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© Illustration: Crumb/Carlsen

Archetyp: Gott der Sünder

Robert Crumb und Ralf König sind Meister des unkorrekten Comics. Jetzt ist die Bibel dran.

Warum sollen Esel auf die Arche? Das leuchtet Noah überhaupt nicht ein. Die Lasten können doch die Frauen tragen. Und wozu Unken, Schlangen und Gewürm mitnehmen? „Braucht das irgendwer?“, fragt Noah in der Diskussion mit Gott. „Nach der Sintflut ist die Erde dann eben ohne Getier, na und?!“ Noah geht es einzig darum, dass sich seine eigene Sippe fortpflanzt. Und, naja, wenn die dralle Hure aus Sodom mit aufs Schiff käme, das fände er auch schön.

In Ralf Königs neuem Bibel-Comic „Archetyp“ ist Noah keine 500 Jahre alt, sondern 50. Er ist auch kein guter Mensch, sondern herrisch, hässlich und voller Hass auf die Welt. Er wird nicht müde, die Leute von Sodom und Gomorrha zu verpfeifen, um Gott davon zu überzeugen, dass ein Weltuntergang nötig wäre: „Mann heiratet Mann und Weib heiratet Weib und jetzt adoptieren sie auch noch Kinder“, eifert der selbst ernannte Glaubenshüter Noah. Aber Spielhöllen, Swingerclubs und Körperkult stören Gott nicht, er ist genervt von Noahs Nörgelei. Eines will er dann aber doch nicht hinnehmen: „Sie bleiben in Sodom auf den Rolltreppen stehen?!!! Du meinst, das Gebot ’Rechts stehen, links gehen’ wird nicht mehr befolgt?“

Ralf König war schockiert, wie vor vier Jahren muslimische Hardliner auf die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitungen reagierten.

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Alter Heuchler. Königs Noah kurz vor der Sintflut.
© Illustration: König/Rowohlt

Seitdem beschäftigt den bekennend schwulen Zeichner der „Wahnwitz der Religionen“, wie er sagt. Sein erstes Bibel-Comic „Prototyp“ ist eine Satire auf die Schaffung der Welt. In „Archetyp“ bürstet König nun die Sintflut frech und witzig komplett den Strich, indem er Gott gegen seine fundamentalistischen Anhänger verteidigt. Gott wird nie bildlich dargestellt, sondern spricht durch Frakturschrift. Er hat Verständnis dafür, wenn Menschen Spaß im Leben haben wollen und ist gewöhnt an Brüchiges. Um Noahs Schwulen- und Frauenfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen, verbündet sich der Herr mit Noahs Frau und redet ihr das Kopftuch aus. Es ist wohl kein Zufall, dass Noah mit langem Gewand, Käppchen und fusseligem Bart manchem muslimischen Prediger ähnlich sieht.

Ralf König schickt Noah alleine auf die Arche und lässt ihn erkennen, dass das Leben ohne Sünder und Spinner eine langweilige, einsame Angelegenheit wäre. Passend zur Klimakonferenz erteilt uns König schließlich auch noch diese Lektion: Der biblische Weltuntergang ist Legende, nicht aber der menschengemachte. Die letzte Seite in Königs Buch ist leer.

Auch Robert Crumb, der Altmeister des amerikanischen Comics, hat sich jetzt die Bibel vorgenommen. Er geht mit seiner „Genesis“ aber einen gänzlich anderen Weg.

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Alterswerk. Gott, wie Crumb ihn schuf.
© Illustration: Crumb/Carlsen

Religionen interessieren ihn nicht, sondern die jahrtausendealten Mythen, die sich im Alten Testament überlagern und die so gewaltig sind wie Crumbs eigene Fantasien.

Der amerikanische Underground- Zeichner liebt drastische Darstellungen von Gewalt, Sex und Drogenkonsum. Und so bekommt der Crumb-Fan auch in der schweren, großformatigen Schöpfungsgeschichte Gewohntes: Gott tritt als alter Mann mit langem Umhang und Rauschebart auf, er wütet und wettert, straft und zornt, was die Bibel hergibt.

Das menschliche Personal besteht aus ebenso grimmigen wie zerfurchten Männern und monströsen Frauen, die miteinander um die Vorherrschaft ringen. Wenn Rebekka ihrem Sohn Jakob erklärt, er möge die Sorge um die Täuschung des Vaters ihr überlassen, scheint sich das Matriarchat durchgesetzt zu haben, ebenso, wenn Jakob ein paar Seiten weiter eine ziemlich schwache Figur abgibt, als sich seine beiden Frauen Lea und Rahel einen erbitterten Gebärkampf liefern um die Frage, wer die meisten Söhne zur Welt bringt. Meist aber herrscht die brutale, grobschlächtige Welt des Patriarchats.

Crumb erzählt das Alte Testament von der Schöpfung der Welt bis zum Aufstieg Josefs am Pharanonenhof in der deutschen Übersetzung mit den Worten der Lutherbibel von 1912. Ausgerechnet Crumb, der noch nie etwas mit Kirche anfangen konnte, hält sich streng an die Heilige Schrift und erspart dem Leser auch keine der verwirrenden Dopplungen und Widersprüche, die dem langen Entstehungsprozess des alttestamentarischen Textes geschuldet sind.

Im Vorwort entschuldigt sich Crumb dafür, falls er mit seinen Darstellungen religiöse Gefühle verletzt haben sollte. Doch so drastisch manche seiner Szenen auch sein mag, sein Comic bleibt langweilig und farblos. Die reine Nacherzählung der Bibel, sei es als Comic, Film oder Predigt schockiert heute keinen mehr. Die subversive Kraft liegt im Witz und in der intelligenten Neuinterpretation.

Ralf König: Archetyp. Rowohlt, Reinbek, 2009. 140 Seiten, 16,90 €;

Robert Crumb: Genesis. Carlsen, Hamburg, 2009. 228 Seiten, 29,90 €

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