Berliner Affären: Gottfried Benn und die Frauen
"Ihr treuer Bernhardiner": Gottfried Benn hatte zahlreiche Liebesbeziehungen. Ein Vorabdruck aus Jachim Dycks Buch "Benn in Berlin".
Gottfried Benn hatte, seit er aus Brüssel 1917 wieder nach Berlin gekommen war, zahlreiche Liebesbeziehungen. Das Berlin der 20er Jahre war in Liebesangelegenheiten sehr liberal, der Weltkrieg hatte Konventionen und bürgerliche Vorurteile zunichte gemacht. Trotzdem war Berlin kein Sündenbabel und keine „Hochburg des Lasters“, als die es von der Provinz betrachtet wurde. In Wahrheit regierte hier nur eine größere Unbefangenheit, Mucker und Moralpauker liefen Gefahr, sich schnell lächerlich zu machen.
Völlig verändert hatte sich auch die Stellung der Frau: Im Berlin dieser Epoche galt sie auch ohne gesetzliche Legitimation als gleichberechtigt. Im Ganzen war diese Atmosphäre weniger frivol, als man heute anzunehmen geneigt ist. Dazu kam eine außerordentliche Höflichkeit im Umgangston. Berlin hatte die höflichste Polizei und die höflichsten Straßenbahnschaffner, Kellner und Verkäufer. Überdies war man in der Regel stolz darauf, ein Berliner zu sein; jeder Zuwanderer gab sich Mühe, den Zungenschlag der Stadt zu erwerben und seine Mentalität der allgemeinen Großzügigkeit anzupassen.
Benns Geliebte waren Dichterinnen und Journalistinnen wie Erna Pinner, Gertrud Zenzes, Doris Hahn, Mopsa Sternheim oder Käthe von Porada. Sie waren Schauspielerinnen und Sängerinnen wie Ellen Overgaard, Lili Breda, Elinor Büller oder Tilly Wedekind. Allerdings bekennt er 1926: „Mit der Liebe ist es nicht mehr weit her, es vergehen Wochen und Monate ohne Abenteuer und dann waren sie nachher doof.“ Der Gedichtentwurf „Liebe von 1952“ beginnt mit den Worten: „Liebe – / dies Wort wollen wir gar nicht in die Diskussion werfen / ich bleibe ja doch in mir allein / aber ich sehe dich gern an / ich fühle dich gern an / ich esse gerne mit dir / wir sprechen so freundschaftlich mit einander / sind den ganzen Tag auf einer zärtlichen Ebene ach – morgen / weisst du was davon.“
„Ich habe mit sehr vielen Frauen ,was gehabt‘, über ganz Europa sind sie verstreut, auch USA! Wunderbare Frauen. Was heisst das ,was gehabt‘. Hoffentlich bin ich zärtlich süss u munter gewesen, das ist etwas sehr Schönes, ich kann mir keinen Vorwurf machen, es ist lange her, jahrelang denkt man nicht mehr daran, selbst Namen habe ich vielfach vergessen“. Und Elinor Büller hält ihm vor, er habe viele Frauen um ihren Verstand gebracht: „Dass ich Frauen verrückt gemacht hätte – weiß wirklich nichts davon. Immer gegenseitig höchstens u. vice versa.“
Von den meisten Liebesbeziehungen haben sich die Spuren verloren, es kam zu keinem Austausch von Briefen, auch erwähnt Benn die Frauen in der Korrespondenz mit den Freunden nicht. Glücklicherweise hat jedoch Doris Hahn in den sechziger Jahren in Schreiben an Paul Raabe ihr Verhältnis zum jungen Benn geschildert: „Ich gefiel ihm. Ich fand es interessant, dass ich ihm gefiel – und amüsant. Sein Gefallen ging sehr viel weiter, als ich je gedacht. Er war aber sehr vorsichtig – ich war immer sehr fair, weil ich es nicht ausstehen konnte, den Leuten etwas vorzumachen, was nicht da war. In den ersten Jahren war er zutraulich wie ein Junge, der mit seinem Leben nicht zufrieden ist.“
Als erste schriftliche Äußerung ist ein Gedicht an sie überliefert, das Mnais, eine Gestalt aus den Chansons de Bilitis von Pierre Louys, erwähnt: „Sie sollen sein wie / Mnais, den windigen / Morgen auf ihren / spiegelnden Hüften, / hoch und allein“. Diese Zeilen schickte er Doris Hahn (1895–1973), nachdem er sie im September 1917 kennengelernt hatte. Wir wissen sehr wenig von ihr. Sie besuchte um 1913 die Kunstgewerbeschule in Bremen, lebte später in Berlin und verkehrte im Kreis um Herwarth Walden und der Zeitschrift „Der Sturm“. Befreundet war sie mit Salomo Friedländer (1871–1946), mit dem sie bis zu seinem Tode in Paris korrespondierte und über den sie eine Biografie plante. „Vielleicht wollte man garnicht erreichen, was man erreichen zu wollen schien? Aber ihr Hut ist entzückend, die Schleife auch, die Strümpfe wären natürlich besser Seide oder Flor, zumal wenn man etwas volle Gelenke u. Wadenansätze hat, aber das ist natürlich jetzt sehr schwierig. Immerhin u. alles zusammen waren Sie recht ansehnlich u. ich schließe mit den Worten: bleibe so u. mein Arm wird dich halten“, schrieb er um 1920.
