Oper: Grausame Liebe
Die Komische Oper zeigt Olga Neuwirths neu komponierte „Lulu“ – und erstmals wird an dem Haus auf Englisch gesungen.
Es beginnt mit völliger Stille, so als wolle die Komponistin zur Sammlung zwingen, zur Vorbereitung auf das, was kommt. Dann: ein greller Akkord, lang gedehnt, in Wellen zitternd, gefolgt von einer quäkenden, verfremdeten Jazzmelodik. So könnte es weitergehen, aber es ist nur Vorspiel, Selbstzitat, Verweis auf eine Musik, die erst im 3. Akt wiederkehrt. Stattdessen setzt, szenisch und musikalisch, Alban Bergs „Lulu“ ein – und dann doch wieder nicht, denn Olga Neuwirth hat an der Komischen Oper das Werk als „American Lulu“ einer radikalen Überarbeitung, ja Neukomposition unterzogen, hat die ersten beiden von Berg vollendeten Akte für Jazzensemble orchestriert und den dritten völlig neu geschrieben, hat die Handlung ins rassistische Südstaaten-New-Orleans der 50er Jahre verlegt, wo der Jazz ja herkommt, und gleichzeitig noch den männlichen Blick auf das Weibliche als das Bedrohliche schlechthin, wie er die Lulu-Rezeption jahrzehntelang geprägt hat, umdrehen wollen. Uff.
Andererseits: Warum eigentlich nicht? Ist das Ende der Lulu bei Berg (und Wedekind) nicht tatsächlich, wie Neuwirth schreibt, „albern“? Sie wird mehr oder weniger zufällig gemordet von Jack the Ripper als Wiedergänger des Dr. Schön. Sicher, das Ganze ist sorgfältig konstruiert, die Männer, die sich zuvor an ihr verbrannt haben, rächen sich jetzt – aber wofür? Dafür, dass sie Lulu als Projektion ihrer verklemmten Geilheiten selbst erschaffen haben? Lulus Mord an Dr. Schön ist reine Notwehr. Im Grunde stirbt diese Frau schuldlos.
Es gibt also durchaus Gründe, die Sache neu zu verhandeln. Dass sich Neuwirth eines solchen (frauen-)politischen Stoffs annehmen würde, war trotzdem nicht unbedingt zu erwarten. Ihre bisherigen Arbeiten, etwa die Opern „Bählamms Fest“ auf ein Libretto von Elfriede Jelinek oder „Lost Highway“ nach dem Film von David Lynch, gleichen mehr psychedelischen Trips ins Innere einer gehetzten Seele. Aber da war immer auch ein anderer Strang: Ihr Vater war Jazzmusiker, sie wollte Trompete spielen. Ein Unfall zerschmetterte diese Pläne, die Neuwirth jetzt, anders, umsetzt: mit einem 27-köpfigen Jazzensemble, Blech- und Holzbläsern, elektrischem Klavier, E-Gitarre, ein paar Streichern und einer dampfbetriebenen Orgel, wie sie auf dem Mississippi üblich war. Es ist Bergs Partitur, auf der diese Klänge aufbauen, zumindest in den markantesten Themen und Phrasen, und doch klingt vieles dünner, flacher, verschliffener als bei Berg. Johannes Kalitzke, selbst Komponist, dirigiert das Orchester der Komischen Oper trotzdem irisierend, drängend, verliebt in jede melodische Wendung.
Gesungen wird auf Englisch in einer Übersetzung von Catherine Kerkhoff-Saxon – womit nebenbei das Dogma der Deutschsprachigkeit an der Komischen Oper endgültig gefallen sein dürfte, ironischerweise mit einem im Original deutschen Werk. Die Handlung ist gestrafft, der Prolog des Tierbändigers fällt völlig weg. In einer Rahmenhandlung lebt Lulu in New York. Die eigentliche Oper, also die ersten beiden Akte von Berg, verpackt der russische Regisseur und Bühnenbildner Kirill Serebrennikov hingegen in eine bleierne, schwarz-weiße Szenerie. Hier huschen die Darsteller in Mantel und Hut über die Bühne, als seien sie Zeitdiebe aus „Momo“.
Alles wirkt wie ein (Alb-)Traum, und das ist es ja auch: Erinnerung, Rückblende der zur Edelprostituierten aufgestiegenen Lulu. Ein Glaskasten wird wie bei Edward Hopper zur Bar der Einsamen, auch die herbeigeschafften Pflanzen sind bleich und blass. Blödsinnig präsentieren hier die Bodybuilder, die den Athleten (Philipp Meierhöfer) begleiten, ihre Muskeln in Posen, die in den 50ern als sexy galten.
Vor diesem Hintergrund strahlt der Stern von Marisol Montalvo als Lulu umso heller. Alle Höhen gelingen ihr ätherisch und spitz, ohne Scheu bietet sie ihren schwarzen Körper dar, eine Projektionsfläche männlichen Begehrens auch hier. Dass Lulu, Gräfin Geschwitz (Della Miles) und Schigolch, der hier Clarence heißt (mit dunkel raunendem Charakterbass: Jacques-Greg Belobo) von Schwarzen gesungen werden, ist konstitutiv für Neuwirths Konzept. Denn Schwarze waren in New Orleans die Unterdrückten, Geschlagenen – und sie sind es, die sich emanzipieren. Die „anderen“ sind alle weiß: Dmitry Golovnin als Maler (hier ein Fotograf), Rolf Romei als Alwa, der hier Jimmy heißt. Bei Claudio Otelli als Dr. Schön (hier Dr. Bloom) ahnt man einen prachtvollen, gebieterischen Bariton, leider hört man ihn nicht wirklich, und das obwohl die Darsteller mit Mikroport singen.
Dann der 3. Akt. Ein Krimi schon immer, Berg hatte bei seinem Tod 1935 reichlich Skizzenmaterial hinterlassen, Friedrich Cerha den Akt schließlich komplettiert, 1979 erklang die Oper erstmals vollständig in Zürich, Dirigent Eberhard Kloke hat kürzlich noch mal neue Fassungen vorgelegt. Neuwirth wischt das jetzt alles weg, lässt nur ein Echo der ursprünglichen Konzeption übrig, mit grellen Jazzklängen instrumentiert. Und jetzt schlägt die Stunde von Della Miles als Geschwitz. Diese Bluessängerin im Afro-Look könnte nicht weiter entfernt sein von Bergs verkrümmter lesbischer Gräfin. Aufrecht und strahlend steht und singt sie, ohrfeigt Schön und verlässt am Ende Lulu, die sie liebt. Alles läuft auf ein zentrales Streitgespräch der beiden zu, in dem auch Lulu eine selbstbewusste Frau bleibt bis zum Schluss, ein Subjekt jetzt, endlich. Ob sie wirklich stirbt, bleibt offen.
Man darf mutmaßen, dass Neuwirth von Anfang an vor allem den dritten Akt umschreiben wollte und dann, von diesem ausgehend, auch die anderen beiden Akte neu instrumentiert hat, um Einheitlichkeit herzustellen. Was die Frauenthematik angeht, ist ihr dabei so etwas wie eine Neudefinition gelungen. Das Ganze mit der Rassismusthematik der 50er Jahre zu grundieren, wirkt dagegen überkonstruiert, beliebig und unserer Gegenwart letztlich auch nicht näher als Bergs Epoche. Das Projekt: ein Diskussionsbeitrag, und sicher nicht der letzte. Die Wunde Lulu schwärt weiter.
Wieder am 6. u. 10. 10. sowie 6. u. 17. 11.
Udo Badelt
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