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70. Geburtstag: Otto Waalkes (hier bei der Verleihung des 10. Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2017)
© imago/Future Image/F. Kern

Otto Waalkes feiert Geburtstag: Hallo Echo, hallo wer?

Sein Sinn für Unsinn hat die Nation lockerer gemacht. Otto Waalkes, der Blödelbarde und Erfinder der Ottifanten, wird 70. Ein Tusch auf den Stammvater der deutschen Comedy.

Otto wird 70, nee, oder? Ein notorischer Kindskopf und ewiger Kasper, der mit ungebrochenem Enthusiasmus auf ausverkauften Tourneen Gags mit meterlangem Bart aufführt, steht der nicht außerhalb der Zeit? Das tut er, solange sein Privatmuseum „Otto Huus“ in Emden nicht zusammenfällt und es Menschen gibt, die beim Erklingen dieser Sätze in heilloses Kichern ausbrechen:

„Milz an Großhirn, Milz an Großhirn, sag’ mal, was ist denn da los bei euch, ich krieg hier überhaupt nichts mit?!

Milz an Auge, ich sehe was, was du nicht siehst!

Auge an Milz, das glaubst du doch selber nicht, du blinde Nuss.“

Wer nun nicht sofort die sich überschlagende Piepsstimme des spillerigen Kerls mit den Zottelhaaren im Kopf hat, muss jetzt ganz stark sein – hat er oder sie doch fast 50 Jahre deutschen Humor verschlafen.

Ein in der Babyboomer-Generation aber eher unwahrscheinlicher Fall. Das Genörgel der von Komplexen geplagten Milz aus dem Otto-Waalkes-Sketch „Der menschliche Körper“ gehören in den Siebzigern zum humoristischen Grundwissen der Schulhöfe. Ebenso der Pfarrer-Gag „Theo wir fahr'n nach Lodz“ mit der Zeile „Ist es nicht auch der Theo in uns allen, der in so wunderbaren Worten vorkommt wie Theologie, Theodorant, Thee oder Kaffee?“, der das ARD-„Wort zum Sonntag“ und Vicky Leandros’ Schlager gleichermaßen persifliert. Oder die überraschende Antwort „Hallo Otto!“ auf den Ruf „Hallo Echo!“, der „Schwammdrüber-Blues“ und der durch einen Eintrag in den Duden geadelte otto-urologische Fachausdruck „Schniedelwutz“.

Beliebteste deutschen Nachkriegskomiker sind Heinz Erhardt, Loriot und Otto

Allesamt Scherze, mit denen der am 22. Juli 1948 geborene Ostfriese den deutschen Nachkriegshumor geprägt hat wie außer ihm nur Heinz Erhardt und Loriot. Ein Trio, dass, wie jüngst wieder in einer Umfrage zu lesen war, auch zwanzig Jahre nach dem in den Neunzigern vom Privatfernsehen losgetretenen Comedy-Boom immer noch die Spitzengruppe der beliebtesten deutschen Komiker stellt. Sicher wird im westlichen und östlichen Teil der Republik längst über Jan Böhmermann, Carolin Kebekus, Luke Mockridge oder bewährte Kräfte wie Michael „Bully“ Herbig, Helge Schneider, Mario Barth und Kaya Yanar gelacht. Otto Waalkes aber, der wird geliebt.

Auch von den Kindern, die von ihren otto-närrischen Eltern und Großeltern mit in die Shows geschleppt und dort mittels Plüsch-Ottifanten gefügig gemacht werden. Die schießt das Merchandising-Genie auch mal per Kanone ins Publikum. Angesichts des vollen Einsatzes, den der trommelnde, grimassierende, hampelnde Körperkomiker (neben Heinz Erhardt verehrt er Jerry Lewis!) zeigt, spürt es die Hingabe eines notorisch Gefallsüchtigen, der sagt „ich bin Wachs in den Händen des Publikums und ihm zuliebe zu fast jedem Kompromiss bereit“. Tja, l’art pour l’art ist seine Sache nicht. Otto will Liebe, je mehr desto besser. Seine jüngste Fangruppe immerhin ist der seinem Publikum stets unterstellten Nostalgie komplett unverdächtig.

