Tell-Halaf-Funde: Götter der Wüste
Das Pergamonmuseum zeigt in einer grandiosen Ausstellung die Funde von Tell Halaf. Manches Bruchstück gelangt dabei nach langen Jahren an den richtigen Platz.
Bei allen Göttern! Sie stehen wieder da, im Pergamonmuseum. Die Rückkehr der 3000 Jahre alten Monumentalskulpturen vom Tell Halaf sind ein Geschenk des Himmels. Aus 27 000 Einzelteilen wurden rund 40 Figuren rekonstruiert – das Charlottenburger Museum des Archäologen und Privatgelehrten Max von Oppenheim war 1943 von Bomben zerstört worden. Sein Lebenswerk lag in Trümmern: Steinbilder und Reliefplatten aus der von ihm seit 1913 ergrabenen Tempelanlage in Syrien. Die Auferstehung aus Schutt und Asche nach fast 70 Jahren: eine Puzzlearbeit in Gigaformat.
Das Museum für Vorderasiatische Kunst, das die Restaurierung der Anfang der 90er Jahre im Keller entdeckten Trümmer betreute, feiert mit der Ausstellung „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“ nicht nur die Wiedergewinnung eines in Vergessenheit geratenen Schatzes, sondern auch sich selbst: die Unbeirrbarkeit seiner Archäologen bei der Zusammenfügung von bis zu tausend Teilen für ein einziges Objekt und die Leistung der Steinrestauratoren, die unermüdlich kombinierten und klebten, bis 90 Prozent wiederhergestellt waren. Nur noch 2000 Fragmente sind übrig.
Manches Bruchstück, das Oppenheims Bildhauer für das Tell-Halaf-Museum falsch platzierte, gelangte nun an den richtigen Platz. Wie viel früher hätte man das haben können, denn der Ausgräber hätte seine Schätze ohnehin am liebsten gegen „Aufwandsentschädigung“ dem Museum gegeben. Doch Ende der zwanziger Jahre fehlte den Museen das Geld. Ironie des Schicksals: Auf der Museumsinsel hätten die Funde den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden.
Die Spuren bleiben lesbar, kein Kitt glättet die Sprünge, wo Expoxydharz die Fragmente zusammenhält. Immer wieder sind die eingemeißelten Ornamente unterbrochen, zeigen Tierreliefs Lücken. Trotz aller Fehlstellen wirken die meterhohen Figuren so gewaltig, so geheimnisvoll vor der mit Blattgold ausgeschlagenen Wand des Schlütersaals, als wären sie Sendboten einer höheren Macht. Als hätte die Zerstörung sie im innersten Kern nicht berührt: Der Skorpionvogelmensch, der Wettergott Teschup, seine Gemahlin Hepat und die bezopfte Sitzfigur, Oppenheims Venus, beschwören eine untergegangene Kultur herauf.
Zugleich ist es die Rückkehr einer der erstaunlichsten Persönlichkeiten der deutschen Archäologie ins öffentliche Bewusstsein. Christopher von Oppenheim, Sprecher der Von-Oppenheim-Stiftung, in deren Besitz sich die Schätze bis heute befinden, hat beschrieben, dass man den Großonkel sogar in der Bankerfamilie lange nur als merkwürdigen Kauz kannte und bei seinem Begräbnis 1946 in Landshut muselmanisch gewandete Männer ihre Aufwartung machten.
Die hervorragend inszenierte Ausstellung würdigt so die Funde vom Tell Halaf und deren Entdecker. Die historischen Bilder im ersten Saal zeigen einen eher zierlichen Mann mit typischem Kaiser-Wilhelm-Bart, mal in diplomatischen Diensten, mal im Zelt mit Beduinen, der nach Meinung seines Vaters von einer „tragischen Passion“ erfasst war: der Liebe zum Vorderen Orient. Ein gewaltiger Globus aus dem Jahr 1912/13 symbolisiert die Reiseleidenschaft des Privatgelehrten, der noch mit fast 80 Jahren an seine Ausgrabungsstätten in Syrien zurückkehrte. „Kopf hoch! Mut hoch! Humor hoch!“ lautete sein Lebensmotto. Optimist blieb er auch nach der Zerstörung seines Museums in Berlin und hoffte bis zuletzt auf die Rekonstruktion seiner Funde.
