Ehren-Lola für Kostümbildnerin Barbara Baum: Halt macht Haltung
Gespür für Stoff: Ihre Kleider prägen den deutschen Film. Kostümbildnerin Barbara Baum erhält die Ehren-Lola.
Nachmittags im Martin-Gropius-Bau, zweiter Stock, Ausstellung „Fassbinder jetzt“, im Raum mit den Kostümen von Barbara Baum. Na, so ein Zufall. Sollte die schlaksige Brünette mit den blinkenden Ohrringen da drüben, an deren Lippen ein Pulk junger Leute hängt, etwa die Künstlerin selber sein? Nicht unwahrscheinlich, so selbstverständlich, wie sie vor den Filmgeschichte gewordenen Kleidern von Lili Marleen, Lola, Maria Braun oder Veronika Voss steht? Gleich mal ein paar Schritte näher ranschleichen.
„Lurex?“, fragt sie entrüstet auf die Anmerkung einer Studentin. „Das ist doch kein Lurex, das ist Silberlamé. Fällt viel glatter und hat einen feineren Glanz, ein Originalstoff aus den dreißiger, vierziger Jahren!“ Sie zeigt und erklärt und erzählt, kennt sich aus, weiß Details. Ja, diese temperamentvolle Dame ist ganz gewiss Barbara Baum. Umstellt von einer Modeklasse, die ehrfürchtig wissen will, wie’s die Großen machen. Und eine Große ist sie im deutschen Film, der den Ausstattungsgewerken wie Kostümbild nicht eben ständig Kränze windet, aber Barbara Baum schon manchen Preis verliehen hat. Nächste Woche kommt ein weiterer hinzu: die am Freitag in Berlin im Palais am Funkturm verliehene Ehren-Lola der Deutschen Filmakademie.
„Sie steckt die Figuren nicht nur in Kleider aus einer anderen Zeit, sondern in die andere Zeit selbst. Das gibt den Trägerinnen und Trägern ihrer Kostüme Halt und Haltung“, begründet Akademiepräsidentin Iris Berben die Wahl der Ehrenpreisjury. Sie selbst ist von Baum in Heinrich Breloers „Buddenbrooks“ eingekleidet worden. Auch Schauspieler wie Armin Mueller-Stahl, Meryl Streep, Hanna Schygulla, Jeremy Irons oder Faye Dunaway schließen sich der Hymne an, wie sich in dem Bildband „Filmstoffe – Kostüme: Barbara Baum“ nachlesen lässt, der zur Fassbinder-Ausstellung herauskam.
Sie ist die Beste, sagt Armin Mueller-Stahl
Da sind die Danksagungen der Stars abgedruckt, die sich von Barbara Baum in ihren Körperbildern erkannt, getroffen und unterstützt fühlten. Der nicht gerade für verbalen Überschwang bekannte Armin Mueller-Stahl, den sie von Fassbinders „Lola“ über Bille Augusts „Geisterhaus“ bis zu Breloers „Manns“ und „Buddenbrooks“ sechsmal eingekleidet hat, nennt sie „die Beste, mit der ich je gearbeitet habe“. Sie sei nicht nur eine Kostümbildnerin, sondern eine Geschichtenerzählerin, deren Kleider die Geschichte hinter der Figur verraten. Quasi als eigenständiger, feinstofflicher Erzählstrang in Textil. In Fassbinders „Ehe der Maria Braun“ etwa lassen sich nicht nur der Aufstieg, sondern auch die Charakterentwicklung der Heldin an der Nachkriegsgarderobe von Hanna Schygulla ablesen. Das illustrieren Filmausschnitte, die im Kostümraum der Fassbinder-Ausstellung die gezeigten Kleider und Anzüge auf einer großen Leinwand lebendig machen.
„Die Krimmerjacke der Schygulla habe ich ertrödelt“, sagt Barbara Baum und rattert – wo sie schon mal dabei ist – auch gleich noch die restliche Materialgenese des sogenannten Bahnhofskleides runter. Modestudenten sind diesmal keine zugegen, es ist ein anderer Nachmittag. Und doch verfängt sofort derselbe Zauber. Die Zufallspassanten spitzen die Ohren, als Barbara Baum in der ihr eigenen Mischung aus persönlicher Herzlichkeit und ästhetischer Autorität vor dem schwarz-weißen Petticoatkleid „der Sukowa“ den Unterschied zwischen Organdi und Organza erklärt. Und vor dem Effi-Briest-Kostüm, wie man in einem Schwarz-Weiß-Film das Kostümbild mangels Farben durch unterschiedliche Muster und Stofftexturen belebt. Und dass das federleichte Seidenkleid der „Mieze“ aus „Berlin-Alexanderplatz“ wie ein Lichtstrahl wirken sollte, der sie zu einer Art Erscheinung macht.
