Blockbuster "Prometheus": Hände weg von der Biomasse
Wo kommen wir her? Wer spielt hier Gott? Und wie gefährlich sind die Glibber-Monster? Ridley Scotts Science-Fiction-Spektakel „Prometheus“ jongliert mit Ursprungsmythen und erklärt nebenbei die Vorgeschichte seines eigenen alten Films, 33 Jahre nach "Alien".
„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser-Tor …“ Der Schlussmonolog des Replikanten in Ridley Scotts „Blade Runner“ zielt ins Herz der Science Fiction: Zum Versprechen dieses Genres gehörte seit seinen Anfängen im Kino das Abenteuer der Fantasie, das große, nie zuvor gesehene Bild.
Gut aufgehoben war es in der Untergattung der Weltraum-Oper, die den entschiedensten Drang in die Ferne und zum Spektakel hat, auf der Suche nach „neuem Leben und neuen Zivilisationen“. Inzwischen ist die Idee freilich etwas in Vergessenheit geraten – weil alternative Gesellschaftsentwürfe in der globalisierten Welt nur noch schwer vorstellbar sind und die Menschheit sich eine Zukunft kaum mehr zutraut. Der heutige Science-Fiction-Film ist in erster Linie Katastrophenkino. Er zeigt keine neuen Welten, sondern unsere alte im Niedergang, geplagt von Viren, Zombies, Armut und ökologischen Fehlentwicklungen. Und E.T., die Aliens, die Fremden? Sind in „Men in Black“ schon so lange da, dass sie sich an den amerikanischen Kaffee gewöhnt haben.
Mit dem im Ausland bereits angelaufenen, von heftigen Werbegeräuschen begleiteten und einem dichten Trailer-Teppich unterlegten „Prometheus – Dunkle Zeichen“ versucht Ridley Scott nun, dem Genre wieder etwas von seinem ursprünglichen Reiz zurückzugeben, von seinem Sinn für Wunder und Wunderliches. Dafür ist der englische Regisseur nicht der schlechteste, schließlich hat er sich mit zwei stilbildenden Science-Fiction-Produktionen in die Filmgeschichte eingeschrieben: mit „Blade Runner“ (1982), einem Vorläufer des Cyberpunk-Kinos, und mit dem modernen Monstermovie „Alien“ (1979), das das Genre auf Jahre hinaus mit dem Horror assoziierte und Heerscharen von wandelbaren, schleimigen Ungeheuern auf den Plan rief.
Darin war die Zukunft zwar auch nicht lustig. Aber die Filme legten es darauf an, den Zuschauer staunen zu machen. Es waren typische Schöpfungen der heraufziehenden, visuell so glamourösen Achtziger, vollgestopft mit „Design“. Luxuriös in ihrem Einfallsreichtum waren sie selbst dann, wenn die Schauplätze heruntergekommen wirken sollten wie die Decks des Frachters Nostromo in „Alien“, dessen Besatzung, angestellt bei einer very big corporation mit einer geheimen Agenda, buchstäblich von ihrem Job aufgefressen wurde.
„Prometheus“ ist weniger ein Prequel als ein Spin-off-Produkt, ein Ableger der „Alien“-Geschichte, die sich bis 1997 unter der Regie von James Cameron, David Fincher und Jean-Pierre Jeunet zur Tetralogie ausgewachsen hatte, die „Predator“Kreuzungen nicht mitgerechnet. Der Plot des neuen Films – die Fans streiten sich darum, ob er 30 Jahre vor dem Original angesiedelt ist – setzt im alten Universum neue Akzente.
Das beginnt schon mit dem klaren, sehnsüchtigen Fanfarenton des Anfangs, der eher an die Intros der von Hoffnung getriebenen „Star Trek“-Serien erinnert als an die sparsame, heimtückische „Alien“-Musik von Jerry Goldsmith. Dazu kombiniert Scott idealisierte Aufnahmen von Bergen und Fjorden: Die Erde in grauer Vorzeit war grandios, aber unbelebt. In diese Prähistorie tritt ein außerirdischer Besucher, der in einem fast religiösen Akt der Selbstaufgabe die Menschheit zeugt – indem er das Wasser mit seiner DNA versetzt und sich auflöst. In seinem Kielwasser wird später ein Raumschiff ins All aufbrechen.
Alien" war der stärkere Film und die philosophischen Themen verflüchtigen sich
Die Besatzung besteht aus Wissenschaftlern, Piloten, Sicherheitspersonal und einem der Androiden, die in der Serie immer quergeschossen haben. Ein prominent besetztes Team, mit Noomi Rapace als Archäologin, Charlize Theron als eiskalter Chefin der Mission, Idris Elba als Raumschiffkapitän und einem famosen Michael Fassbender als Android David. Rapace, die als Heldin der Stieg-Larsson-Verfilmungen bekannt wurde, tritt offensichtlich in die Fußstapfen von Sigourney Weaver, die das Genre als allererste große Actionheldin bereichert hatte. Wie jene bringt auch die Archäologin ein Glibbermonster zur Welt; erneut weil Scott seinem Ruf als Regisseur starker Frauenfiguren gerecht werden. Allein, Rapace bleibt im Vergleich doch sehr blass.