Die Biografie "Kleinhirn an alle" ist ottotypisch verkalauert

Letztere stellt sich beim Lesen der rechtzeitig zum runden Geburtstag erschienenen Biografie „Kleinhirn an alle“ zuverlässig schon im ersten, der glücklichen Kleine-Leute-Jugend in Emden gewidmeten Teil ein. Da offenbart der in der Werftarbeiter-Siedlung Transvaal aufgewachsene Sohn freundlicher Eheleute – er ein verschmitzter Malermeister und Sozi, sie eine gottesfürchtige Hausfrau und Baptistin – nicht nur, dass er mit zweitem Vornamen Gerhard heißt, sondern auch, dass das Kakaopulver „Nesquik“ und die Brausebonbons „Prickel-Pit“ zu seinen Leibspeisen zählen. Oh, du fröhliche, oh du selige westdeutsche Kinderzeit. Nesquik und Prickel-Pit – Otto, auch du!

Die ziegelsteindicke Schwarte des nach zwei gescheiterten Ehen längst als Single im herrschaftlichen HamburgBlankenese residierenden Komikers ist ein angemessen selbstbewusstes, biografisch diskretes und in Sachen Humor- und Karrieremechanismen hellsichtiges Werk, das trotzdem nicht vom ottotypischen Kalauern lässt. Der Bildteil gibt zudem einen Eindruck vom malerischen Schaffen des abgebrochenen Kunststudenten, dem das Caricatura-Museum in Frankfurt am Main gerade eine 200 Gemälde umfassende Retrospektive widmet. „Coverversionen“ nennt der Spaßvogel die mittels Ottifanten oder Selbstporträts verfremdeten Motive von Picasso bis zu Hockney und Hopper.

Vom „Mann mit dem Goldhelm“ bis zum Typ aus einer Jeans-Reklame pinsele er alles weg, schreibt Otto und stellt angesichts seiner zwar vielfältigen, aber keineswegs überragenden künstlerischen Fertigkeiten fest: „Ein Virtuose bin ich auf keinem Gebiet.“

Zwischen Musiker- und Komikerkarriere. Der Gitarrist der Band The Rustlers im Jahr 1966.
Zwischen Musiker- und Komikerkarriere. Der Gitarrist der Band The Rustlers im Jahr 1966.
© Privatarchiv Otto Waalkes/Heyne Verlag

Wozu auch? Einen disziplinierten Handwerker des Humors, wie er einer ist, hindert das nur. Ein Virtuose wäre viel zu eitel, um 2004 in der Schneewittchen-Parodie „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ Mirco Nontschew, Ralf Schmitz und Cosma Shiva Hagen das Feld zu überlassen und als Zwerg Bubi und namenloser Fanfarenbläser die beklopptesten Rollen zu spielen. Waalkes ficht das nicht an. Vielmehr erkennt er mit dem selben Marketinginstinkt, der seine Homepage zu einem einzigen Einkaufsparadies macht, dass Image-Auffrischung durch jugendliche Gesellschaft auch was bringt.

Die Quasselstrippe mit der Klampfe trifft den antiautoriäten Zeitgeist

Apropos jugendlich: Als Otto im Alter von 24 Jahren gleich mit seinem ersten, im Jahr 1972 erschienenen Album und im Jahr darauf mit der im Fernsehen ausgestrahlten Otto-Show durch die Decke geht, liegt das daran, dass die hyperaktive, freche Quasselstrippe mit der Klampfe den vom antiautoritären Geist der 68er erfüllten Nerv der Zeit trifft. Und zwar ohne, wie der Komiker in weiser Selbsterkenntnis betont, auf der Bühne jemals dezidiert politisch zu werden.

