„Anyas Geist“ von Vera Brosgol: Guter Geist, böser Geist
Vera Brosgol erzählt in „Anyas Geist“ eine Dämonengeschichte mit Einfühlungsvermögen und viel schwarzem Humor. Ihre in den USA mehrfach ausgezeichnete Graphic Novel wurde jetzt für den Max-und-Moritz-Preis nominiert.
Die Schülerin Anya fühlt sich als Außenseiterin. Lange hat sie gebraucht, um als Tochter russischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten ihren Akzent abzulegen. Angesichts ihrer fülligen Mutter, die gerne fette Käsekuchen backt, empfindet sie sich auch als zu pummelig. Ihre Schulfreunde, die zynische Siobhan und der streberhafte Dima, sind wie Anya russischstämmig.
Eines Tages, nachdem sie sich mit Siobhan gestritten und ihren Schwarm Sean beim Knutschen mit einer anderen erwischt hat, begibt sich Anya deprimiert auf den Heimweg – und stürzt in ein Erdloch. Zu ihrem Schrecken entdeckt sie darin ein menschliches Skelett und den dazugehörigen Geist. Seit 90 Jahren haust hier die kleine Emily Reilly, die in Anyas Alter starb.
Beim Max-und-Moritz-Publikumspreis kann man über das Buch abstimmen
Anya kann dem Erdloch entkommen, doch Emily wird sie nicht los. Fortan begleitet die neue, tote „Freundin“ sie, für andere unsichtbar, in die Schule und verhilft ihr zu besseren Noten. Auch berät Emily Anya, um besser an den geliebten Sean ranzukommen. Doch bald offenbaren sich die dunklen Seiten Emilys, die Details aus ihrer Vergangenheit verschwieg und immer mehr Besitz von Anyas Leben ergreift.
Die Zeichnerin dieser Geschichte, Vera Brosgol, ist wie ihre Heldin Amerikanerin mit russischen Wurzeln – 1984 in Moskau geboren, aufgewachsen in Portland, Oregon. Als ausgebildete Animatorin hat sie für Trickfilme wie „Coraline“ oder „ParaNorman“ als Storyboarderin gearbeitet. Nach einigen Webcomics hat sie 2011 mit „Anyas Geist“ ihre erste Graphic Novel vorgelegt, jetzt ist das Buch auf Deutsch bei Tokyopop erschienen. Sie überzeugt durch eine unspektakuläre, pointierte Erzählweise und gibt lebensnah das US-Highschool-Dasein aus der Sicht russischer Migranten wider.
Das Buch wurde in den USA mit jeweils einem Eisner- und einem Harvey-Award ausgezeichnet und jetzt auch für die wichtigste deutschsprachige Comicauszeichnung nominiert, den Max-und-Moritz-Preis, der im Juni beim Comicsalon Erlangen vergeben wird. Hier kann man über den Max-und-Moritz-Publikumspreis mit abstimmen.
Brosgols Zeichnungen sind klar und stilsicher, eigenwillig und leicht makaber. Die Charaktere werden mit viel Liebe gezeichnet, dabei dezent karikiert, mit bissigem Humor, der im Laufe des Buchs immer schwärzer wird. Geist Emily prägt den düsteren zweiten Teil des Buches. Der anfänglich gute Geist entwickelt sich nach und nach zum bedrohlichen Dämon, den Anya nie rief. Und zum Stalker, den man nur schwer wieder los wird. Die unheimlichen Flash-Backs in Emilys Vergangenheit sind in Silhouettentechnik bzw. Stummfilmästhetik gehalten und bilden grafische Höhepunkte der in schwarzweiße und blau-graue Töne gehaltenen Erzählung.
Vera Brosgol: Anyas Geist, Tokyopop, Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Monja Reichert, 224 Seiten, 14,95 Euro, Leseprobe unter diesem Link.
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