Das Verhältnis muss spannungsreich gewesen sein, denn Doris war Benn gegenüber selbstbewusst und eigenständig. Sie glaubte den Komplimenten nicht, die er ihr und anderen machte: „Er konnte sehr blöde sein und so tun, als wären Frauen dazu da, ihn zu amusieren – aber das glaubte ich nicht.“ Doris Hahn moniert Benns Geschmack. Er hatte in der Belle-Alliance-Straße den Kupferstich „Das Nachtcafé“ von George Grosz hängen, den Grosz ihm aber nur geliehen hatte. „Er holte das Bild ab – und was hing sich Gottfried Benn dann hin – Postkarten von den Pferdchen der Renée Sintenis! Ich war platt! Das waren Unterschiede.“ Doris Hahn besuchte ihn oft in der Praxis, „zeitweise habe ich mich sogar gut mit Benn amusiert. Nie ausserhalb – immer in diesem kleinen Zimmerchen mit den altmodischen roten kleinen Salon-Plüschmöbelchen – während vorn, im Wartezimmer, ein von Strahlen umgebener Ritter hing, den gut und gern eine Mischung von Melchior Lechter und Fidus hätte gemalt haben können.“
Sie gibt Auskunft über ein interessantes Detail, nämlich das Essen. Benn liebte eine „mütterliche“ Küche, „weder raffiniert, noch die vielen guten Kleinigkeiten – nein, sehr solide, aber sehr gut häuslich zubereitet. Wenn er Kaffee und Kuchen machen ließ: Der Kaffee war ordentlich, der Kuchen solide – nichts mit Crème, kein Firlefanz. Er trank gern einen Cognac hinterher, hinter dem Kaffee, oder hineingeschüttet, das war zum Ende des Krieges shipshape und sehr à la mode.“ Doris Hahn heiratete 1922, „ohne ihm etwas gesagt zu haben. Diese Art der Verschwiegenheit liebte er nicht.“
Käthe von Porada war fünf Jahre jünger als Benn und in einem großbürgerlichen Berliner Elternhaus geboren, in dem die künstlerische und literarische Gesellschaft der Zeit verkehrte. Sie konnte allerdings die von den Pariser Freunden in sie gesetzte Hoffnung nicht erfüllen. Denn statt sich in politische Debatten zu verstricken, setzte Benn seinen Charme ein und begann eine Affäre mit der geschiedenen Mutter zweier Töchter: Man verbrachte die Tage Anfang Juli 1933 angenehm in Cafés und ging zusammen ins Kino, an den Titel des Films konnte er sich später nicht mehr erinnern.