So ist dem damaligen Museum ein eigener Saal gewidmet. Die hölzernen Bohlen auf dem Boden erinnern daran, dass es sich in der Maschinenhalle einer ehemaligen Gießerei befand. War es vorher – zur Vorstellung der Person – der Blick ins Familienalbum, begleitet von Reisenotizen und privaten Accessoires in kleinen Vitrinen, so ersteht nun ein ganzes Museum neu, das zu den merkwürdigsten in Berlin gehört haben dürfte. Mitten im Gewerbegebiet am Franklinufer hatten gigantische Götterfiguren Quartier bezogen. Zu den liebenswürdigsten Dokumenten gehört eine Filmaufnahme mit Oppenheim selbst, der das Knie seiner steinernen Venus liebevoll tätschelt und mit rollendem R erklärt, dass sie „dreitausend years old“ sei. Der Ausgräber hoffte damals, in den Vereinigten Staaten durch Verkauf einzelner Werke sein Vermögen zu retten.
Der anschließende Raum mit den symbolisch gesprengten Wänden, an die Bombenhagel und Feuersbrunst projiziert werden, ist dann doch überdramatisiert. In der Mitte liegt die lädierte Figur eines Tempelwächters, auf der noch die Reste der geschmolzenen Dachpappe kleben. Für die Erzählung einer wundersamen Rettung ist dies die Klimax – vor der mühevollen Kleinarbeit der Rekonstruktion. Nicht Computer tüftelten die Zusammensetzung in 3-D der auf 300 Paletten verteilten Fragmente aus – diese Programme wurden erst viel später entwickelt –, sondern das menschliche Auge, die Altertumsforscher in den Restaurierungswerkstätten von Friedrichshagen.
Der gigantische Aufwand lohnt sich, das wusste man schnell. Doch erst mit dem Umzug der Antikensammlung aus dem Südflügel ins Alte Museum wurde im Pergamonmuseum der Schlütersaal frei, der die tonnenschweren Skulpturen auch zu tragen vermag. Daraus ist ein wahrer Thronsaal geworden, auch wenn die Figuren einst nur die Eingänge zum Tempel von Guzana markierten, wie im Modell zu sehen ist. Im anthrazit ausgemalten Saal, auf vergoldeten Podesten, halten nun Wettergott Teschup und seine Gemahlin Hepat Hof (eine Leihgabe aus Aleppo). Ihr Sohn Scharumme, mit dem sie einst als Pfeilerfiguren den Tempelbesucher begrüßten, blieb fragmentarisch. Zur Veranschaulichung der Mühen ist er im Restaurierungssaal zu sehen. Die endgültige Zusammenführung der göttlichen Familie und ihre standesgemäße Platzierung auf Löwe und Stier, wie sie auch im Tell-Halaf-Museum imponierte und heute das Nationalmuseum in Aleppo ziert, wird in Berlin erst im Jahr 2025 zu erleben sein, wenn das Pergamonmuseum seinen vierten Flügel zum Kupfergraben hin erhalten hat. Dann bilden die Götter von Tell Halaf mit Ischtar-Tor und Prozessionsstraße von Babylon einen der Höhepunkte der Architekturexponate.
Die Schau nutzt das gesamte Spektrum der Ausstellungsinszenierung, vom Bombast der Monumentalskulptur bis zu kleinen, in Alkohol eingelegten Reptilien – als Universalgelehrter interessierte sich Oppenheim für das Große wie für das Kleine. Der Forscher sammelte Kunstobjekte, Klänge, Schmuck und Textilien. Aus Kölner Privatbesitz und diversen Museen kommen diese Eindrücke eines Lebens noch einmal zusammen zu einem grandiosen Panoramabild. Sogar eine Reminiszenz an die Bagdadbahn ist dabei, welche die Ausgrabungsstätte vom Tell Halaf passierte: in Gestalt der Berliner S-Bahn, die direkt am Pergamonmuseum vorbeiführt. Eine Zeitreise von der Antike bis in die Gegenwart.
Bis zum 14.8. zu sehen im Pergamonmuseum, Mo-So 10–18, Do bis 20 Uhr. Katalog 29,95 €
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