Brandenburgische Landesaustellung: Hand in Hand
Die Brandenburgische Landesausstellung in Doberlug-Kirchhain widmet sich dem Verhältnis von Preußen und Sachsen.
Der Tiefpunkt war 1760 erreicht, im vierten Jahr des Siebenjährigen Krieges. Preußische Truppen belagerten Dresden, die Hauptstadt des verfeindeten Sachsen. Unter ihrem Beschuss fiel die Elbmetropole in Schutt und Asche. „Das Feuer wütete entsetzlich in und außer der Stadt; viele der vornehmsten Straßen brannten von einem Ende zum anderen“, notierte der preußische Offizier Johann Wilhelm von Archenholtz. „Prächtige Paläste, die jede Stadt Europas geziert hätten, wurden ein Raub der Flammen. Oft wurden die armen Einwohner unter dem Schutt begraben, oder flohen und ließen alles im Stich.“ Am Ende waren 226 Häuser zerstört, ein Drittel aller Dresdner Bauten. Einzig die Frauenkirche blieb unversehrt. Vor dem Krieg hatte die Stadt 63 000 Einwohner gezählt. Nach dem Frieden von Hubertusburg waren es nur noch 40 000 Bewohner.
Es ist eine komplizierte Beziehung, die Preußen und Sachsen in den letzten vierhundert Jahren miteinander verband. Sie war von Konkurrenz und Ehrfurcht, Neid und Zuneigung und immer wieder von heftigen Auseinandersetzungen geprägt. Nun ist die Geschichte dieser seltsamen Nachbarschaft Thema der ersten Brandenburgische Landesausstellung, die im eigens renovierten Schloss von Doberlug-Kirchhain stattfindet. Der prachtvolle Renaissancekomplex gehörte einst zu Sachsen und befindet sich heute im südlichsten Teil des Landes Brandenburg, dem Landkreis Elbe-Elster. Man hätte keinen besseren Ort für die Ausstellung finden können. Geschildert wird die Wechselbeziehung zwischen beiden Territorien vom 17. Jahrhundert bis zu den Folgen des Wiener Kongresses von 1814/15. Zu sehen sind Porträts der Fürsten und des Adels, Kriegsgemälde, historische Schriftstücke und diverse prunkvolle Kunstgegenstände, die den künstlerischen Wettstreit und die Konkurrenz zwischen beiden Staaten verdeutlichen – Kelche, Kurhüte, Münzen, Vasen, Wandteppiche und edles Porzellan.
Es ist ein dicht gedrängter Geschichtsparcours, der auf achthundert Quadratmetern durch sieben Stationen führt. Anfangs, im 17. Jahrhundert, befindet sich Sachsen noch in der Position des Hegemons. Das Kurfürstentum verfügt über Bodenschätze wie Kohle und Erz, bedeutende Handelsstädte und wohlhabende Mäzene. Aber Preußen, als „Sandbüchse des Heiligen Römischen Reiches“ verspottet, ist ehrgeizig und kann am Ende des Jahrhunderts nach den Kriegen von Friedrich Wilhelm von Brandenburg, des „Großen Kurfürsten“, machtpolitisch gleichziehen. Dies ist der Zeitpunkt, an dem sich beide Kurfürstentümer auf Augenhöhe zu messen beginnen.
Formal sind die beiden Herrscher dem Kaiser im fernen Wien verpflichtet, aber real wird heftig miteinander gerangelt. Dabei dient neben der Diplomatie auch die Kunst als Waffe. Ein schönes Beispiel dafür, wie ein Gemälde zum Instrument der Augentäuschung werden kann, ist ein Doppelporträt von Johann Fink, das um 1665 entstanden ist. Zu sehen sind die Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen und Friedrich Wilhelm von Brandenburg, die sich brüderlich an die Hand genommen haben. Man könnte beinahe an ein Liebespärchen denken. Doch glücklich sehen die beiden Männer mit ihren barocken Langhaarfrisuren nicht aus. Ihre Gesichter wirken starr, sie belauern einander. Kein Wunder, beide Fürsten waren darum bemüht, als Erster die heiß begehrte Königswürde zu erlangen.
Das gelang erst den Nachkommen. August I. von Sachsen, besser bekannt als August der Starke, wurde 1697 zum König von Polen gekrönt. Dafür hatte er heimlich zum Katholizismus konvertieren müssen. Friedrich I. tat es August nach und stieg 1701 zum König „in Preußen“ auf. Um keinen Konflikt zu riskieren, setzte er sich die Krone in Königsberg aufs Haupt, außerhalb des Kaiserreiches. Beide Könige stritten nun nicht nur auf politischer Bühne miteinander, sondern auch auf kulturellem Parkett. Die Residenzstädte Dresden und Berlin wurden kostspielig ausgebaut und zu Refugien einer idealen Herrschaft stilisiert – man nannte sie fortan „Elb-Florenz“ und „Spree-Athen“.
Und wer schaffte es, die Machtverhältnisse auf Dauer umzukehren? Natürlich Friedrich II., der im Siebenjährigen Krieg August II. von Sachsen besiegte. Im Anschluss ließ Friedrich das benachbarte Fürstentum ausbluten, weshalb man ihn in Sachsen bis heute nicht „den Großen“ nennt. Gemälde und Kriegsberichte zeigen, wie brutal die Kämpfe waren. Auf einer Ansicht der „Schlacht von Kolin am 18. Juni 1757“ liegen umgestürzte Pferde, Blutpfützen und sterbende Soldaten.
Doch neben dem Krieg – das demonstriert das Ausstellungskapitel „Im Dialog“ – gab es immer auch den Austausch. Aufklärer wie der gebürtige Sachse Gotthold Ephraim Lessing widersetzten sich dem kriegerischen Pathos der Fürsten und plädierten bereits früh für ein vereintes, tolerantes Deutschland. Lessing hatte in Leipzig studiert und in Berlin für Zeitungen gearbeitet. In der preußischen Hauptstadt freundete er sich mit Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn an, dem er mit seiner Figur „Nathan der Weise“ ein Denkmal setzte. Lessings Credo: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“
„Heute Sachse, morgen Preuße“, so heißt die letzte Etappe der Ausstellung. Denn die Konflikte führten zu windschiefen territorialen Veränderungen und widersprüchlichen Koalitionen. Erst verbündete sich 1806 Sachsen mit Preußen gegen Napoleon, dann wurde das Bündnis von den Franzosen zerschlagen. Preußen sank ab zur Mittelmacht, fürchtete gar, aufgelöst zu werden, während Sachsen zum Königreich von Napoleons Gnaden avancierte. Nach Napoleons Niederlage begann eine neue Ära. Der Wiener Kongress ordnete Europas Kräfteverhältnisse neu. Sachsen wurde geteilt, Preußen gestärkt. Nahezu zwei Drittel des sächsischen Staates fielen dabei an Preußen. Die Konsequenzen sind bis ins Jahr 2014 zu spüren. Viele Süd-Brandenburger, etwa die Bewohner der Niederlausitz, fühlen sich heute noch im Herzen als Sachsen.
„Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft“, Doberlug-Kirchhain, bis 2. November. Di–Fr 9–18 Uhr, Sa/So 10–19 Uhr. Der Katalog kostet 25 €.
Tomasz Kurianowicz