zum Hauptinhalt
Lummerland ist zu klein geworden. Waisenkind Jim Knopf (Georgina Melville) zieht mit Lukas (Carsten Sabrowski) und Lokomotive Emma in die weite Welt.
© Monika Rittershaus

"Jim Knopf" an der Komischen Oper: Guten Morgen, Ozean!

Sehr lustig und ganz ohne Mitmachen: In der Komischen Oper kommt Michael Endes Klassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ als sinnenfrohes Singspiel auf die Bühne.

Die Partie des Jim Knopf hat die Komponistin Elena Kats-Chernin für Sopran geschrieben. Und das wäre dann auch schon die avancierteste Wendung ihrer Neuvertonung von Michael Endes 1960 erschienenem Erfolgsroman über das ungleiche Freundespaar Jim und Lukas, die gerade an der Komischen Oper uraufgeführt wurde, selbstredend vor hunderten begeisterter Kinder.

Auf gute alte Opern-Weise sind sie nirgends zum Mitmachen aufgefordert. Schließlich verdankt sich auch diese Premiere der inzwischen bereits 15-jährigen Tradition des Hauses, jährlich eine Kinderoper in Auftrag zu geben und dabei Inszenierungen zu entwickeln, die denen für die erwachsenen Zuschauer in nichts nachstehen.

Und wenn Erwachsene nicht mitmachpädagogisch eingebunden sind, sondern sich stattdessen im Opernhaus mehr oder weniger zurücklehnen dürfen, um sich an der aufwendigen Ausstattung und den hervorragenden Sängerinnen und Sängern zu erfreuen – warum sollten Kinder das anders handhaben?

Sie schauen also zu und lassen sich perfekt unterhalten: Von Susanne Felicitas Wolfs Textbuch, das die Erzählvorlage geschickt mit Leben und Gesprächsbereitschaft ausgestattet hat.

Von Kats-Chernins musikalisch klug disponiertem Singspiel, das exotisierende Elemente und Instrumente wie die chinesische Mundorgel Sheng ebenso kennt wie flotte Tanzrhythmen.

Die Lummerländer sind immer glücklich

Und das im Nebenbei noch ein wenig klanghistorische Schulung betreibt, mit sinkenden Halbtönen zu den „Sorgen“, die die Lummerländer lange nicht kannten (weil sie halt immer glücklich waren), mit Moll-Eintrübungen beim Abschied von der Heimat, dem lichtvollen Melodieanstieg, der sich mit Jims „Guten Morgen, Ozean!“ verbindet oder dem geradezu nibelungenmäßigen Hammerklirren in der Welt der bösen Drachen.

Denn eines Tages hatten sich ja doch Sorgen in den angenehmen Alltag auf Lummerland eingeschlichen. Die Insel war zu klein geworden, und Jim und Lukas hatten sich entschieden, das Zuhause zu verlassen und gemeinsam mit ihrer Lokomotive Emma in die Welt hinauszuziehen, im Herzen immer das Leitbild, das die Lummerländer sich selbst für jegliche neue Einwohner geben:

„Bei uns ist jeder willkommen, ob per Paket oder Schiff, wir sind Heimat für alle, egal, aus welchem Land man stammt.“ Auf gehts also!

Christian von Götz’ Inszenierung lässt keine Luft für Langeweile; sie führt Jim und Lukas immer rundum auf der Bühne und dennoch weit in die Ferne, durchs Meer, über Land, in Täler, auf Höhen – und schließlich mitten hinein in ein Klassenzimmer, wo lauter gekidnappte Kinder (Einstudierung des wie stets brillanten Kinderchores: Dagmar Fiebach) unter der Knute ihrer Lehrerin Frau Mahlzahn leiden und als Buße für gute Lernleistungen bloß fiese Kommentare erhalten.

