Gedenken: Good Grief, Charlie Brown
Vor zehn Jahren starb "Peanuts"-Schöpfer Charles M. Schulz. Wir erinnern an ihn mit dem Nachruf, den der Tagesspiegel damals veröffentlichte.
Er mochte Kinder eigentlich nicht besonders. Das gab der alternde Meister - und Vater von fünf Kindern - mit Ingrimm preis. Immer nur selbst, immer nur für sich selbst habe er gezeichnet, behauptete Charles M. Schulz. Und seinen Haupthelden nannte er?Wie sich selbst, Charlie. Charlie Brown ist ein Verlierer, ein unglücklich Verliebter, der Junge, den das kleine, rothaarige Mädchen nie erhört. Eine gezeichnete kleine Figur mit großem, rundem Kopf, wie die übrige Bande, die alle Welt als "Peanuts" kennt.
Charles M. Schulz ist tot. Schon im November hatte der schwer kranke Erfinder der Comic-Kinder den Bleistift weggelegt. Wenn er die Peanuts nicht weiterzeichnen kann, fand er, dann solle es auch kein anderer tun. Seit November ist keine neue Episode erschienen, die Peanuts-Serien wurden bereits Nachlass, als ihrem Schöpfer noch ein paar Monate auf der Erde blieben.
Eine Comic-Epoche hatte er beendet, die vor einem halben Jahrhundert, am 2. Oktober 1950 begann, deren Produkte bei Anbruch der Jahrtausendwende 2600 Zeitungen in 75 Ländern erreicht hatten. Von seinem Studio in Santa Rosa, nördlich von San Francisco aus, dirigierte Charles M. Schulz sein Peanuts-Imperium mit einer Gesamtauflage von 355 Millionen Ausgaben, 50 Fernsehfilmen, 18000 Bildergeschichten und Merchandise-Produkten, T-Shirts, Teetassen, Basecaps, Schultaschen, Schulsachen, Handtüchern, you name it. Man muss sich das vorstellen: Millionen von Köpfen sind bevölkert mit diesen kleinen Figuren, die sich ein Mann ausgedacht hat. Einer, der gigantischen Erfolg hatte - mit den entzückend erfolglosen Gören, die er mit schlichten Strichen in Szene setzte.
Als Schulz 1950 die Peanuts anlegte, die er zunächst "Little Folks", kleine Leute, nennen wollte, war der in Minneapolis geborene junge Mann 28 Jahre alt. Er gab ihnen die Sorgen, die Züge und Kümmernisse einer Zeit, in der die großen Themen von heute noch Tabu waren - oder einfach unbekannt. Bei den Peanuts gibt es keine Armut, keine Rassenprobleme. Weder Kindesmissbrauch kennen sie, noch Gewalt im Fernsehen, weder alleinerziehende Eltern noch mit Drogen dealende, bewaffnete Schulkameraden.
Was die Peanuts für alle und jeden konsumierbar machte und macht, tatsächlich wie Erdnüsse (peanuts), das ist ihr Abgelöstsein von der Geschichte. Ihre Themen sind ewig: Lucy liebt Schroeder, den kindlichen Pianisten, an dessen Mini-Flügel sie sich verführerisch anlehnt, doch die Beethoven-Büste auf dem Deckel des Instruments verstellt ihm den Blick auf das Mädchen. All' ihr Kalkül nützt nichts. Frech und zynisch verbirgt sie ihre Gefühle, haut den Jungens eins über die Nase und versucht dem kleinen Linus seine Schmusedecke wegzureißen. Der mag von seiner Regression nie lassen und klammert seine Decke fest.
Charlie Brown wartet auf Liebesbriefe von dem rothaarigen Mädchen, sogar der Briefkasten lacht ihn aus, wenn er vergebens hinein schaut. Charlie Browns Baseballteam verliert garantiert, die Drachen, die er unermüdlich steigen lassen will, verheddern sich unweigerlich in Zweigen - das Geäst der Welt ist gegen ihn, sorry. Snoopy, der beulennasige Hund der kleinen Schar, denkt sich sein Teil. Keiner versteht ihn, alle denken, er sei blöd, und aus Rache fantasiert er sich als Piloten, als Geier oder Erfolgsschriftsteller. Wer die Peanuts las, dem kam es gar nicht surreal vor, wenn Snoopy, der Klaustrophobe, auf dem Dach seiner Hundehütte eine Reiseschreibmaschine aufstellte und gloriose Romananfänge entwarf.
Fast ein bisschen wie bei "Winnie der Pu" im Tausendmorgenwald lebt hier eine kleine Gemeinschaft fixierter Charaktere nach ihren eigenen, klar umrissenen, ebenso absurden wie einsichtigen Gesetzen. Die Geschichten leben von der Punchline, dem Gag am Schluss, der meist kein Happy End bietet, sondern mit "Weia" ("Good Grief!") ausklingt, oder bestenfalls dem Überlisten einer Lehrerin, die in den alten Übersetzungen stets "Fräulein" hieß. In allen Figuren haben wir uns als Kinder wiedergefunden, und nicht nur als Kinder. Es stimmt, die Peanuts sind auch Teenager, kleine Erwachsene.
Pu der Bär ist ein naiver loser, Donald Duck ist ein naiver loser, und Charlie Brown ist einer. Charles M. Schulz, zu dessen Fans auch Umberto Eco gehört, hat seinem Figuren-Ensemble keinen Tausendmorgenwald und kein Entenhausen beigegeben, einer seiner großen Kniffe ist die völlige Reduktion. Strichmännchen, Sprechblasen, runde Köpfe, running gags. Infantil seien die dicken Köpfe der Kleinen, haben Psychologen und Soziologen geschrieben. Sicher richtig. Die Köpfe weisen aber auch noch auf etwas anderes hin, das ist anders als bei den Teletubbies. Wesentlich bei Schulz ist zwar der Situationswitz, aber entscheidend der Kommunikationswitz, die Sprache. Als eine, die fast nie vermittelt, eher verbirgt und ablenkt und missverstanden wird, betrachtet Schulz die Sprache mit philosophischer Skepis - da sieht es nicht viel anders aus, als bei den brachial-ordinären Comicboys von heute, Beavis und Butthead.
Der Verdacht liegt nah, dass Charles M. Schulz, der mit Snoopy die perfekteste - übrigens nicht immer unglückliche Monade - darstellte, sich sogar noch eher in dem sprachlosen Hund wiederfand, als im Namensvetter Charlie. Er mochte Kinder nicht? Dann mochte er die Menschen nicht wirklich, deren Verhalten er ununterbrochen zu Comicserien gerinnen ließ. Schulz wäre nicht der erste Misanthrop, der viele Menschen zum Lachen brachte. Aber man glaubt ihm den Misanthropen kaum.
(Erstmals erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 14.2. 2000, zwei Tage nach dem Tod von Schulz)
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