mitten im Marsch gibt?
(Singt wieder:) Tjamm, taaa, ta, taaa – dieses Überentzücken, diese Winzigkeit des Zuviel, daran arbeiten Andris Nelsons und ich gerade noch. Die Hörgewohnheiten sind ja anders; „Treulich geführt“ wird immer feierlich und getragen gespielt. Alle denken ans piano statt an den musikalischen Inhalt.
Nelsons, der 31-jährige Dirigent, ist auch Bayreuth-Debütant. Verstehen Sie sich?
Seine Mischung aus jugendlicher Strenge und jugendlichem Übermut gefällt mir, sie ist sehr mozartisch. Manchmal ist er ironisch und behandelt mich wie einen Trottel, auch gut. Wenn er sagt, die Treppe ist zu weit weg, die muss nähergerückt werden, dann höre ich auf ihn, auch wenn es einen Riesenaufwand bedeutet.
Und wie ist es mit den anderen Hügel-Neulingen, Jonas Kaufmann als Lohengrin und Annette Dasch als Elsa?
Die beiden mögen sich, das ist das Wichtigste. Und sie mögen auch mich, außer wenn ich auf der Probebühne rauche, das lasse ich jetzt bleiben. Sie sind immer willens gewesen, ernsthaft und kollegial mit einem älteren Menschen wie mir gleichaltrig zu verkehren.
Klingt fast schon nach Neu-Bayreuth.
Falsche Autorität abbauen, das war mein erster Vorsatz hier. Ich lasse mich befragen und darf auch unartig sein.
Womit wir bei der Tierfrage wären: Gibt es einen Schwan? Auf den legen die Wagner- Traditionalisten ja großen Wert.
Ohne Schwan hätte ich es nie inszeniert. Es gibt sogar viele Schwäne. Der Schwan wird regelrecht strukturiert und analysiert. Ich bitte Sie, der Schwan, er ist viel mehr als ein Tier, ein wunderbares Wesen zwischen Tod, Trauer und Schönheit, das kann man doch nicht weglassen!
Wenn man den Gerüchten glauben darf, tauchen Sie die Bühne nicht in mystisches Dunkel, es gibt sehr viel Licht. Warum das?
Anders als in gewöhnlichen Opernhäusern sieht man in Bayreuth den Dirigenten ja nicht. Die Entstehung der Musik kann man in Bayreuth also nur in den Gesichtern der Sänger sehen. Deshalb ist es hell: damit man die Psychologie versteht, das Warum des Gesangs. Ein filmisches Moment: Das Geschehen spielt nicht in einem dunklen, mystifizierenden Abseits, man kann alles verfolgen.
Sie haben kurz vor der Premiere Zusatzproben angesetzt. Läuft Ihnen die Zeit davon, ausgerechnet in der Werkstatt Bayreuth, in der länger geprobt werden kann als anderswo?
Das ist ein Irrtum. Ich schätze die Schwestern Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier sehr und bewundere, was sie bereits gemeinsam umsetzen konnten. Aber das mit der Zeit, die man braucht, haben auch sie nicht im Griff. Ein generelles Problem der Opernhäuser: Die Zusammenführung von Orchester, Sängern, Chören, Beleuchtung etc. ist meist so knapp gehalten, dass für die Gloriole am Ende keine Zeit bleibt.
Wie kann verhindert werden, dass die Festspiele zum Museum ihrer selbst werden?
Ich habe ein paar Ideen für Neu-Bayreuth, ich bin deshalb mit den Wagner- Schwestern zu einem Schwatz verabredet. Wobei es keineswegs um eine Erweiterung des Kanons geht. Ich warne auch davor, zu viele andere Disziplinen einzuladen. Bayreuth verlangt Opernleute mit Übung, also keine falschen Experimente! Es geht mir selten so in einem Opernhaus, aber hier möchte ich gerne etwas für die Zukunft beitragen, aus den Erfahrungen des „Lohengrin“-Unternehmens.
Wie steht es denn um die vielbeschworene Öffnung der Festung Bayreuth?
Es ist vielleicht eine Äußerlichkeit, aber immerhin: Bei der Orchesterhauptprobe durften alle Fernsehteams den ganzen ersten Akt filmen. Das gab es so bisher nicht. Es herrschte vielleicht keine lockere, aber eine sehr produktive Atmosphäre.
Im Bayreuth-Kapitel Ihres Buchs „Wie viel Musik braucht der Mensch?“ begegnen Sie Richard W., unterhalten sich mit ihm. Sind Sie ihm wieder über den Weg gelaufen?
Nein, nicht persönlich. Er ist in seiner Musik und seinen Figuren allgegenwärtig, da brauche ich ihn nicht mehr. Sollten wir uns doch noch im Festspielhaus begegnen, werde ich ehrfürchtig, aber grußlos an ihm vorbeigehen.
Und wo sitzen Sie bei der Premiere?
Im Saal, mit meiner Frau.
Also diesmal keine Sprechrolle für Elisabeth Trissenaar?
Nein, wir sitzen nebeneinander und halten die Händchen.
Das Gespräch führte Christiane Peitz.
Hans Neuenfels, 1941 in Krefeld geboren, prägte das Schauspiel Frankfurt mit, bevor er von 1986 bis 1990
Intendant der Freien Volksbühne Berlin war.
Er inszeniert nicht nur am Theater, sondern auch Opern, seit Verdis „Troubadour“ 1974 in Nürnberg. In Berlin inszenierte er zuletzt „La Traviata“ an der Komischen Oper (2008). „Lohengrin“ ist seine 34. Opernregie und seine dritte Wagner-Arbeit, nach
„Die Meistersinger“ 1994 in Stuttgart und „Tannhäuser“ 2008 in Essen. Sein Buch „Wie viel Musik braucht der Mensch?“ ist bei Bertelsmann erschienen (256 S., 21,95 €).
Neuenfels, der unter
anderem auch Filme über Kleist, Musil,
Genet und Strindberg gedreht hat, lebt mit
der Schauspielerin
Elisabeth Trissenaar in Berlin. Ihr gemeinsamer Sohn ist der Kameramann Benedict
Neuenfels („Mahler
auf der Couch“).