Georgina Melville sing und spielt Jim Knopf

Lukas Noll erschafft mit seinem Bühnenbild und den Videoprojektionen für diese Geschichte buchstäblich Welten, zeigt das gewohnte kleine Lummerland, bald einen Ozean mit einem Haifisch, der anmutig seinen Kopf aus dem Wasser streckt, bald das Haus des Kaisers von Mandala, und dann schon wieder eine Schlucht unter drohend kreisenden Geiern.

Und natürlich glänzt auch das durchweg fantastische Sängerensemble an diesem Abend, allen voran die junge, schmale, umwerfend gut gelaunte Georgina Melville als Jim Knopf.

Ihr zur Seite steht Carsten Sabrowski alias Lukas der Lokomotivführer, Inbild eines Freundes und Beschützers. Kostümbildner Alfred Mayerhofer hat die beiden in blaue Latzhosen gesteckt und für die Drachen sehr effiziente, also einiges Grausen erregende Kostüme geschaffen.

Christiane Oertel gibt die grandes dame der Geschichte mit Verve und Eleganz gleichermaßen, Alma Sadé ist eine zunächst rätselhafte, dann immer freundlichere Li Si, die aus langer Gefangenschaft erlöst werden muss.

Der sehr lustige Dominik Köninger und der sehr schrullige Christoph Späth glänzen in jeweils drei verschiedenen Rollen, Alexander Fedorov derweil spielt den alten Kaiser von Mandala, welcher seine Tochter Li Si verzweifelt vermisst, mit ebensolcher Würde wie er den Schnabel und die pink glitzernden Strumpfhosen trägt, als es an die komische Darstellung eines Geiers geht.

Jim Knopfs Hautfarbe ist kein Thema

Mit Julia Domke als Ping Pong hingegen fühlt man beim Zusehen und Zuhören stark mit, wegen der undankbaren Zeichnung ihrer Figur, die aus lauter Nicken und Lächeln und Pandabärchen über pastellfarbener Seide besteht.

Einen Tod musste oder wollte das Produktionsteam offenbar sterben, um die Geschichte dieser eigentümlichen Reise zu fernen und fremden Völkern abzubilden, und wenn schon die Hautfarbe von Jim Knopf als Thema an diesem Premierennachmittag links liegen bleibt, so bedient man doch auf üppigste Weise Ostasienklischees, nicht zuletzt durch die wilden Gesten und Schreie, die Dominik Köninger in der Rolle des Oberbonzen Pi Pa Po vollführt.

Unterdessen braucht das Orchester der Komischen Oper unter Ivo Hentschel anfangs ein wenig, um sich exakt auf die quicken Ensemblesätze oben auf der Bühne einzustellen.

Ohnehin hat man bei fast zwei Stunden reiner Spielzeit und einem schmiegsamen Stilmix viel zu tun im Graben.

[Die Komische Oper spielt 16 weitere Aufführungen bis Februar 2020.]

Jim und Lukas im Tal der Dämmerung

Elena Kats-Chernins zweiter Kinderoper für das Haus – vor vier Jahren feierte „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ Premiere, ebenfalls mit Susanne Felicitas Wolf als Librettistin und Christian von Götz als Regisseur – gerät vor allem in ihrer zentralen Szene beeindruckend, der Höllenfahrt von Jim und Lukas durch das Tal der Dämmerung, die Noll mit psychedelisch kreisenden Videoprojektionen untermalt.

In ihrer schieren Lautstärke, der disharmonischen Zugkraft und der grundsätzlichen Gruseligkeit gerät diese Szene so stark, dass man bereits darüber nachzudenken beginnt, ob sechs Jahre wirklich das geeignete Einstiegsalter für diese ansonsten gutmütige, wenig stachelige Produktion ist.

„Lukas, wo sind wir?,“ fragt Jim, als des Tobens und Lärmens schließlich ein Ende ist. „Keine Ahnung“, antwortet der Lokomotivführer, „aber ich sehe den Ausgang“.

Zur Startseite