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Unprätentiös. Das offizielle Bandfoto zum neuen Album.
© Promo

Rumpelrock: Guided By Voices: Produktiv, schnell, kaputt

Fieses Bandfoto, geniale Musik: Mit "Let’s Go Eat The Factory" veröffentlichen die alten Lo-Fi-Recken von Guided By Voices ein Album wie aus einem einzigen, melodiösen Guss.

Fragt man Robert Pollard dieser Tage, warum er so enorm produktiv ist, hat er eine einleuchtende Antwort parat: „Ich sitze herum und langweile mich, schließlich lebe ich in Dayton, Ohio. Dann betrinke ich mich und schreibe ein paar Songs. Danach trinke ich Kaffee, schaue Football und schreibe noch mehr Songs.“ Gelegen im Mittleren Westen der USA, scheint Dayton tatsächlich eine Stadt zu sein, in der ein Rockmusiker sich auf das Wesentliche konzentrieren kann, auf das Schreiben und Einspielen von Songs. Robert Pollard hat das gerade wieder in beeindruckender Weise getan. Mit seiner Band Guided By Voices hat er nach achtjähriger Pause mit „Let’s Go Eat The Factory“ ein Album wie aus einem einzigen, melodiösen Guss veröffentlicht. Mit 21 ebenso smarten wie rumpeligen Songs, für die er und seine Band gerade einmal 43 Minuten brauchen. Dabei ist es fast übertrieben, von „Songs“ zu sprechen: Oft sind die zu Ende, bevor sie richtig angefangen haben.

Robert Pollard arbeitet am liebsten schnell. Für ihn muss Rockmusik spontan, nicht ausgeklügelt sein, verschwenderisch, nicht ökonomisch. Das Erstaunliche ist, dass dem inzwischen 53-jährigen ehemaligen Grundschullehrer die Ideen niemals auszugehen scheinen. 2011 und 2012, da von ihm drei Soloalben und „Let’s Go Eat The Factory“ erschienen sind, arbeitet er nicht anders als in den mittleren und späten achtziger Jahren.

Damals lagerte er die selbst finanzierten, im eigenen Haus aufgenommenen Platten von Guided By Voices noch unter seinem Bett, weil sie keiner haben wollte. Nachdem aber Anfang der neunziger Jahre findige Kleinstlabelbesitzer auf die Band aufmerksam geworden waren, ließ Pollard sich vom Schuldienst befreien und Guided By Voices wurden nicht nur zu einer der produktivsten Bands im Rock-Zirkus, sondern prägten maßgeblich die Indiemusik-Ästhetik der Zeit. Low-Fidelity-Rock hieß das Ganze, Bedroom-Producing. Bands wie Guided By Voices, Sebadoh, Beck oder Smog nahmen das Raue und Hingeschnipselte bewusst in Kauf, um selbstbestimmt und frei von Zwängen arbeiten zu können.

Tatsächlich verbrauchte sich der Charme von Guided By Voices, als die Band plötzlich Studiozeit und Starproduzenten bekam. Da blieb im neuen Jahrtausend von den „Beatles on Budweiser“, wie sie in Amerika genannt wurden, nur noch das Budweiser, und da definierten die jungen „The“-Bands wie die Strokes den Rock’n’Roll anders, neu und retro zugleich. Was kein Grund für Pollard war, sich nach der Guided-By-Voices-Auflösung 2004 aufs Altenteil zurückzuziehen. Er machte weiter, in zahllosen anderen Bands und allein. Drei Alben im Jahr mussten es mindestens sein, selbst wenn so mancher Murks dabei war.

So zierte er sich auch nicht lange, als das Matador-Label 2010 bei ihm anfragte, ob er anlässlich eines Labeljubiläums mit Guided By Voices nicht wieder ein paar Gigs spielen wolle. Pollard wunderte sich höchstens darüber, dass die Zuhörerschaft auf der Tour noch größer als ehedem war, dass Bands wie Pavement, Yo La Tengo, Sonic Youth oder seine eigene mindestens eine Generation entscheidend sozialisiert hatten. Was lag näher, als mit den alten Kumpels ein neues Album einzuspielen?

„Let’s Go Eat The Factory“ knüpft umstandslos an goldene GBV-Zeiten an. Hochmelodiöses Gerumpel und Gepumpel ist das, in Stücken, deren großer Vorzug das Skizzenhafte ist, das Unfertige. Lo-Fi-Rock, der von Momenten lebt, von seiner Spielfreude, von einer Gefühligkeit, die im Gegensatz zum bewusst kaputten Sounddesign steht, selbst wenn sich jetzt auch mal eine Violine oder ein Piano in den Vordergrund spielen. Die Zukunft des Rock’n’Roll ist dieses Album natürlich nicht; doch kann man von dieser auch nicht sprechen, wenn junge Musiker die Rocksounds der sechziger bis neunziger Jahre wie beim Klavierunterricht original nachspielen. Dann doch lieber der Zauber des Kaputten, des Verschwenderischen, der Bierseligkeit, den der ergraute Pollard und Mannen hier einfangen. Dass für Mitte dieses Jahres ein weiteres Guided-By-Voices-Album geplant ist, versteht sich von selbst. Gerrit Bartels

„Let’s Go Eat The Factory“ ist bei Fire Records/Cargo erschienen.

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