Zu sehen im Alten Museum: Götter, Bettler, Bürgerfrauen
Die Berliner Antikensammlung ist wieder vollständig auf 1500 Quadratmetern im Alten Museum zu sehen und somit in der Gegenwart angekommen. Demnächst soll das Haus generalüberholt werden.
Für die Berliner Antikensammlung hat ein neues Zeitalter begonnen. Nicht das archaische, geometrische oder mykenische. Das kennt man dort bereits. Nein, die Antikensammlung ist mit der gestrigen Eröffnung ihrer ständigen Ausstellung im Alten Museum im 21. Jahrhundert angekommen, in der Gegenwart. Ein Haus nach dem anderen hat es auf der Museumsinsel in den vergangenen Jahren geschafft, die Nachkriegszeit zu überwinden und die durch Mauerbau getrennten Kollektionen am Stammsitz wiederzuvereinigen.
Nun ist es auch für die Antikensammlung so weit, auf 1500 Quadratmetern, „der Wiederaufstieg in die Champions League“, wie es Direktor Andreas Scholl nennt. Endlich wieder mit der Glyptothek in Kopenhagen und dem Louvre in Paris auf Augenhöhe stehen. Nachdem bereits im vergangenen Sommer etruskische und römische Kunst ins Obergeschoss eingezogen war, präsentiert sich seit gestern im Hauptgeschoss die griechische Antike, wie man sie so schön noch nie in Berlin gesehen hat. Erst jetzt ist sie ins rechte Licht gerückt. Wäre es draußen nicht so bitterkalt, käme einem sogar die Sonne des Südens in den Sinn, unter der die prachtvollen Figuren einstmals gestanden haben.
Dem Nordflügel des Pergamonmuseums, in dem die Sammlung seit 1959 zu sehen war, wird keine Träne nachgeweint: zu dunkel, zu klein, von den technischen Anforderungen weit entfernt. Jetzt erst erscheint die thronende Göttin von Tarent, eine Marmorschönheit aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, adäquat platziert. Auch der betende Knabe, ein weiteres Highlight der Sammlung, hebt flügelleicht dem in den Kuppelsaal eintretenden Publikum seine Bronzearme entgegen, genau dort, wo er schon einmal vor einem Jahrhundert gestanden hat. Ansonsten sucht sich die Ausstellung ihren eigenen Weg, von Schinkel ist im Inneren ohnehin nichts mehr zu sehen. Geradezu nüchtern präsentiert sie sich, von Inszenierung weit entfernt. Nur wenige Wände sind farbig gefasst. Doch diese rationale Kühle kommt den Berliner Schätzen entgegen. Gerade dadurch entfalten sie ihre Schönheit. Die Geschichten etwa zu den aufgereihten Helmen oder zu den auf Vasen abgebildeten Kampfszenen stellen sich im Saal „Zeit der Helden – das frühe Griechenland“ von ganz alleine ein.
Die Ausstellung geht zwar chronologisch vor, ein Jahrtausend vom Ende der „dark ages“ bis zu Christi Geburt, und doch setzt sie immer wieder Themenschwerpunkte: Politik, Begräbniskult, Theater, Schmuck und Geld. Diese Mischung aus „high and low“, hoher Kunst und Alltag rückt die Welt der Antike näher, die sonst nur marmorkalt auftritt. Die Effekte sind sparsam platziert. Nur wer danach sucht, mag sie entdecken. So befindet sich die „Berliner Göttin“, wie die farbig gefasste Grabstatue einer jungen Frau im Volksmund heißt, dem Torso einer archaischen Jünglingsstatue von Naxos genau gegenüber. Die große schlanke Dame mit dem kunstvoll gelockten Haar wird von zwei Löwen gerahmt, die hier als Totenwächter dienen. So ähnlich könnte sie einmal in einer Nekropole nahe Athen gestanden haben, dicht an dicht mit anderen Gräbern, anderen Statuen. Das im Alten Museum präsentierte Arrangement gibt zumindest eine Ahnung davon.
Antike Kunst heißt Vertiefung, auf Entdeckungsreise gehen, etwa bei den kleinen Tonfigürchen, die im Hellenismus in Mode kamen: bucklige Bettler, gekrümmte Fischer oder jener Dornauszieher, der schmerzverzerrt die Lippen spitzt. Hier brechen Armut, Arbeit, Schmerz in die Antike ein, die plötzlich im realen Leben steht. Dazu passen auch die Tanagräerinnen, jene eleganten Bürgerfrauen, die auf ihrem Haupt merkwürdige Hüte tragen. Dieser Schick gibt bis heute Rätsel auf. In den hellenistischen Terrakotten hat er sich bewahrt.
Eine ähnliche Welt im Kleinen halten auch Münzen bereit. 1400 Stück sind in einem Separee zu sehen, eigens eingerichtet vom Münzkabinett, das ansonsten im Untergeschoss des Bode-Museums logiert. Nach Neuem Museum und Bode-Museum ist die Antikensammlung der dritte Ort, an den die Münzsammlung dauerhaft Stücke entleiht und der dortigen Ausstellungen eine weitere Dimension eröffnet: Zahlungsmittel und Bildträger zugleich. Im Alten Museum machen sich auf den glänzenden Geldstücken Götter, grausames Getier, große Herrscher breit. Sie alle sind unter einer blau bemaltem Decke vereint, die das Universum der Antike symbolisiert. Die Vitrinenschränke wurden eigens so konstruiert, dass sich der Besucher an den Scheiben die Nase platt drücken kann. Sogar an eine Art Fensterbank zum Aufstützen ist gedacht.
In ihrer Pracht sieht die Antikensammlung nun nach Ewigkeit aus. Und doch nicht ganz. Der letzte Raum, der jetzt der 350-jährigen Sammlungsgeschichte gewidmet ist und anhand historischer Vitrinen wandelnde Ausstellungspräsentation vorführt, wird später einmal die pergamenische Kultur aufnehmen. Noch sind deren Beispiele für die große „Pergamon“-Ausstellung im Herbst reserviert. Sie wird ein letzter Salut der Sammlung am alten Standort sein, dann wird der Nordflügel des Pergamonmuseums endgültig für die große Sanierung geräumt. Gerade ist dort die überaus erfolgreiche Tell Halaf-Ausstellung zu sehen, die Direktor Scholl sogar noch übertreffen will.
Auch danach zieht im Alten Museum antike Stille längst nicht ein. Irgendwann, noch ist kein Termin genannt, soll auch dieses Haus generalüberholt werden, fünfzig Jahre seit dem letzten Mal. Die endlich ins rechte Licht gerückten Marmorskulpturen suggerieren zwar die Sonne des Südens. Der Besucher friert trotzdem – die Fenster sind nur einfach verglast, und zu allem Überfluss eilt er auf dem Weg von der Garderobe zu den Ausstellungssälen ohne Mantel durch das winterkalte Vestibül. So viel Gegenwart muss selbst für eine sich modern gebende Antikensammlung nicht sein.
Altes Museum, Am Lustgarten, Mo-So 10-18 Uhr, Do bis 22 Uhr.
Nicola Kuhn
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