Der Auftrag der Prometheus-Truppe scheint jedenfalls kein kommerzieller zu sein. Es geht um die großen Fragen: :Welche Kräfte wirken im Universum, was ist Leben, und wer hat den Menschen geschaffen? Etwas Esoterisches im Stil von Kubricks „Odyssee 2001“ deutet sich an. Tatsächlich betreibt Scott über weite Strecken Pop-Archäologie und enträtselt seinen eigenen alten Film. Auf einem fernen Planeten findet das Team einen Außenposten der Zivilisation, von der wir Erdbewohner ein Ableger sind. Unsere Altvorderen waren hier fleißig: Sie haben eine gewaltige Architektur errichtet, in der technische und kultische Features eine merkwürdige Verbindung eingehen. Und sie haben munter mit Biomasse experimentiert und etwas gezüchtet, mit dem sich nicht verhandeln lässt.
Plötzlich befindet sich der Zuschauer inmitten der Kultur des „Space Jockeys“, des geheimnisvollen, von dem Schweizer Künstler und Filmdesigner H.R. Giger mit monströsen Zügen ausgestatteten toten Astronauten, der im ersten Film die Alien-Brut in unseren galaktischen Quadranten chauffiert hatte. Und wir befinden uns im Universum des amerikanischen Horrorschriftstellers H.P. Lovecraft, bei dem sich nicht nur Giger mit irrsinnigen Visionen infiziert hat, sondern auch die moderne fantastische Literatur und Bildkultur von Stephen King über Neil Gaiman bis zu Regisseuren wie John Carpenter und Guillermo del Toro. Der hat übrigens seine geplante Adaption der 1936 veröffentlichten Erzählung „Berge des Wahnsinns“ abgesagt, nachdem Scott ihm seinen Plot vorgetragen hatte: Denn „Prometheus“ ist eine heimliche Lovecraft-Verfilmung, eine Reise in eine paranoid ausdifferenzierte kosmische Subkultur, die von sabbernden, blubbernden, enorm kreativen und auf ungeheuerliche Weise nichtmenschlichen Wesen beherrscht wird.
Bei Lovecraft halten sich Grauen und Lust die Waage: Die Menschen, die seine „blasphemischen“ Parallelwelten erforschen, sind angeekelt bis zum Versagen der Sprache, bis zum Aussetzen des Verstands – aber sie müssen immer weiter gehen, ins Finstere, ins Unbekannte. Diesen Impuls spürt man auch in „Prometheus“. Man wird an diesem Film vermissen, was der Androide Ash im Original am Alien bewundert hat, die „konzeptionelle Reinheit“.
„Prometheus“ hat keine so starke Metapher, ist nicht so kompakt und intelligent wie sein Vorläufer; die Kreaturen, die er entfesselt, stehen dem Alien genetisch nahe, wirken aber wahllos in ihrer Formenvielfalt; die angerissenen philosophischen Themen verflüchtigen sich in der Hektik der Mutanten-Action, und der Space Jockey sieht ohne Raumanzug enttäuschend humanoid aus. Es ist auch nicht besonders aufregend, sich auszurechnen, wer von den prominenten Schauspielern demissionieren wird, Noomi Rapace, Charlize Theron oder Idris Elba. Den einzig bleibenden Eindruck hinterlässt sowieso Michael Fassbender, der ein hübsches Kompendium alter Androiden-Klischees auf die Leinwand bringt, vom mild entrückten Gesichtsausdruck über Leinwandhelden-Kopien bis zum in gepflegtester Diktion vorgebrachten Nerd-Wissen.
Ridley Scott erweist sich erneut als Meister der Oberfläche. 3 D sieht hier elegant aus
Aber wie in den meisten seiner Produktionen, auch später im „Gladiator“ oder in „Black Hawk Down“, zeigt Ridley Scott sich als Meister der Oberfläche, der Texturen und der Atmosphäre, des großen, schönen, manchmal gefährlichen und dubiosen Bilds. Der „Prometheus“-Film ist ganz bei sich, wenn er die raue Topografie des entlegenen Planeten betrachtet und in die Höhlenwelt unserer Ahnen abtaucht, wenn glühend rote Scannerlinien die mit Hieroglyphen übersäten Wände abmessen und die durchsichtigen Helme des Bodenteams wie Kaugummiblasen durch den Untergrund treiben. 3 D sieht hier, im Verein mit echten, gebauten Sets, zur Abwechslung elegant aus, drängt sich nicht auf, sondern „vertieft“ die Einstellungen. Am Ende ist es dann egal, ob die Space Jockeys göttlich und weise sind oder auch nur eine militaristische, zu Tode zivilisierte Bande unter vielen: In der Space Opera ist der Weg das Ziel.
Mit seinen Ansichten einer jungfräulichen Erde und der offenen Perspektive steht der Film im Übrigen nicht allein im zeitgenössischen Kino. James Camerons „Avatar“ hatte es bereits darauf angelegt, die Entdeckung der Fremde wieder zum Spektakel zu machen – selbst wenn das dann ein bisschen abgeschmackt aussah: Schlümpfe auf Speed? Und Terrence Malick unternahm in „The Tree of Life“ nichts Geringeres als eine Rekonstruktion unseres Planeten aus verlaufenden Wasserfarben und Digitaleffekten.
Vielleicht ist das Kino es leid, sich immerzu mit einem System abzugeben, das alternativlos ins Desaster steuert. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, an die Grenzen unserer Vorstellungskraft zu gehen – und mal zu schauen, ob da draußen im Dunkeln am Tannhäuser-Tor doch noch was los ist.
Ab Mittwoch läuft Prometheus in den deutschen Kinos.
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