Auch weiß Benn nicht mehr, welche Schuhe sie trug: „Sonst weiß ich alles von dem reizenden Geschöpf, das ich so verehre und von dem ich sicher bin, dass es die zarteste und kultivierteste Lady ist am Tyrrhenischen Meer. Und der ich mich zu Füßen lege als ihr treuer Bernhardiner G.B.“ Auf ihre Anregung hin besuchte Benn Anfang Juli den neu eingerichteten Beckmann-Saal der Berliner Nationalgalerie auf der Museumsinsel und war sehr beeindruckt: Frau von Porada war 1924 von Beckmann gemalt worden. In ihren Erinnerungen berichtete die Journalistin, dass Benn sich über seine politischen Meinungen ausgeschwiegen habe. Harry Graf Kessler, mit dem sie sich am 10. Juli traf, bekam allerdings zu hören, dass Benn „ein fanatischer Nazi geworden ist und behauptet, die Nazi-,Revolution‘ sei ein geschichtliches Ereignis ersten Ranges, eine totale Neugeburt des deutschen Volkes, die Rettung Europas, das alles mit allerlei Metaphysik durchmischt“.
Benn war hingerissen von dieser Frau, und es entspann sich ein Briefwechsel, der einen guten Einblick in Benns innere Lage während des Sommers 1933 gibt. Seine Briefe hatten einen stark erotischen Unterton: „Was Lustmord angeht, so finde ich ihn ja seit je die eigentlich ideale Form der Liebe, jedenfalls von seiten des zart empfindenden Mannes, dem robusten ist es natürlich gleich, was aus ihr wird.“ Ungefähr 14 Tage war Käthe von Porada in Berlin geblieben. Die schönen Sommertage seien ohne sie „so trostlos, unvorstellbar isoliert nach allen Seiten. Kunststück, wie könnte es anders sein. Mit meiner ganzen brutalen Energie, die ich im Geistigen zur Verfügung habe, versuche ich durchzustoßen zu einem neuen Gedicht, einer neuen lyrischen Strophe, aber vorläufig vergeblich. So viel ,inneres Raffinement‘, innere Methode, inneres Grundgefühl ist zugrundegegangen durch die Zeitlage, das Leben, das Alter, die Reife oder was immer es ist.“
Auch verschwieg er die wirtschaftliche Misere nicht, in der er sich mit seiner Praxis befand. Klaus Mann hatte ihm vorgeworfen, er biedere sich wegen materieller Vorteile dem Nationalsozialismus an, worauf Benn Frau von Porada, die davon berichtete, antwortete: Zu meiner Existenz „gehört diese kümmerliche B. A. Straße, so primitiv, dass ich mich geniere, wenn nur meine Tochter hierherkommt u. hier wohnt. In eine Kurfürstendammwohnung ziehen, Auto und Modearzt – mein Gott, welche mediokre Perspektive! Was für ein Gehirn kann sich das vorstellen für mich!“
Käthe ist noch nicht in Paris angekommen, da schickt Benn ihr schon seinen ersten Brief: „Im Augenblick, wo Sie in der Rue de la Pompe eintreffen, rufe ich Ihnen einen Gruß und einen Gedanken nach. Welche von den vier Frauen v. P. hat mir eigentlich am besten gefallen, einmal war sie kindlich, einmal überlegen, einmal hatte sie mehr sanfte und geschwungene Linien, weichen Ausdruck, stillen Haaransatz –, manchmal leuchtendere, führendere Züge, ich werde es Ihnen einmal sagen, was mir am besten gefallen hat.“ Und er widmet ihr das Gedicht „Durch jede Stunde“: „Durch jedes Wort / blutet die Wunde / der Schöpfung fort“ – „Gedicht für Kati – 14.8.33.“
Beide treffen sich noch einmal in Berlin Anfang Dezember 1933, und Benn schreibt ihr ein paar Zeilen ins Hotel, um ihr eine Holzspange zurückzugeben, die sie bei ihm vergessen hat. Gleichzeitig unterstellt er ihr einen Wunsch, den er aber selbst hat, nämlich allein zu sein: „Ich habe den Eindruck, dass Sie wünschen einige Tage ohne meine Anfragen und meine Nähe zu sein.“ Benn schreibt seine letzte Postkarte an sie Mitte Januar 1955: „Umstehend meine Heimat, der Bayerische Platz. Auf den Bänken des Rondells sitze ich manchmal in der Sonne. Weiter gute Besserung und gute Erholung und etwas Stimmung, die nach Freude aussieht. Immer Ihr Gottfried Benn.“
Joachim Dyck
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