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Im Schweiße deines Angesichts. Caillebottes „Parkettschleifer“ (1894, Ausschnitt).Foto: Musée d'Orsay, Paris, Geschenk der Erben von Gustave Caillebotte.
© bpk/RMN/Hervé Lewandowski

Ausstellung in Frankfurter Kunsthalle: Gustav Caillebotte - Bourgeois und Revolutionär

Als Maler ist er den Möglichkeiten der Kamera voraus: Gustave Caillebotte. Der Impressionist malte Sichtweisen, bevor die Kameratechnik weit genug war, sie auf Platte zu bannen. Nun werden seine Werke in der Frankfurter Kunsthalle ausgestellt.

Gustave Caillebotte ist erst 45 Jahre alt, als er im Februar 1894 in seinem Anwesen bei Paris an einem Gehirnschlag stirbt. „Wir haben einen aufrichtigen und hingebungsvollen Freund verloren“, schreibt der Malerkollege Pissarro, „und allen Grund, um ihn zu trauern, denn er war selbstlos, großzügig und außerdem ein begabter Maler.“ Dieses „außerdem“ behindert bis auf den heutigen Tag die Anerkennung als Künstler. Immer wurde in ihm in erster Linie der Mäzen gesehen, der er für seine impressionistischen Malerfreunde war, allen voran Claude Monet, den er jahrelang finanziell unterstützte. Seine eigene Sammlung impressionistischer Gemälde vermachte er dem französischen Staat, der die Schenkung nur halbherzig annahm und erst 1929 in den testamentarisch bestimmten Louvre einließ. Heute bilden die Gemälde von Manet, Renoir, Monet den Grundstock des Pariser Musée d’Orsay.

Caillebotte war ein eigentümlicher Mensch. Nicht allein sein ererbter Reichtum trennte ihn von den anderen Künstlern. Wenig, wenn überhaupt, war an ihm Künstler im Sinne derjenigen Existenzform, die sich im 19. Jahrhundert zum Gegenbild des Bürgers ausprägte. Er selbst war ein lupenreiner Bourgeois, dabei als Maler durchaus nicht Dilettant, sondern an der École des Beaux-Arts ausgebildet. Erst die Ablehnung seiner ersten Einreichung zum geschmacksprägenden Pariser Salon im Jahr 1875 führte zur Distanz, die er seither gegenüber dem konventionellen Kunstbetrieb hielt.

Aber was für eine Einreichung! Das Gemälde „Die Parketthobler“ ist eine der schonungslosesten Darstellungen von Lohnarbeit, die das späte 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das Bild der drei Männer, die das Parkett einer luxuriösen Neubauwohnung von Hand abschleifen, ist darum so schonungslos, weil es nichts zeigt als eben diese Arbeit, der kein weiterer Sinn innewohnt. Weder Überhöhung noch Anklage, nicht einmal Erzählung. Wie eine dokumentarische Fotografie.

Jetzt ist das Gemälde in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen, im Rahmen der Ausstellung „Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie“, deren Titel die Spur auslegt, die hier verfolgt wird. Ob Caillebotte selbst fotografiert hat, ist ungewiss; der persönliche Nachlass ist verloren. Aber um ihn herum nahm die Fotografie, eine französische Erfindung, ihren rasanten Aufschwung.

Zu seinen Lebzeiten wurde sie zum beherrschenden Medium der Wirklichkeitsvermittlung, gleichermaßen noblen wie niederen Zwecken dienstbar, vom Porträt bis zur Pornografie, von der Komposition bis zum Schnappschuss.

Der Wandel der Wahrnehmung hat die Moderne überhaupt erst ermöglicht

Im Schweiße deines Angesichts. Caillebottes „Parkettschleifer“ (1894, Ausschnitt).Foto: Musée d'Orsay, Paris, Geschenk der Erben von Gustave Caillebotte.
Im Schweiße deines Angesichts. Caillebottes „Parkettschleifer“ (1894, Ausschnitt).Foto: Musée d'Orsay, Paris, Geschenk der Erben von Gustave Caillebotte.
© bpk/RMN/Hervé Lewandowski

Die Impressionisten reagierten auf ihre Weise auf die Herausforderung. Sie setzten den individuellen Eindruck, die Impression, an die Stelle dokumentierender Naturtreue. Caillebotte den Impressionisten zuzuordnen, wie es aufgrund seiner freundschaftlichen Nähe zu den Protagonisten undseiner Beteiligung an ihren Ausstellungen zwischen 1876 und 1882 üblich ist, greift indessen zu kurz. Denn Caillebotte, mochte er sich in etlichen Gemälden auch ihrer Plein-air-Technik bedienen, hat seine Meisterwerke in einer staunenswert exakten Weise konstruiert und in zahllosen Detailstudien vorbereitet. Undenkbar, so die These von Gastkuratorin Karin Sagner, dass die Fotografie dabei keine Rolle gespielt haben sollte.

