Rembrandt Bugatti in der Alten Nationalgalerie: Gut gebrüllt
Internationale Sammler wissen längst, dass der Bruder des Autobauers Ettore Bugatti ein bedeutender Tierbildhauer ist. Die Alte Nationalgalerie widmet ihm nun erstmals eine hinreißende Schau.
Ins Atelier ging er meist nur, wenn es regnete. Ansonsten war Rembrandt Bugatti im Zoo anzutreffen. Vor den Gehegen in den Zoologischen Gärten von Paris und Antwerpen baute er seinen Arbeitstisch auf, beobachtete die Tiere, durfte mit der Billigung der Wärter oft hinter die Gitter, ehe er zu Plastilin und Modellierholz griff und vor Ort eine jener Tierfiguren zauberte, deren Bronzeabgüsse wie eine Gesandtschaft aus „Brehms Tierleben“ nun die Alte Nationalgalerie bevölkern.
Rembrandt Bugatti? Sein einprägsamer Name ist im Kontext der Kunst gründlich vergessen. 1884 in Mailand als Sohn des Designers Carlo und jüngerer Bruder des Autobauers Ettore Bugatti geboren, 1916 in Paris durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, ist dieser Künstler zu einer Fehlstelle der Kunstgeschichte geworden. Der offiziellen Museums-Kunstgeschichte zumindest, denn es gibt weltweit Sammler, die für seine exquisiten Bronzen hohe Preise zahlen.
Philipp Demandt, Leiter der Alten Nationalgalerie, der Bugatti nun die erste Museumsretrospektive widmet, sah vor einigen Jahren auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht Bugattis „Mantelpavian“ – jenes Hauptwerk von 1909/10, das bei Sotheby’s 2006 den Rekordpreis von 2,6 Millionen Dollar erzielte. Ohne zu wissen, was er da vor sich hatte, war Demandt elektrisiert und sammelte Informationen. Kurz nach seiner Berufung an die Nationalgalerie überzeugte er seinen Chef Udo Kittelmann vom Wagnis Rembrandt Bugatti. Es ist die zugleich schönste und skurrilste Ausstellung geworden, die man seit langem dort gesehen hat.
Sie hält das ganze Haus in Atem. Vor Menzels „Eisenwalzwerk“ stehen Kängurus und Kamele, im Raum mit den Nazarener-Fresken Hirsche, ein Bär und ein Elch, im Caspar-David-Friedrich-Saal zwei Geier und fünf alte Arbeitspferde. Vor nicht allzu langer Zeit hätte man das als Angriff verstanden. Nun vergleicht man die feinmotorische Präzision von Bugattis Menagerie mit Rauchs unterkühlter Marmorglätte oder entdeckt in Begas’ erotischen Rundungen die gleiche gespannte Vitalität wie in Bugattis senegalesischem Antilopenpaar, dessen lebende Urbilder der Künstler 1908 für ein Vierteljahr als Leihgabe des Antwerpener Zoos im Pariser Atelier hielt.
Was hebt diese Skulpturen so weit über die röhrenden Hirsche und brüllenden Löwen aus Bronze, Porzellan oder Holz hinaus, die einst in bürgerlichen Wohnzimmern verstaubten? Und was macht den Unterschied zu den deutschen Tierbildhauern der Zeit, zu August Gaul, Max Esser oder Renée Sintenis? Es ist die Haltung, die Bugatti seinen Modellen entgegenbrachte. Seinem Werk haftet nichts Anekdotisches, Niedliches, Sentimentales an, hier werden Tiere nicht zu Klischees oder Archetypen zugerichtet.
Im Zeitalter von Sigmund Freud und Wilhelm Wundt nahm Bugatti Tiere als Individuen ernst und zeigte sie nicht – wie Generationen von Tierbildhauern vor ihm – im mythologischen oder darwinistischen Existenzkampf. Bugatti schuf Porträts. Seine Skulpturen sind Meisterwerke impressionistischer Beobachtungskunst, verdichtet unter der hart schimmernden Oberfläche der Bronze. Der Autodidakt, der früh Förderung durch seinen Onkel erfuhr, den Maler Giovanni Segantini, eignete sich die Welt durch Anschauung an. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob Bugatti depressiv gewesen ist. Fotos und eigene Karikaturen zeigen ihn als humorvollen Exzentriker. Der Katastrophe des Ersten Weltkriegs fühlte sich dieser Ausnahmekünstler nicht gewachsen. Für den Großmeister des Individuellen war im Zeitalter von Masse und Macht kein Platz. Michael Zajonz
Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, bis 27. 7.; Katalog (Hirmer Verlag) 29 €.
Michael Zajonz