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Göttlicher Besuch. Eine Szene aus dem Band.
© Illustration: Mathieu/Reprodukt

Groteske: Göttliche Zumutung

Medienkritik für nerdige Theologen: Ein juristischer Diskurs über Gott oder eine Satire über kapitalistisches Verwerten? In „Gott Höchstselbst“ holt Marc-Antoine Mathieu zu einem substanzlosen Rundumschlag aus. 

Die Idee ist nicht ganz taufrisch. In seinem aktuellen Band „Gott Höchstselbst“ versetzt Marc-Antoine Mathieu Gott in sein eigenes Comic-Universum und versucht sich an einer Art philosophischem Crossover: göttliche Gerechtigkeit vs. menschliche Gerichtsbarkeit, Selbstevidenz vs. Kommunikation und dergleichen mehr.

Aphorismen eines Erstsemesters

Ganz unvermittelt taucht bei einer Volkszählung Gott auf, wird anschließend zu einem Medienstar und schließlich entsorgt. Natürlich erinnert das an Dostojewskis Erzählung vom Großinquisitor aus „Die Brüder Karamasoff“, selbst wenn man weiß, dass ein Vergleich wohl ziemlich vermessen wäre. Dieser überspannte Anspruch lauert fatalerweise ständig im Hintergrund. Mathieu hält sich aber nicht wie Dostojewski mit dem Sohn Gottes auf, er kommt gleich zum Wesentlichen - allein um genügend Raum für seine abstrakten Reflexionen zu haben, die unangenehme Erinnerungen an die konfusesten Philosophieseminare in den ersten Semestern erwecken.

Einer gegen alle. Die Titelfigur auf dem Cover des Buches.
Einer gegen alle. Die Titelfigur auf dem Cover des Buches.
© Reprodukt

Es ist schwer zu entscheiden, was an „Gott Höchstselbst“ schlimmer ist: das philosophierende Geschwätz oder die Gesellschaftssatire, deren grobe schematische Darstellung und kindlich plumper Humor sich grell von dem tiefsinnigen Gehabe absetzt. Wenn es eine Satire sein soll, läuft sie arg ins Leere: Wenn man sich gleich Gott als unanfechtbare Referenz rauspickt, sieht im Gegensatz menschliches Wissen- und Gerechtigkeitsstreben natürlich schlecht aus. Der Witz von Sätzen wie „Ich bin das Wesen, dessen Entropiefaktor quasi null ist“ hält sich außerdem ziemlich in Grenzen. Für eine zusammenhängende philosophische Reflexion fehlt Mathieu allerdings schlicht das Rüstzeug, so dass nicht mehr als ein diffuses Sammelsurium überspannter Aphorismen herauskommt.

Zeitsatire in der Endlosschleife

Da eine Gerichtsverhandlung über das Wesen Gottes allein wohl nur eine Splittergruppe nerdiger Theologen angesprochen hätte, peppt Mathieu sein „Was-wäre-wenn“-Szenario mit einer Kapitalismuskritik auf und kaut jedes mediale Verwertungsstadium einzeln durch: Gott in der Werbung, Gott im Comic, Gott im Erlebnispark, Gott auf der Theaterbühne... Dieses Prinzip schleppt sich zäh dahin und führt in jeder einzelnen Episode penetrant zu derselben Pointe: Unsere Idiotien kriegen auch noch Gott klein. Warum brauchte es aber den ganzen weiten Weg zu einem höchsten Wesen, um dann doch bei einer grobschlächtigen Medienkritik stehen zu bleiben? Garniert ist das Ganze dann mit dem Statement, dass wir Suchmaschinen zu unserem neuen Gott gemacht haben („iGott“), was eine so altbackene Haltung verrät, wie sie keine ernstzunehmende Zeitsatire verträgt.

Wer Mathieus geniale Serie um Julius Corentin Acquefacques kennt, den „Gefangenen der Träume“, dem wird dieser Band wie das Werk eines schlechten Nachahmers vorkommen. Während es ihm früher leichthändig gelang, ein kafkaeskes Setting in eine selbstreflexive Erzählung über das Medium Comic zu integrieren, erstarrt nun bis auf sehr wenige Einfälle selbst die Bildsprache bei dieser heillos zersplitterten Geschichte. „Gott Höchstselbst“ ist eine plärrende Zumutung. Marc-Antoine Mathieu ist an einem toten Punkt angelangt.

Marc-Antoine Mathieu: Gott höchstselbst. Aus dem Französischen von Kai Wilksen, Handlettering von Andreas Michalke, 128 Seiten, Reprodukt, 20 Euro. Leseprobe unter diesem Link.

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