Nur so konnte aus Otto Waalkes der Stammvater der deutschen Comedy werden. Ein Narr, der die erst vom Militarismus des Kaiserreichs und des Nationalsozialismus und später von Kriegsschuld und Wirtschaftswundereffizienz versteiften Deutschen lehrt, lockerer zu werden. Der Blödelbarde ist das Bindeglied zwischen dem schüttelreimenden Humor der restaurativen Adenauer-Zeit und der in ihrer Alles-darf-Beliebigkeit ebenfalls systemerhaltenden Stand-up-Szene von heute.

1973 ist das Jahr, in dem Nonsense und Satire in Deutschland fernsehtauglich werden, neben der Otto-Show kommen auch Serien wie „Klimbim“ und „Ein Herz und eine Seele“ heraus. Zuvor bereitet schon „Pardon“, das satirische Zentralorgan der subversiv-intellektuellen Neuen Frankfurter Schule, dem Quatsch den Boden. Drei der Autoren – Robert Gernhardt, Peter Knorr und Bernd Eilert (der immer noch als unsichtbare bessere Hälfte von Otto wirkt und auch an der Biografie mitgearbeitet hat) – arbeiten ab 1974 jahrzehntelang als Ottos SketchSchreiberteam. Eine im Himmel geschlossene Verbindung! Heraus kommen bodenlose Albernheiten mit Niveau. Schaut man sich den ersten Otto-Film von 1985 (mit 14,5 Millionen Zuschauern bis heute der erfolgreichste deutsche Kinofilm) heute wieder an, staunt man Bauklötze über so viel Sinn für Unsinn. Beispielsweise die Nummer mit den untoten Heinos, die „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ singen und dabei unversehens in zackigen Stechschritt verfallen. Köstlich!

Mit 70 macht er noch Faxen. Otto Waalkes plant keinen Renteneintritt.
Mit 70 macht er noch Faxen. Otto Waalkes plant keinen Renteneintritt.
© Patrick Seeger/dpa

Wobei Otto Waalkes und Robert Gernhardt, der den Zappelphilipp als „seinen Sechser im Lotto“, mithin seinen Schlüssel zum Mainstream bezeichnet hat, Wert darauf legen, weder Hintersinn noch Unsinn zu produzieren, sondern die Verweigerung von Sinn zu betreiben. Also, die Leute in ein scheinbar stabiles Sinngebäude zu locken und sie dann gegen die Wand krachen zu lassen, wie Otto erklärt. Im Buch dekliniert er das am Beispiel der famosen Sketch-Serie „Kentucky schreit ficken“ aus der „RTL Samstagnacht“ durch, die ihr dialogisches Irrsinnspotenzial aus dem Verdrehen der Anfangsbuchstaben bezieht. Das Sinngebäude ist in diesem Fall die Sprache, die Otto ebenfalls liebend gern deformiert.

Ich bin mit meiner Bühnenfigur identisch - wer's glaubt

Dass er es nach gut 50 Bühnenjahren nicht nur seiner Fertigkeiten, sondern auch der Beharrungskräfte wegen zum Kult gebracht hat, ist dem Ostfriesen klar. Er behauptet zudem, mit seiner Bühnenfigur identisch zu sein. An der für so eine Karriere nötigen fröhlichen Dreistigkeit mangelt es jedenfalls beiden Ottos nicht.

Am Anfang der seligen Epoche Robert Gernhardt und Otto Waalkes steht ein „Gebet“. Ersterer hat’s gedichtet, letzterer geklaut. Doch statt eines Urheberstreits beginnt damit die Zusammenarbeit der Witzbolde.

„Lieber Gott, nimm es hin,

dass ich was Besond'res bin.

Und gib’ ruhig einmal zu, dass ich klüger bin als du.

Preise künftig meinen Namen, denn sonst setzt es etwas. Amen.“

Otto Waalkes: Kleinhirn an alle. Die große Ottobiografie. Heyne, 416 S., 22 €. Im ZDF läuft am 22. Juli um 22 Uhr die Mockumentary „Geheimakte Otto Waalkes – Harry Hirsch auf Spurensuche“. Die Malerei-Ausstellung ist bis zum 2. September im Caricatura-Museum in Frankfurt/Main zu sehen und wandert vom 14. September bis 17. Februar 2019 ins Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

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