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Gewitter auf dem Festivalgelände in Roskilde.
© dpa

Roskilde Festival: Grauschleier über Roskilde

Der Tod einer 35-jährigen Berlinern weckt auf Roskilde Festival Erinnerungen an das Jahr 2000. Damals wurden neun Fans bei einem Konzert der Band Pearl Jam erdrückt.

Am Ende wirft der Tod einer 35-jährigen Frau aus Berlin einen Schatten über das 41. Festival im dänischen Roskilde. Sie fällt vom 30 Meter hohen Turm einer Seilbahn und erliegt ihren Verletzungen. Sofort sind die Erinnerungen da: an das Jahr 2000, als neun junge Männer bei einem Konzert der Band Pearl Jam in Roskilde ums Leben kamen. Erdrückt von der nachrückenden Menge vor der orangefarbenen Hauptbühne.

Die Macher des traditionsreichen und größten nordischen Musikevents haben in den Folgejahren alles daran gesetzt, dass man in Roskilde wieder beides haben kann: im Rhythmus und Rausch des Festivals den Alltag ausblenden und sich gleichzeitig unter 75 000 Musik- und Partybegeisterten geborgen fühlen. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen vor den großen Bühnen hat das Publikum längst angenommen. In den von Crowd Safety-Personal umsorgten Publikumszonen sind die Lücken im Publikum zu groß für Gedränge.

Eng wird es bei den Konzerten auch schon deshalb nicht mehr, weil in Roskilde sich alle zerstreuen: in die fein gegliederte Nischenwelt der Popmusik. Eine Entwicklung, die auf Kritik stößt: „Zu nerdig“ hieß es schon vor Beginn des diesjährigen Festivals in der dänischen Tageszeitung „Politiken“, die wie ein Großteil der dänischen Medien mit Argusaugen die Entwicklung „ihrer Kulturinstitution“ verfolgt. Neidvoll blickt man auf das britische Konkurrenzfestival Glastonbury, bei dem in diesem Jahr mit U2, Coldplay, Elbow und Radiohead zahlreiche Schwergewichte auf den Bühnen standen. Dagegen sahen die Roskilde-Headliner Arctic Monkeys oder die Strokes und selbst Portishead und PJ Harvey auf dem Plakat eher bescheiden aus.

Obwohl das Nonprofit-Festival auch in diesem Jahr vorzeitig ausverkauft war, reichte das Budget  nicht, um größere Namen zu gewinnen. Dafür sind in den letzten Jahren die Honorarforderungen in der ersten Liga der Popmusik zu stark gestiegen. Trotzig laboriert man in Roskilde mit einem neuen Konzept. Was man in den kleinen Zelten schon immer beherzigte, nämlich von nordischen Lokalmatadoren über globale Rootsmusik bis hin zu eklektischen Elektrosounds alles zu spielen, könnte zur Signatur des gesamten Festivals werden.

Es gibt einige Momente, in denen dieses Konzept aufgeht. Sehr gut kommt etwa Trendmusik wie der extrem verlangsamte Elektroblues von jungen Künstlern wie Nicolas Jaar oder James Blake an – passt auch gut zum nasskalten Wette. Die Dubstepstars Magnetic Man lassen eine zweistündige Bass-Party steigen, die gleichzeitig ein großes Dankeschön ist. Denn der Enthusiasmus des Roskilde-Publikums gab vor drei Jahren ihrer Karriere den entscheidenen Kick. Und in einem Zelt für intime Festivalmomente geht ein neuer Stern am schwedischen Blueshimmel auf: Daniel Nohrgren spielt, als wolle er es dem legendären Robert Johnson gleich tun und seine Seele an den Teufel verkaufen. Das Publikum bringt zum Lohn das kleine Zelt zum Abheben.

Kaleidoskopartig fügt sich das Soundbild dieses Festivals mit jedem Tag neu zusammen. Aus manchem Dreh entstehen sogar sehr schöne Verbindungen: wenn etwa das Saxofon aus Nicolas Jaars Elektrouniversum nicht nach klebrigen Achtziger-Jahre-Sounds, sondern nach Afrobeat-Bläsern klingt, wie sie ein paar Stunden später bei Seun und Femi Kuti, Söhne des legendären Afrobeat-Meisters Fela Kuti, im Original zu hören sind.

Die Probleme des Festivals sind allerdings nicht zu überhören und -sehen. Am Freitagabend zeigen die Programmmacher zwar viel Mut, als sie mit Portishead und M.I.A. gleich zwei Mal elektronische Musik auf die Hauptbühne schicken. Doch die TripHopband aus Bristol kann auch mit  großartigem Sound und einer erstaunlich kontaktfreudigen Sängerin Beth Gibbons die Bremskraftwirkung ihrer Musik nur vertiefen. Anschließend verpasst die Elektro-Rebellin M.I.A. die Chance, einen erlösenden Partymoment zu kreieren. Ihrem Mixtape und dem gut komponierten Videocliptrash fehlt das dynamische, lebendige Gegenüber. Kein einziges Mal fällt Licht auf das Gesicht der Künstlerin. Das gab es schon ein Mal in Roskilde, vor drei Jahren bei den Chemical Brothers. Und auch damals sprang der Funke nicht über, weil die Band sich vor dem Publikum versteckte.

Das „Orange Feeling“, der große gemeinsame Moment vor der Open Air Bühne, stellt sich in Roskilde immer seltener ein. Das ist der Preis für die Neuausrichtung des Festivals. Hilflos bis albern wirkt deshalb der Versuch, das 20 bis 25 Jahre alte Publikum mit Rockdinosauriern wie Iron Maiden zusammen zu bringen. Selbst Alex Turner von den Arctic Monkeys sieht in der einzigen Lederjacke, die es in Roskilde weit und breit zu sehen gibt, alles andere als cool aus. Immerhin macht Gott ein paar Fotos für sein Archiv, als die Strokes die Orange Stage betreten. Gewaltige Blitzlichter begleiten eines der besseren Rockkonzerte, bei dem Julian Casablancas über seine dänische Ahnengeschichte plaudert.

Es sind diese Augenblicke der Zuwendung, die sich auszahlen. Für PJ Harvey zum Beispiel, die bei ihrem Konzert von der  fabelhaften Präsenz zehrt, die sie vor zehn Jahren im gleichen Zelt zeigte. Mit elektrisch verstärkter Zither und ohne Bassgitarre klingt sie in diesem Jahr viel zu dünn für das große Arena Zelt, doch jedes einzelne Lied wird vom Publikum mit großem Jubel quittiert.

Nach solchen kurzen gemeinsamen Erlebnissen zerfällt die Masse wieder und zieht weiter in der Nischenlandschaft des Festivals. Zu der gehört längst auch eine ausgedehnte, zum Teil wilde Partyzone außerhalb der Hauptbühnen - auf dem riesigen Campinggelände. Wer hier auflegt, steht zwar nicht im Festivalproramm, dafür mit etwas Glück im Mittelpunkt einer rauschenden Nacht, zusammengehalten vom wummernden Sound der notdürftig bis liebevoll gebastelten Soundblaster. Diese Party abseits der Konzerte lässt sich nicht unter Kontrolle bringen, auch nicht mit Spektakeln wie der längsten Seilbahn Dänemarks.

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