Caillebotte wird, mehr als die eigentlichen Impressionisten, zum „Maler des modernen Lebens“, wie ihn Charles Baudelaire gefordert hatte. Er malt eine vermeintliche Alltagsszene auf der von mehreren Straßen gekreuzten „Europabrücke“ hinter dem nagelneuen Bahnhof Saint-Lazare, einem Zentrum des großbürgerlichen Paris im Sinne der radikalen Stadterneuerung durch den Präfekten Haussmann. Tatsächlich handelt es sich um ein höchst subtiles Gesellschaftsporträt – und ein Geschenk, dieses Schlüsselwerk der frühen Moderne in Frankfurt bewundern zu können. Das noch bekanntere „Regenwetter“–Bild aus Chicago, in seiner Bedeutungstiefe das Pendant, muss durch eine Vorstudie vertreten werden. Caillebotte, der später an einen der eleganten Boulevards zieht, malt nie zuvor gesehene Blicke von oben auf die Straße und wirft die Prinzipien akademischer Komposition über Bord.

Er ist Sportsmann, beginnt 1877 mit der Segelei, wird Bootsbauer und Jachtklub-Vorstand – als wohlhabender Rentier ein Prototyp jener neuen Gesellschaftsschicht, die er zugleich in den Porträts seiner Freunde in unerhörter Weise kenntlich macht. Nebenbei beschäftigt er sich als einer der ersten mit der Philatelie – und nicht, wie im Frankfurter Katalog zu lesen, der „Philanthropie“; ein Beleg dafür, wie sehr diese Sammelleidenschaft bereits dem Vergessen anheimgefallen ist. Die Sammlung von Caillebotte und seinem Bruder Martial wandert später ins British Museum. Caillebotte nimmt den Müßiggang ernst. Fotos im Alter von 40 oder 42 zeigen einen reifen, womöglich vorzeitig gealterten Mann.

Er experimentiert in allem, was er tut, baut gewinnträchtige Segelboote und sucht ungewöhnliche Darstellungsweisen in seinen Gemälden. Regentropfen auf einem stillen Flüsschen, Ruderer in Nahsicht, ein Haus unterhalb von Klippen, flatternde Wäsche im Wind.

Stets tritt die Fotografie auf den Plan, wenn es um neue Perspektiven geht. Und doch, das zeigt die Frankfurter Ausstellung mit hinreißenden Fotografien der damaligen Epoche, ist nicht auszumachen, wer vorangeht, die Fotografen oder der Maler. Denn Caillebotte malt Sichtweisen, bevor die Kameratechnik weit genug ist, sie auf die Platte zu bannen. Vielmehr übernehmen spätere Fotografen Sichtweisen, die Caillebotte vorgebahnt hatte.

Wenige Monate nach Caillebottes Tod richtete der Impressionismus-Händler schlechthin, Durand-Ruel, eine Retrospektive mit 122 Arbeiten aus. So klein, wie oft vermutet wird, ist das Lebenswerk des allzu früh Verstorbenen nicht. 1994 zeigten die französischen Nationalmuseen im Pariser Grand Palais eine Zentenarausstellung, die allerdings auch nicht über 116 Gemälde hinauskam – sehr vieles befindet sich in Privatbesitz und ist kaum ausleihbar.

Umso größer die jetzige Frankfurter Leistung, dieses Œuvre in so herausragenden Werken zugänglich zu machen und es zugleich, durch die Hinzufügung der Fotografie, in seiner immensen Bedeutung für den Wandel der Wahrnehmung herauszustellen. Es ist ein Wandel, der die Moderne überhaupt erst ermöglicht hat.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main, bis 20. Januar. Katalog im Hirmer Verlag, 248 S., 29,90 €, im Buchhandel 39,90 €.

Bernhard Schulz

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