Oder wie Faye Dunaway, die sie für Andrew Birkins „Brennendes Geheimnis“ anzog, für das sie in Venedig 1988 den Preis für das beste Kostümbild gewann, ein Stück aus derselben blauen Spitze bekommen hat, die sie bei Fassbinder für ein Kleid der Sukowa nahm. „In den Siebzigern sind Stoffe aus alten Ufa-Lagern auf den Markt gekommen. Da war ich gerade mit dem Studium fertig, habe mir 5000 Mark gepumpt und bergeweise Originalstoffe aus den Dreißigern und Vierzigern gekauft.“ Die blaue Spitze eben, auch den Gold- und Silberlamé. Dass die Lili-Marleen-Robe auf dem Gestell nicht mehr so funkelt wie im Filmausschnitt hat einen einfachen Grund. Das Kleid sei oxidiert, sagt Barbara Baum. Es hing dreißig Jahre offen auf einer Puppe im Atelier der Münchner Schneiderfirma, die es angefertigt hat. Nun hat es die Fassbinder Foundation gekauft und will das ermattete Glanzstück restaurieren. Barbara Baum ist froh darüber, aber auch ein wenig skeptisch. Textilien sind wie Film – endliches Material. Irgendwann ist ihre Zeit um, „Wenn nur der Stoff nicht bricht“, sagt sie.
Perfekt? Nein. Richtig muss ein Kostüm sein
In 74 Filmen hat die 1944 geborene und in Berlin aufgewachsene gelernte Schneiderin und studierte Kunstgeschichtlerin Barbara Baum die Kostüme entworfen. „Jagdszenen aus Niederbayern“ von Peter Fleischmann war 1969 der erste. Danach folgten außer den acht Arbeiten mit Rainer Werner Fassbinder unter anderem Filme mit Volker Schlöndorff, Stanley Kubrick, Bernd Eichinger, Max Färberböck und Detlev Buck.
Ihr Gespür gerade für historische Stoffe ist so legendär wie die akribische Detailversessenheit. Beides hat ihr in den Produzentenbüros nicht nur Begeisterung eingetragen, wie sie ebenso amüsiert wie entrüstet erzählt. Man habe ihr schon vorgeworfen, die Dramaturgie des Films mit ihren Kostümen zu beschädigen oder sich aus Eitelkeit eine historische Modenschau zu entwerfen. Die schmale Frau in der schwarzen Lederjacke rollt die mit blauem Kajal akzentuierten Augen, die großen Ohrringe blitzen. „Das macht mich immer zur Kämpferin.“ Weil sie die Kostüme perfekt haben will? „Perfekt? Nein. Richtig!“
Ob Stoffe oder Kleider aus berühmten Kostümverleihen und Modehäusern in London und Rom, aus ihrer Wohnung in Friedenau, einem Gemischtwarenladen in Niederbayern oder aus dem Trödelladen an der Ecke stammen, ist da völlig unerheblich. Solange das Material den Charakter der Geschichte trifft. „Es geht um das poetische Bild.“ So wie es der von ihr verehrte Kostümdesigner Piero Tosi in Visconi-Filmen wie „Der Leopard“ geschaffen habe.
„Das Kostüm bestimmt die Geschichte“, glaubt Barbara Baum, „es liefert die Vorgabe für den Schauspieler.“ Es stiftet die Identität der Figur, schafft die neue künstliche und zugleich reale Haut. Eine Unterstützung ihrer Kunst, die Frau Streep so zu schätzen weiß wie Herr Mueller-Stahl. Nur eins mochten sie nicht. Wenn die Kostümbildnerin bis kurz vorm Dreh an ihnen rumfummelte.
Ausstellung: Martin-Gropius-Bau, bis 23.8.; Buch: Hans-Peter Reichmann (Red.): Filmstoffe – Kostüme: Barbara Baum, Deutsches Filminstitut und Filmmuseum, Frankfurt am Main 2015, 208 S., 19,80 €; Lola-Verleihung im ZDF: 19.6., 22.45 Uhr
Gunda Bartels
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